Agent oder Handelsreisender?

Ven, 1 mars 2013

Agent oder Handelsreisender?

Die Grenzziehung zwischen Agenturvertrag und Handelsreisendenvertrag ist in der Praxis heikel. Sowohl der Agent als auch der Handelsreisende üben für den Auftraggeber bzw. Arbeitgeber dieselbe wirtschaftliche Funktion aus, doch gelten für sie unterschiedliche Gesetzesbestimmungen. Gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung besteht das Hauptunterscheidungskriterium darin, dass der Agent seinen Beruf als Selbständigerwerbender ausübt, während der Handelsreisende zu seinem Arbeitgeber in einem Unterordnungsverhältnis steht. Für das Bestehen eines Unterordnungsverhältnisses ist entscheidend, dass der Arbeitnehmer in eine fremde hierarchische Arbeitsorganisation eingegliedert wird und damit von Vorgesetzten Weisungen erhält. Die Schwierigkeit liegt allerdings darin, dass auch bei anderen Verträgen auf Arbeitsleistung, zum Beispiel beim Auftrag, ein gewisses Weisungsrecht besteht. Deshalb kommt es gemäss Bundesgericht auf das Mass der Weisungsgebundenheit an. Dabei ist das Gesamtbild und die tatsächliche Ausgestaltung des Vertragsverhältnisses zu berücksichtigen, und es ist nicht auf die von den Parteien gewählte Bezeichnung abzustellen, die vielleicht absichtlich falsch ist.

Gesetzliche Regelung - Agenturvertrag

Der Agenturvertrag ist eine besondere Art von Auftragsverhältnis, geregelt in OR 418a-418v. Agent ist, wer die Verpflichtung übernimmt, dauernd für einen oder mehrere Auftraggeber Geschäfte zu vermitteln oder in ihrem Namen und für ihre Rechnung abzuschliessen, ohne zu den Auftraggebern in einem Arbeitsverhältnis zu stehen.

Handelsreisendenvertrag

Der Handelsreisendenvertrag ist eine besondere Art von Arbeitsvertrag, geregelt in OR 347-350a. Durch den Handelsreisendenvertrag verpflichtet sich der Handelsreisende, auf Rechnung des Inhabers eines Handels-, Fabrikations- oder andern nach kaufmännischer Art geführten Geschäftes gegen Lohn Geschäfte jeder Art ausserhalb der Geschäftsräume des Arbeitgebers zu vermitteln oder abzuschliessen. Auf den Handelsreisendenvertrag sind die allgemeinen Vorschriften über den Einzelarbeitsvertrag ergänzend anwendbar (OR 355).

Rechtsprechung - Auftrag bzw. Agenturvertrag bejaht

Im Entscheid 4A_533/2012 vom 6.2.2013 kam das Bundesgericht zum Schluss, dass zwischen den Parteien kein Unterordnungsverhältnis vorlag und es hat die Selbständigkeit des Agenten bejaht. Berücksichtigt wurden dabei insbesondere folgende Punkte: Die Vereinbarung war als Agenturvertrag bezeichnet. Der Agent hatte nur die Weisungen hinsichtlich der den Kunden angebotenen Finanzprodukte zu beachten. Er konnte seine Tätigkeit ausüben, wo er wollte, in der Schweiz und in Liechtenstein. Er musste keine Arbeitszeiten einhalten und war frei, Ruhetage zu nehmen oder nicht. Es war ihm nicht verboten, für andere Auftraggeber zu arbeiten, soweit diese mit seinem Auftraggeber vertraglich gebunden waren. Dazu kam, dass sich der Agent immer als Selbständigerwerbender verhielt. Er war im Handelsregister eingetragen und bezahlte selber die Beiträge an die Sozialversicherungen. Zudem hatte er für sich eine Erwerbsausfallversicherung für Krankheit und Unfall abgeschlossen. Und er hatte von seinen steuerpflichtigen Einkünften sämtliche mit seinem Beruf zusammenhängenden Auslagen abgezogen, ohne sich auf die notwendigen Berufskosten für Unselbständigerwerbende zu beschränken.

Auch im Entscheid 4C.276/2006 vom 25.1.2007 hat das Bundesgericht das Vorliegen eines Auftrags bzw. eines Agenturvertrags bejaht. Dabei hat es insbesondere folgende Punkte berücksichtigt: Dem Beauftragten kam ein hohes Mass an Selbständigkeit in der Ausführung seiner Arbeit im Bereich der Finanz- und Wirtschaftsberatung zu, es bestand keine Eingliederung in eine fremde Arbeitsorganisation in zeitlicher und örtlicher Hinsicht und es fehlte weitgehend an einer wirtschaftlichen Abhängigkeit. Der Beauftragte hatte regelmässig Besprechungen mit der Geschäftsführung der Auftraggeberin an deren Sitz und war verpflichtet, sämtliche Arbeitsunterlagen zur Verfügung zu halten, damit die Auftraggeberin ein einheitliches Auftreten kontrollieren konnte. Ferner bestanden klare Weisungen bezüglich des Datenschutzes und der Vorkehren gegen Geldwäscherei, wobei sich dies zwingend aus der Art der Geschäfte und den dafür geltenden gesetzlichen Bestimmungen ergab.

Handelsreisendenvertrag bejaht

Im Entscheid 4A_184/2011 vom 21.6.2011 hat das Bundesgericht eine „convention de collaboration“ zwischen einer Firma in Genf und einem Möbelverkäufer als Handelsreisendenvertrag beurteilt, da ein Unterordnungsverhältnis vorlag. Der Verkäufer musste jeden Montagnachmittag in der Firma erscheinen. Die Auslagen für Repräsentation, Telefon und Transport wurden ihm ersetzt. Gemäss Vereinbarung hatte der Verkäufer keinen Anspruch weder auf Bezahlung noch auf Kompensation von Überstunden und auch nicht auf bezahlte Ferien. Er konnte zwar jährlich fünf Wochen Ferien beziehen, hatte dies jedoch mindestens zwei Wochen im Voraus anzukündigen. Er verpflichtete sich, die „directives commerciales“ der Firma einzuhalten. Zudem hat die Firma auf seiner Entschädigung die Sozialversicherungsbeiträge abgezogen und einbezahlt.

Im BGE 129 III 664 hat das Bundesgericht eine Kadermitarbeiterin einer Unternehmung, die in einer pyramidenförmigen Organisation in Haustürgeschäften Finanzberatung betrieb, als Handelsreisende eingestuft, obschon der Vertrag als Agenturvertrag und sie als selbständige Agentin bezeichnet war. Dies insbesondere deshalb, da ihr Schranken über Art und Ort ihrer Tätigkeit auferlegt wurden und sie weisungsgebunden war. Zudem musste sie vollzeitlich arbeiten und Minimalpflichten bezüglich Kundenbesuche und Umsatz erfüllen. Sie unterhielt keine eigene Infrastruktur, trat nie selbständig auf und war in die hierarchische Struktur der Unternehmung, welche auch über ihre Karriere innerhalb der Pyramide bestimmte, eingebunden.

Kommentar

Ob ein Vertragsverhältnis als Agenturvertrag oder als Handelsreisendenvertrag ausgestaltet ist, hat grosse Auswirkungen, da unterschiedliche gesetzliche Bestimmungen anwendbar sind. Bei der Beurteilung sind stets die gesamten Umstände im Einzelfall zu berücksichtigen und es sind die Kriterien, die für oder gegen ein Unterordnungsverhältnis sprechen bzw. für oder gegen eine selbständige Erwerbstätigkeit abzuwägen. Die Bezeichnung des Vertragsverhältnisse allein ist nie entscheidend.

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