Jeu, 1 mars 2012
Ein Arbeitgeber kann einem gewählten Arbeitnehmervertreter nicht nur aus Gründen, die dieser selber gesetzt hat, sondern auch aus wirtschaftlichen Gründen kündigen, ohne dass die Kündigung missbräuchlich ist. Zu diesem Schluss kam das Bundesgericht im Entscheid 4A_415/2011 vom 19. März 2012. Es hat damit seine bisherige Rechtsprechung (133 III 512, vgl. ARBEITSRECHT Nr. 109 – Januar 2008) bestätigt.
Sachverhalt
Im Rahmen einer Neuorganisation baute ein Arbeitgeber seinen Personalbestand um 57 Stellen auf 235 Vollzeitstellen ab. Unter den Gekündigten war auch der Präsident der Personalkommission. Dieser erhob Einsprache gegen die Kündigung und klagte auf eine Entschädigung wegen missbräuchlicher Kündigung gestützt auf OR 336/2/b. Das Arbeitsgericht Zürich erachtete die Kündigung als missbräuchlich und verpflichtete den Arbeitgeber, dem Arbeitnehmer eine Entschädigung von rund 27‘000 Franken zu bezahlen. Die dagegen erhobene Beschwerde des Arbeitgebers hiess das Obergericht des Kantons Zürich gut, da es die Kündigung als nicht missbräuchlich beurteilte. Zum gleichen Schluss kam nun auch das Bundesgericht.
Begründeter Anlass zur Kündigung
Es bedarf grundsätzlich keiner besonderen Gründe, um kündigen zu können. Die Kündigungsfreiheit findet aber ihre Grenzen beim Missbrauchsverbot. Missbräuchlich ist eine Kündigung nur, wenn sie aus bestimmten unzulässigen Gründen ausgesprochen wird, die in OR 336 umschrieben sind, wobei die Aufzählung nicht abschliessend ist. OR 336/2/b qualifiziert die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber als missbräuchlich, wenn sie ausgesprochen wird, während der Arbeitnehmer gewählter Arbeitnehmervertreter in einer betrieblichen oder in einer dem Unternehmen angeschlossenen Einrichtung ist, und der Arbeitgeber nicht beweisen kann, dass er einen begründeten Anlass zur Kündigung hatte.
Kündigung nicht nur aus persönlichen Gründen…
Der Beschwerde führende Arbeitnehmer stellt die bisherige bundesgerichtliche Rechtsprechung in Frage. Er ist der Meinung, dass nur persönliche Gründe als „begründeter Anlass“ im Sinn von OR 336/2/b in Frage kommen könnten, nicht aber wirtschaftliche Gründe. Die ausschliesslich auf wirtschaftlichen Gründen beruhende Entlassung des Präsidenten der Personalkommission sei demzufolge missbräuchlich. Zumindest aber sei die Interpretation des Arbeitsgerichts zu übernehmen, wonach objektive Gründe als „begründeter Anlass“ nur beschränkt zuzulassen seien, nämlich dann, wenn keine Verhandlungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmervertreter anstehen oder laufen würden. Da die Personalkommission vorliegend in Verhandlungen mit dem Arbeitgeber einbezogen worden sei, habe das Arbeitsgericht Zürich die Kündigung zu Recht als missbräuchlich qualifiziert.
…sondern auch aus wirtschaftlichen Gründen
Gemäss Botschaft des Bundesrates sollen die Kündigungsschutzbestimmungen keinen Schutz vor wirtschaftlich motivierten Entlassungen bieten. Ein Schutz für Kündigungen aus wirtschaftlichen Gründen wirke tendenziell strukturerhaltend, könne Redimensionierungen verhindern und die Unternehmer zur Beschäftigung von Arbeitskräften zwingen, die sie nicht mehr benötigten. Dies könne aber selbst überlebensfähige Betriebsteile gefährden. Ergebe sich die Notwendigkeit, dauerhafte Anpassungen vorzunehmen, sollten Entlassungen nicht erschwert werden. Von einer Regelung des Schutzes vor Kollektiventlassungen aus wirtschaftlichen Gründen sei auch deshalb abgesehen worden. In der parlamentarischen Beratung wurde ebenfalls mehrmals erwähnt, dass Kündigungen aus wirtschaftlichen Gründen nicht missbräuchlich sein sollen.
Gemäss Bundesgericht soll die vorliegend diskutierte Gesetzesbestimmung OR 336/2/b den Arbeitnehmervertreter vor einer Entlassung schützen, welche in einem Zusammenhang mit seiner Tätigkeit in einer Personalkommission steht. Nicht beabsichtigt ist damit aber ein absoluter Bestandesschutz. Um die Missbrauchsvermutung umzustossen, ist es nicht notwendig, dass der Arbeitgeber die Umstrukturierung zunächst zu Lasten anderer Arbeitnehmer vornimmt. Die Interpretation des Arbeitnehmers, wonach einem Arbeitnehmervertreter aus wirtschaftlichen Gründen gar nicht oder nur, falls keine Verhandlungen zwischen dem Arbeitgeber und den Arbeitnehmervertretern anstehen oder laufen, gekündigt werden darf, kommt hingegen einer Kündigungssperrfrist gleich, welche durch den Sinn und Zweck des Gesetzes nicht gedeckt ist. Die Missbrauchsbestimmung sieht einen Schutz des Arbeitnehmervertreters vor, nicht aber dessen Privilegierung gegenüber anderen Arbeitnehmern bei Massenkündigungen.
An den durch den Arbeitgeber zu erbringenden Nachweis, dass die Entlassung nichts mit der Stellung als Arbeitnehmervertreter zu tun hat, sind gemäss Bundesgericht besonders hohe Anforderungen zu stellen. Das Obergericht des Kantons Zürich hat die wirtschaftlichen Gründe in der Gestalt eines Umsatzrückgangs und eines finanziellen Verlustes in einem Betriebsteil als Motivation der Massenentlassung, und namentlich auch als Motivation der Entlassung des Präsidenten der Personalkommission, gestützt auf die eingereichten Belege, als erwiesen erachtet. Da diese Beweiswürdigung nicht offensichtlich unhaltbar war, hatte das Bundesgericht darauf abzustellen.
Kommentar
In einem Vorentwurf für eine Teilrevision des OR im fraglichen Punkt schlägt der Bundesrat vor, dass es für die Entlassung eines Arbeitnehmervertreters einen begründeten, in der Person des Arbeitnehmers liegenden, Anlass braucht. Eine solche Gesetzesänderung, die einer absoluten Privilegierung des Arbeitnehmervertreters gegenüber den anderen Arbeitnehmern gleichkommen würde, gilt es unbedingt zu verhindern. Das Bundesgericht hat zu Recht zu bedenken gegeben, dass sich ein überschiessender Schutz des Arbeitnehmervertreters zu Ungunsten der übrigen Arbeitnehmer auswirken kann, indem dem Arbeitgeber verunmöglicht würde, die effizientesten und sozialverträglichsten Massnahmen zu ergreifen, sofern diese den Arbeitnehmervertreter beträfen. Praktische Folge davon wäre, dass die Einsparungen an anderer Stelle durchgeführt würden und allenfalls weniger sozialverträglich wären oder mehr Personen davon betroffen würden.
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