Der Arbeitnehmer ist hinsichtlich Leistung und Umfang behaupteter Überstunden beweispflichtig. Gemäss dem so genannten Regelbeweismass gilt ein Beweis als erbracht, wenn der Richter von der Richtigkeit einer Sachbehauptung überzeugt ist. Nicht ausreichend ist dagegen, wenn bloss eine überwiegende Wahrscheinlichkeit besteht, dass sich die behauptete Tatsache verwirklicht hat. Ausnahmsweise ist jedoch eine Herabsetzung des Beweismasses auf überwiegende Wahrscheinlichkeit zulässig, unter der Voraussetzung, dass ein strikter Beweis nach der Natur der Sache nicht möglich oder nicht zumutbar ist. Diesbezüglich hat das Bundesgericht im Entscheid 4A_338/2011 vom 14. Dezember 2011 im Vergleich zu seiner bisherigen Rechtsprechung widersprüchlich argumentiert und dadurch eine gewisse Unsicherheit bewirkt.
Regelbeweismass
Der Arbeitnehmer hat zu beweisen, dass er, auf Anordnung des Arbeitgebers oder weil es notwendig war, mehr Zeit aufgewendet hat, als vertraglich vereinbart oder üblich ist. Notwendig sind Überstunden, wenn dafür ein Bedürfnis des Arbeitgebers besteht. Dies ist beispielsweise bei Dringlichkeit, aussergewöhnlichem Arbeitsanfall oder Ausfall von anderen Arbeitskräften der Fall. Ordnet der Arbeitgeber Überstunden an oder hat er geleistete Überstunden beweisbar genehmigt, muss der Arbeitnehmer keine betriebliche Notwendigkeit nachweisen. Dasselbe gilt auch dann, wenn der Arbeitgeber weiss oder wissen müsste, dass der Arbeitnehmer Mehrstunden leistet, dagegen aber nicht einschreitet, sondern ihn gewähren lässt. Der Beweis gilt als erbracht, wenn der Richter von der Richtigkeit der Sachbehauptungen des Arbeitnehmers überzeugt ist.
Beweiserleichterung
Unter gewissen Voraussetzungen wird dem Arbeitnehmer der Beweis erleichtert, das heisst, er hat den Richter nicht von seinen Sachbehauptungen zu überzeugen, sondern es muss lediglich eine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür bestehen. Gemäss Bundesgericht kann die Beweiserleichterung nach OR 42/2 nicht nur für das Ausmass der Überstunden, sondern auch für die Leistung als solche anwendbar sein. Voraussetzung dafür ist aber, dass sich auf Grund der konkreten Umstände des Einzelfalls ein genauer Beweis als unmöglich oder unzumutbar erweist. Diese Voraussetzung ist nicht schon dann erfüllt, wenn der Beweis im konkreten Fall misslingt. Vielmehr muss eine fehlende Beweisbarkeit aus objektiven Gründen vorliegen. Im Entscheid 4C.142/2005 vom 15. Juni 2006 führte das Bundesgericht dazu aus, dass dies im Schadenersatzrecht von der Materie her weit häufiger gegeben sein wird als in einer arbeitsrechtlichen Streitigkeit, bei der es um den Beweis der Überzeit geht. Auf den konkreten Fall bezogen bemerkte das Bundesgericht, dass es in der Tat nicht ersichtlich ist, welche prinzipielle Schwierigkeit einem Beweis der Leistung von zu entschädigender Überzeit entgegenstehen soll. Ob in erheblichem Umfang mehr als 45 Stunden gearbeitet worden ist, lässt sich auf mannigfaltige Art nachweisen. Dies belegte die Arbeitnehmerin selbst, indem sie die Aufstellungen über ihre Arbeitszeiten eingereicht hat. Solche Aufstellungen könnten gemäss Bundesgericht an sich durchaus aussagekräftig und beweistauglich sein, wurden aber im konkreten Fall als unglaubwürdig und nicht beweistauglich bewertet.
Im Entscheid 4A_338/2011 widerspricht sich das Bundesgericht aus unerklärlichen Gründen selber. Es argumentiert nun, dass sich der zeitliche Mehrumfang der Arbeit gegenüber dem vertraglich vereinbarten oder üblichen Mass regelmässig nicht zur vollen Überzeugung beweisen lässt. Denn es ist typisch und triff t nicht nur im konkreten Einzelfall zu, dass die eigenen Aufzeichnungen oder „Stundenkontrollen“ des Arbeitnehmers diesen Beweis nicht zu erbringen vermögen. Es handelt sich bei derartigen Aufzeichnungen letztlich um Parteibehauptungen. Auch die Aussagen von Zeugen werden regelmässig das Ausmass von Überstunden schon deshalb nicht beweisen können, weil Zeugen typischerweise nicht während der ganzen Arbeitszeit anwesend sind. Entsprechend beanstandet das Bundesgericht das Urteil der Vorinstanz nicht, welche sich mit dem Beweismass der Wahrscheinlichkeit begnügt hat.
Auch wenn insbesondere eigenhändige Stundenrapporte des Arbeitnehmers, die der Arbeitgeber nicht genehmigt hat, in der Regel behauptete Überstunden nicht zur vollen Überzeugung zu beweisen vermögen, sollte es dem Arbeitnehmer zumutbar und möglich sein, das Gericht auf Grund objektiver Gesichtspunkte davon zu überzeugen, dass effektiv Überstunden geleistet worden sind. Die Beweismöglichkeiten sind tatsächlich mannigfaltig und auch beweisgeeignet, so beispielsweise Aussagen von Arbeitskollegen, E-Mails, elektronische Agenda, Computer- und Telefonprotokolle oder wie im Entscheid 4A_338/2011 in der Buchhaltung des Arbeitgebers als transitorische Passiven verbuchte Überstundenguthaben. Auch wenn ein einzelnes Beweismittel den Nachweis für sich allein selten zu erbringen vermag, kann das Gericht dennoch von der Richtigkeit der Sachbehauptungen überzeugt werden, da alle vorgelegten Beweise in ihrer Gesamtheit zu würdigen sind. Zudem muss auch beim strikten Beweis die Verwirklichung einer Tatsache nicht mit Sicherheit feststehen. Vielmehr dürfen durchaus gewisse Zweifel bestehen, sofern diese nicht als erheblich erscheinen.
Hält man an der bisherigen Argumentationsweise des Bundesgerichts (Entscheid 4C.142/2005) fest, sollte ein Gericht eine Schätzung nach OR 42/2 – wenn überhaupt – nur bezüglich des Umfangs geleisteter Mehrstunden vornehmen, sofern es auf Grund objektiver Gesichtspunkte und unter Würdigung sämtlicher Beweismittel davon überzeugt ist, dass der Arbeitnehmer tatsächlich Mehrstunden geleistet hat. Damit würde einerseits der eigenen Rechtsprechung gefolgt, wonach OR 42/2 nur restriktiv angewendet werden soll und andererseits folgender grundsätzliche Gedanke der Beweislastverteilung berücksichtigt: Es ist weniger unbillig, den Gläubiger, dessen (vielleicht begründete) Forderung nicht erwiesen ist, zu Unrecht abzuweisen, als den als Schuldner in Anspruch Genommenen zu verurteilen, obschon er möglicherweise nichts schuldet.
Kommentar
Wie wird die zukünftige Rechtsprechung des Bundesgerichts aussehen? Wird es die bisherige restriktive Handhabung von OR 42/2 für den Nachweis, ob überhaupt Mehrarbeit geleistet wurde, weiterführen oder wird das Bundesgericht tatsächlich die Argumentationsweise vom Entscheid 4A_338/2011 übernehmen und eine Reduktion der beweisrechtlichen Anforderungen zu Gunsten des Arbeitnehmers in der angedeuteten Form zulassen? Aus Arbeitgebersicht ist Ersteres zu hoffen.
Berücksichtigte Literatur: René Hirsiger, Entschädigung für Überstunden – Beweiserleichterungen, in AJP 2/2012.
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