Arbeitsplatzbezogene Arbeitsunfähigkeit Sperrfristenschutz

Ven, 13 septembre 2024

Arbeitsplatzbezogene Arbeitsunfähigkeit Sperrfristenschutz

Sperrfristenschutz

Gemäss Art. 336c OR darf der Arbeitgeber nach Ablauf der Probezeit das Arbeitsverhältnis unter anderem dann nicht kündigen, wenn der Arbeitnehmer ohne eigenes Verschulden durch Krankheit ganz oder teilweise an der Arbeitsleistung verhindert ist, und zwar im ersten Dienstjahr während 30 Tagen, ab zweitem bis und mit fünftem Dienstjahr während 90 Tagen und ab sechstem Dienstjahr während 180 Tagen.

Zweck dieses zeitlichen Kündigungsschutzes ist es, den Arbeitnehmer vor dem Verlust seiner Arbeitsstelle zu schützen während Zeiten, in denen er in der Regel schlechte Chancen hat, eine neue Stelle zu finden und eine Anstellung bei einem künftigen Arbeitgeber in Kenntnis der Arbeitsverhinderung höchst unwahrscheinlich erscheint.

Der Kündigungsschutz entfällt gemäss dem Entscheid des Bundesgerichts allerdings dann, wenn sich die gesundheitliche Beeinträchtigung des Arbeitnehmers als so unbedeutend erweist, dass sie dem Antritt einer neuen Arbeitsstelle nicht entgegensteht. Dies ist insbesondere bei der arbeitsplatzbezogenen Arbeitsunfähigkeit der Fall. Da der Arbeitnehmer in diesem Fall nur an seiner aktuellen Arbeitsstelle an der Arbeit verhindert und im Übrigen normal einsatzfähig und auch in seinem privaten Leben nicht oder kaum eingeschränkt ist, kann nicht von einer rechtlich relevanten Beeinträchtigung der Chancen bei der Stellensuche gesprochen werden. Mit seinem Entscheid bestätigt das Bundesgericht die in der Deutschschweiz bereits vorherrschende Praxis, dass der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis während einer bloss arbeitsplatzbezogenen Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers rechtsgültig kündigen kann und dass eine nur arbeitsplatzbezogene Arbeitsunfähigkeit während der Kündigungsfrist das Arbeitsverhältnis nicht verlängert.

Exkurs: Fürsorgepflicht und missbräuchliche Kündigung

Der Arbeitgeber ist gemäss Art. 328 OR verpflichtet, die Persönlichkeit der Arbeitnehmer zu schützen. Gemäss Lehre und Rechtsprechung bedeutet dies in Konfliktfällen, dass der Arbeitgeber – bei Kenntnis über die Umstände – alle notwendigen und zumutbaren Massnahmen zur Entschärfung der Situation treffen muss. Wird die Fürsorgepflicht verletzt und hat dies eine arbeitsplatzbezogene Arbeitsunfähigkeit zur Folge, ist eine im Anschluss ausgesprochene Kündigung zwar gültig (kein Sperrfristenschutz), kann aber allenfalls als missbräuchlich im Sinne von Art. 336 OR gewertet werden. Siehe dazu auch den Artikel: Schutz der Persönlichkeit

Lohnfortzahlung

Auch bei einer arbeitsplatzbezogenen Arbeitsunfähigkeit hat der Arbeitnehmer in der Regel Anspruch auf Lohnfortzahlung gemäss Art. 324a OR, analog den Fällen von genereller Arbeitsunfähigkeit. Dabei ist nicht beachtlich, ob sich die Arbeitsunfähigkeit allenfalls auf die private Lebensgestaltung einschränkend auswirkt. Es ist nur danach zu fragen, ob der Arbeitnehmer seine vertraglich vereinbarte Tätigkeit ausüben kann oder nicht. Der Anspruch auf Lohnfortzahlung könnte jedoch möglicherweise dann verneint werden, wenn ein Arbeitnehmer einen Konflikt am Arbeitsplatz provoziert und im Anschluss aufgrund der selbstverschuldeten Konfliktsituation arbeitsunfähig wird.

Eine grosse Mehrheit der Arbeitnehmer ist durch ihren Arbeitgeber kollektiv krankentaggeldversichert. Zahlreiche Versicherer setzen nach längerer krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit eine Frist von 3-5 Monaten an, innert der ein Stellenwechsel vorzunehmen ist. Diese auf die Schadenminderungspflicht von Art. 61 des Versicherungsvertragsgesetzes gestützte Praxis hat das Bundesgericht gutgeheissen, und zwar nicht nur, wenn es um einen Arbeitsplatzwechsel geht, sondern auch bei einem Berufswechsel. Ob der Versicherer nach Ablauf der angesetzten Frist tatsächlich berechtigt ist, die Taggelder zu streichen, hängt aber davon ab, ob er nachweisen kann, dass der betroffene Arbeitnehmer tatsächlich eine Stelle gefunden hätte. Da der Arbeitnehmer aufgrund seiner Treuepflicht auch gegenüber dem Arbeitgeber schadenminderungspflichtig ist, bleibt der Arbeitgeber von einer Lohnfortzahlungspflicht befreit, wenn der Versicherer seine Leistungen in zulässiger Berufung auf die Schadenminderungspflicht einstellt. Auch in einem solchen Fall kann es allerdings sein, dass die Lohnfortzahlungspflicht des Arbeitgebers wieder auflebt. Dies insbesondere dann, wenn dieser die Fürsorgepflicht verletzt und den Konflikt nicht rechtzeitig gelöst hat.

Versetzung und Zuweisung anderer Arbeit

Insbesondere in grösseren Betrieben kann die Möglichkeit bestehen, den bloss arbeitsplatzbezogen arbeitsunfähigen Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz zu beschäftigen oder ihm andere Arbeit zuzuweisen. Sofern der Arbeitsvertrag ein diesbezügliches Weisungsrecht vorsieht, ist der Arbeitgeber berechtigt, dieses auszuüben, unter der Voraussetzung, dass die Versetzung bzw. eine andere Arbeit für den Arbeitnehmer zumutbar ist. Auch ohne vertragliche Grundlage ist dem Arbeitgeber ein entsprechendes Weisungsrecht zuzugestehen, da die Treuepflicht in Art. 321a OR den Arbeitnehmer verpflichtet, das arbeitsplatzbezogene Hindernis für seine Arbeitsleistung zu beseitigen und damit seine Arbeit vorübergehend an einem anderen Arbeitsplatz zu leisten oder eine andere Arbeit zu übernehmen. Voraussetzung dazu ist aber, dass die Arbeit am neuen Arbeitsplatz – grundsätzlich auch zu Hause – für den Arbeitnehmer unter den konkreten Umständen zumutbar ist und seine Genesung nicht beeinträchtigt. Zudem darf die Zuweisung nur von vorübergehender Dauer sein und das Privatleben des Arbeitnehmers nicht zu stark beeinträchtigen.

Beweislast

Der Beweis der Arbeitsunfähigkeit obliegt dem Arbeitnehmer, welcher diesen durch die Vorlage eines Arztzeugnisses erbringt. Ein einfaches Arztzeugnis enthält jedoch nicht immer eine Information betreffend die Arbeitsplatzbezogenheit der Arbeitsunfähigkeit. Sofern objektive und begründete Zweifel an der Richtigkeit des Arztzeugnisses bestehen, kann der Arbeitgeber der Arbeitnehmer zu einer vertrauensärztlichen Untersuchung aufbieten. Siehe dazu auch den Artikel: Arztzeugnis

Aufgrund der Treuepflicht ist der Arbeitnehmer gehalten, den behandelnden Arzt in Bezug auf die Informationen von der Schweigepflicht zu entbinden, an welchen der Arbeitgeber ein berechtigtes Interesse hat. Verweigert der Arbeitnehmer demnach die Bekanntgabe der allenfalls bestehenden Arbeitsplatzbezogenheit, misslingt ihm der Beweis einer Arbeitsunfähigkeit, welche ihn von einer umfangreichen Arbeitsleistung ausschliesst.

Ob die Arbeitsunfähigkeit nur arbeitsplatzbezogen ist und folglich keine Sperrfrist auslöst, muss also speziell nachgewiesen werden, und dies ist umso schwieriger, da es dabei meistens um psychische Belastungen geht. Seit ein paar Jahren sind Bestrebungen im Gange, um die Aussagekraft der Arztzeugnisse zu verbessern, so beispielsweise in den Regionen St. Gallen und Winterthur. Und seit Juli 2009 haben die Ärzte- und Arbeitgeberorganisationen der Nordwestschweiz (Aargau, Solothurn und beide Basel) neue Arztzeugnisse eingeführt. Ein einfaches Arztzeugnis, in dem im Falle einer Teilarbeitsunfähigkeit sowohl die zumutbare Arbeitsintensität als auch die zumutbare Anwesenheit im Betrieb anzugeben ist, und ein detailliertes Arztzeugnis, das auf Wunsch und Kosten des Arbeitgebers die zukünftige Arbeitsfähigkeit präzisiert und auf einer vom Arbeitgeber erstellten Arbeitsplatzbeschreibung basiert. In Bezug auf das vorliegend behandelte Thema könnte es sinnvoll sein, im detaillierten Zeugnis eine konkrete Frage hinsichtlich einer bloss arbeitsplatzbezogenen Arbeitsunfähigkeit aufzunehmen. Denn das Zeugnis sollte darauf hinweisen, ob eine Beschäftigung des Arbeitnehmers in einem anderen personellen Umfeld beim gleichen Arbeitgeber als möglich erscheint. Überdies wird teilweise gefordert, dass der Arbeitnehmer sogar verpflichtet ist, von sich aus seinen Arbeitgeber zu informieren, dass er anderweitig eingesetzt werden kann.

Wichtig für den Arbeitgeber in der Praxis

Der Arbeitgeber kann ohne explizite ärztliche Bescheinigung nicht von sich aus eine arbeitsplatzbezogene Arbeitsunfähigkeit annehmen. Ist eine solche nachgewiesen (Arztzeugnis, Arztbericht o.Ä.), hat der Arbeitgeber den Arbeitnehmer über den Wegfall des Sperrfristenschutzes zu informieren und hat abzuklären, ob im Rahmen der Möglichkeiten eine alternative Beschäftigung im Betrieb angeboten werden kann. Die Lohnfortzahlungspflicht bleibt grundsätzlich bestehen.

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