Ven, 6 décembre 2024
In seinem Urteil 4A_295/2024 vom 20. August 2024 musste das Bundesgericht über die Missbräuchlichkeit einer Kündigung befinden, welche die Arbeitgeberin nach Ablauf der krankheitsbedingten Sperrfrist (Art. 336c Abs. 1 lit. b OR) ausgesprochen hatte.
Dabei ging es um einen Projektleiter Verfahrenstechnik, der rund vier Wochen zu 100% wegen eines Burnouts krankgeschrieben war, bevor er mit einer Teilarbeitsunfähigkeit von 20-30% zur Arbeit zurückkehrte. Gemäss Art. 336c OR läuft die Sperrfrist bei teilweiser Arbeitsunfähigkeit genau so weiter wie bei einer vollen Arbeitsunfähigkeit. Nach Ablauf dieser Frist kündigte die Arbeitgeberin das Arbeitsverhältnis. Dabei spielt es keine Rolle, dass der Arbeitnehmer zum Zeitpunkt der Kündigung nach wie vor (teilweise) krankgeschrieben war. Da die Arbeitgeberin die massgebende Sperrfrist abgewartet hatte, ist die Kündigung rechtsgültig erfolgt.
Der Arbeitnehmer machte jedoch eine missbräuchliche Kündigung geltend. Das Bundesgericht verneinte die Missbräuchlichkeit der Kündigung mangels Vorliegens einer Fürsorgepflichtverletzung. Nachfolgend gehen wir auf die Begründung des Bundesgerichts ein.
Ein unbefristetes Arbeitsverhältnis kann von jeder Vertragspartei unter Einhaltung der gesetzlichen oder vertraglichen Kündigungsfrist gekündigt werden (Art. 335 Abs. 1 OR). Es gilt das Prinzip der Kündigungsfreiheit. Insofern bedarf es grundsätzlich keiner besonderen Gründe, um kündigen zu dürfen. Ihre Grenzen findet die Kündigungsfreiheit im Missbrauchsverbot (Art. 336 OR). Die Auflistung der Missbrauchstatbestände in Art. 336 OR ist nicht abschliessend; die Rechtsprechung anerkennt weitere Tatbestände. Diese müssen indessen eine gewisse Schwere aufweisen, die mit den in Art. 336 OR aufgezählten Gründen vergleichbar ist. Die Missbräuchlichkeit der Kündigung setzt sodann einen Kausalzusammenhang zwischen dem verpönten Motiv und der Kündigung voraus. D.h. der als missbräuchlich angefochtene Kündigungsgrund muss bei der Entscheidung der Arbeitgeberin, den Arbeitsvertrag aufzulösen, eine entscheidende Rolle gespielt haben und die Kündigung somit direkt verursacht haben. Der Arbeitnehmer, der sich auf die Missbräuchlichkeit der Kündigung beruft, trägt dafür die Beweislast.
Die bundesgerichtliche Rechtsprechung hält fest, dass es grundsätzlich zulässig ist, einen Arbeitnehmer wegen einer Arbeitsleistung beeinträchtigenden Krankheit zu kündigen, sofern die entsprechende Sperrfrist abgelaufen ist. In diesem Fall kommt nur dann eine missbräuchliche Kündigung in Frage, wenn die krankheitsbedingte Beeinträchtigung einer Fürsorgepflichtverletzung der Arbeitgeberin zuzuschreiben ist (siehe Urteil 4A_293/2019 vom 22. Oktober 2019 E. 3.5.1). In einem solchen Fall muss der Arbeitnehmer beweisen können, dass die Arbeitgeberin seine Krankheit direkt verursacht hat. So z.B., wenn es die Arbeitgeberin unterlassen hat, gestützt auf ihre Fürsorgepflicht Massnahmen zum Schutz des Arbeitnehmers zu ergreifen (Art. 328 Abs. 2 OR). Das Bundesgericht betont, dass eine Kündigung wegen andauernder Krankheit nur in sehr schwerwiegenden Fällen als missbräuchlich im Sinne des Gesetzes zu qualifizieren ist (siehe u.a. BGE 150 III 78 E. 3.1.3; BGE 136 III 513 E. 2.3).
Die Kündigung infolge verminderter Arbeitsleistung des Arbeitnehmers ist also nur dann missbräuchlich, wenn die Arbeitgeberin den Ausbruch der Krankheit im Sinne einer Fürsorgepflichtverletzung zu verantworten hat. Wenn die Situation diesen Schweregrad nicht erreicht, wie es bei Arbeitsunfähigkeit aufgrund einer psychischen Krankheit häufig der Fall ist, ist die Kündigung nicht missbräuchlich. Denn Schwierigkeiten am Arbeitsplatz können häufig zu Depressionen oder anderen psychischen Störungen führen, die keine direkt durch die Arbeitgeberin verursachte Krankheit darstellen (siehe BGE 150 III 78).
Der Arbeitnehmer versuchte vor Bundesgericht erfolglos, eine Fürsorgepflichtverletzung der Arbeitgeberin aufzuzeigen. Er machte geltend, dass er im Rahmen seiner Arbeit einer übermässigen Arbeitslast ausgesetzt war, welche seine Erkrankung verursacht habe. Gestützt darauf argumentierte er, dass die Arbeitgeberin von der gesundheitsgefährdenden Arbeitslast wusste und entgegen ihrer Fürsorgepflicht keine entsprechenden Massnahmen ergriffen habe.
Das Bundesgericht kam zu einem anderen Schluss. Es hielt fest, dass die Arbeitgeberin, soweit erwiesen, nichts von einer potenziell gesundheitsgefährdenden Arbeitsüberlastung des Arbeitnehmers wusste. Sie musste auch aus den Umständen, insb. aus der Bitte des Arbeitnehmers nach einer Reduktion der ihm zugewiesenen Projekte nicht darauf schliessen. Ausserdem hat die Arbeitgeberin auf diese Bitte reagiert und dem Arbeitnehmer angeboten, die Termine anzupassen, um ihm mehr Zeit für die einzelnen Projekte zu geben. Auch sonst lagen keine weiteren Hinweise auf eine gesundheitsgefährdende Arbeitsüberlastung vor. Erst als der Arbeitnehmer nach vollständiger Arbeitsunfähigkeit die Arbeit teilweise wieder aufnahm, machte er die Arbeitgeberin auf seinen Gesundheitszustand aufmerksam und teilte ihr mit, dass er einen Klinikaufenthalt plane. Bis zu diesem Zeitpunkt war die gesundheitsgefährdende Arbeitslast nie ein Thema gewesen. An der Feststellung des Bundesgerichts änderte auch der Umstand nichts, dass die Arbeitslast unter den Mitarbeitenden im Betrieb allgemein als hoch bezeichnet wurde und ein gewisser Personalmangel herrschte. Der Arbeitnehmer konnte somit den Nachweis einer gesundheitsgefährdenden Arbeitslast und insb. deren Kenntnis seitens der Arbeitgeberin nicht erbringen.
Im Gegenteil hielt das Bundesgericht fest, dass die Arbeitgeberin Anstrengungen unternommen hatte, um dem Arbeitnehmer den Wiedereinstieg durch die Reduktion seines Pensums auf 20-30% und die Übertragung der Projekte an andere Mitarbeitende zu erleichtern. Daher kann eine Fürsorgepflichtverletzung auch nicht darin erblickt werden, dass das Arbeitsverhältnis nach Kenntnis des Burnouts gekündigt hat, anstatt das Pensum zu reduzieren. Die Arbeitgeberin hat glaubhaft dargelegt, dass der Grund für die Kündigung insb. die Forderung des Arbeitnehmers war, in Zukunft deutlich weniger, aber dafür grössere Projekte bearbeiten zu dürfen. Folglich kann der Arbeitgeberin keinen Vorwurf gemacht werden, dass sie das Arbeitsverhältnis aufgrund der Krankheit und dem Wunsch des Arbeitnehmers nach einem anderen Arbeitsprogramm kündigte. Aus den Vorbringen des Arbeitnehmers konnte im Übrigen weder auf die exakte Arbeitslast geschlossen werden noch darauf, dass die Arbeitgeberin die Krankheit des Arbeitnehmers durch eine unzulässige potenziell gesundheitsgefährdende Arbeitsüberlastung direkt verursacht hätte. Damit wurde das Vorliegen einer Fürsorgepflichtverletzung der Arbeitgeberin sowie die Missbräuchlichkeit der Kündigung verneint.
Zusammenfassend hielt das Bundesgericht fest, dass die Kündigung mit der Krankheit des Arbeitnehmers und seinem Wunsch nach Anpassung der Arbeit zusammenhing und die Arbeitgeberin die Krankheit des Arbeitnehmers nicht durch eine unzulässige, potenziell gesundheitsgefährdende Arbeitsüberlastung direkt verursacht hatte, weshalb keine Fürsorgepflichtverletzung vorlag.
Das Bundesgericht stellt sich mit diesem Entscheid ein weiteres Mal gegen den in der Praxis verbreiteten Reflex, eine Kündigung nach Ablauf einer Sperrfrist wegen Krankheit automatisch als missbräuchlich zu rügen. Besteht eine andauernde Krankheit, so muss ein sehr schwerwiegender Fall vorliegen, damit die Kündigung von den Gerichten als missbräuchlich qualifiziert wird. Dies kann i.d.R. nur dann der Fall sein, wenn aus der Beweisführung eindeutig hervorgeht, dass die Arbeitgeberin die Krankheit des Arbeitnehmers direkt verursacht und damit ihre Fürsorgepflicht verletzt hat.
Auch wenn im Falle einer missbräuchlichen Kündigung der Arbeitnehmer beweisbelastet ist (Art. 8 ZGB), ist die Arbeitgeberin gut beraten, während des Arbeitsverhältnisses Gespräche mit dem Arbeitnehmer, Vorfälle, allfällig getroffene Massnahmen etc. immer schriftlich zu dokumentieren. Denn sie wird die Erfüllung ihrer Fürsorgepflicht nachweisen müssen.
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