Arbeitsunfähigkeitszeugnis

1. Dezember 2011

Arbeitsunfähigkeitszeugnis

Die vorliegende Ausgabe informiert über zwei Fälle aus der Bundesgerichtspraxis zum ärztlichen Zeugnis, die zu Gunsten der Arbeitgeber entschieden worden sind. Das ärztliche Zeugnis, welches eine unverschuldete Arbeitsverhinderung bescheinigt, hat als Beweismittel eine besondere Bedeutung und ein besonderes Gewicht, aber es ist nicht das einzige mögliche Beweismittel, wenn es zu beurteilen gilt, ob und ab wann genau tatsächlich eine Arbeitsunfähigkeit vorliegt. Auch ist das ärztliche Zeugnis nicht geeignet, das Vorliegen eines wichtigen Grundes für eine fristlose Kündigung zu beweisen.

Kündigung und anschliessender Arztbesuch

Dem Bundesgerichtsentscheid 4A_89/2011 vom 27. April 2011 lag folgender Sachverhalt zu Grunde: Die Arbeitgeberin legte einem ihrer Mitarbeiter am 24. Oktober 2008 die schriftliche Kündigung vor. Dieser verweigerte die Annahme und bestätigte den Empfang nicht. Daraufhin verliess der Arbeitnehmer die Lokalitäten und konsultierte seinen Arzt, welcher ein ärztliches Zeugnis ausstellte und eine Arbeitsunfähigkeit ab dem 24. Oktober 2008 bescheinigte. Umstritten war einerseits, ob die Kündigung der in den Allgemeinen Anstellungsbedingungen vorgeschriebenen Schriftform entsprach. Diese Frage wurde vom Bundesgericht bejaht, da das dem Arbeitnehmer vorgelegte Kündigungsschreiben vorschriftsgemäss unterzeichnet war. Andererseits war auch umstritten, ob die Kündigung überhaupt gültig erfolgte oder nicht. Als empfangsbedürftige Willenserklärung ist die Kündigung erst wirksam, wenn sie dem Adressaten zugegangen ist. Ein Kündigungsschreiben geht im Zeitpunkt zu, in dem es in den Machtbereich des Adressaten gelangt und unter normalen Umständen damit gerechnet werden darf, dass dieser davon Kenntnis nimmt. Im vorliegenden Fall ist die Kündigung in dem Zeitpunkt in den Machtbereich des Arbeitnehmers gelangt, als ihm diese anfangs Nachmittag vorgelegt worden ist. Sein Arzt, den er danach aufsuchte, bescheinigte ihm für den 24. Oktober 2008 eine Arbeitsunfähigkeit. Gemäss Zeugenaussagen hat der Arbeitnehmer an diesem Tag jedoch bis zum Kündigungsempfang normal ohne Krankheitssymptome gearbeitet, sich erst danach über Unwohlsein beklagt und ist dann zum Arzt gegangen. Unter diesen Umständen ging das Bundesgericht davon aus, dass im Zeitpunkt des Empfangs der Kündigung noch keine Arbeitsunfähigkeit bestand, obschon der konsultierte Arzt eine solche für den ganzen 24. Oktober 2008 bescheinigt hat. Somit ist die Kündigung gemäss Bundesgericht nicht zur Unzeit – d.h. nicht während einer Sperrfrist gemäss OR 336c/1b – und demnach gültig erfolgt. 

Die Rolle des Arztes

Dem Bundesgerichtsentscheid 4A_252/2011 vom 22. August 2011 lag folgender Sachverhalt zu Grunde: Eine Arbeitnehmerin war in zwei Unternehmen angestellt und war dem für beide Unternehmen zuständigen einzigen Verwaltungsrat unterstellt. In dem von ihr vorgelegten Arztzeugnis bestätigte der Arzt, dass eine weitergehende Beschäftigung unter ihrem Vorgesetzten in diesen beiden Unternehmen eine Gefahr für ihre Gesundheit darstellen würde, hingegen sei die Arbeitnehmerin anderswo zu 100% arbeitsfähig. Deshalb müsse sie ihre aktuelle Arbeit sofort und definitiv beenden. Gestützt auf dieses ärztliche Zeugnis hat die Arbeitnehmerin ihre Arbeitsverträge fristlos gekündigt mit der Begründung, die Aufrechterhaltung der Arbeitsverhältnisse würde ihre psychische Integrität gefährden. Kurze Zeit darauf erhob die Arbeitnehmerin Klage gegen die Arbeitgeber auf Schadenersatz wegen angeblicher gerechtfertigter fristloser Kündigung. Die erste und zweite Instanz beurteilten das Arztzeugnis als beweiskräftig und überzeugend unter Berücksichtigung, dass die Arbeitnehmerin zweimal die Kündigung erhalten hatte und dann wieder angestellt worden war, dass sie unter schwierigen Bedingungen auf Grund der delikaten Finanzlage der beiden Arbeitgeber arbeitete, dass sie grosse Mühe hatte, vom Vorgesetzten die notwendigen Instruktionen zu erhalten und dass sie diesen mehrmals auf ihre Schwierigkeiten aufmerksam gemacht hatte. Damit haben die beiden Vorinstanzen die fristlose Kündigung der Arbeitnehmerin als gerechtfertigt anerkannt und die Arbeitgeber verurteilt, der Arbeitnehmerin solidarisch eine Entschädigung in der Höhe des Lohnes zu bezahlen, den sie bei ordentlicher Kündigung erhalten hätte.

Das in der Folge angerufene Bundesgericht beurteilte den Fall jedoch anders. Im Prinzip ist es zwar so, dass der Arbeitnehmer einen genügenden Beweis erbringt, wenn er dem Arbeitgeber für seine Arbeitsverhinderung infolge Krankheit oder Unfall ein Arztzeugnis vorlegt. Hingegen ist die ärztliche Bescheinigung nicht geeignet, das Vorliegen eines wichtigen Grundes für eine fristlose Kündigung zu beweisen. Es ist ausschliesslich Sache des Richters, die dem Gesetz entsprechende Beurteilung vorzunehmen. Schwierige Arbeitsbedingungen, ein unbefriedigendes Arbeitsklima und schwache Führungskräfte genügen im Allgemeinen nicht, um eine fristlose Kündigung zu rechtfertigen. Passt sich der Arbeitnehmer nicht den ihm auferlegten Modalitäten an, hat er das Arbeitsverhältnis unter Einhaltung der gesetzlichen oder vertraglich vereinbarten Kündigungsfrist aufzulösen. Gemäss Bundesgericht war die fristlose Kündigung der Arbeitnehmerin nicht gerechtfertigt und sie hatte entsprechend keinen Anspruch auf Schadenersatz. 

Kommentar

Beide Entscheide des Bundesgerichts sind aus unserer Sicht zu begrüssen. Zum ersten Entscheid gilt es jedoch Folgendes zu bedenken: Es kommt relativ häufig vor, dass Arbeitnehmer nach empfangener Kündigung umgehend den Arzt aufsuchen, und dieser sie bereits für den Kündigungstag arbeitsunfähig schreibt. In den meisten Fällen wird ein Arbeitnehmer, der sich so verhält, die Ungültigkeit der Kündigung geltend machen. Dies hätte dann ein Schlichtungs- und allenfalls ein Gerichtsverfahren zur Folge. Ob das Gericht in diesem konkreten Fall auch so entscheiden würde, wie im vorliegenden Urteil des Bundesgerichts, hängt von der tatsächlichen Beweislage ab und ist somit offen. Will ein Arbeitgeber dieses Risiko nicht eingehen, ist eine nochmalige formelle Kündigung nach Ablauf der Sperrfrist sinnvoll und empfehlenswert. Eine mögliche Formulierung könnte wie folgt lauten: „Wir kündigen Ihnen hiermit das Arbeitsverhältnis formell noch einmal unter Einhaltung der Kündigungsfrist von … Monaten auf den … , für den Fall, dass sich unsere Kündigung vom … als ungültig erweisen sollte.“  

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