Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz – was sind die Pflichten des Arbeitgebers?

19. April 2024

Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz – was sind die Pflichten des Arbeitgebers?

Dem Arbeitgeber obliegt die Verpflichtung, die Persönlichkeit der Arbeitnehmenden zu achten und zu schützen, auf deren Gesundheit gebührend Rücksicht zu nehmen und für die Wahrung der Sittlichkeit zu sorgen. Insbesondere muss er dafür besorgt sein, dass die Arbeitnehmenden nicht sexuell belästigt werden und dass Opfern von sexuellen Belästigungen keine weiteren Nachteile entstehen. Die rechtlichen Grundlagen hierzu finden sich in Art. 328 OR, Art. 6 ArG sowie im Gleichstellungsgesetz (insbesondere Art. 4 und Art. 5 Abs. 3 GlG).

Definition von sexueller Belästigung am Arbeitsplatz

Obschon sich die Definition von Art. 4 GlG nur auf Fälle von Autoritätsmissbrauch bezieht, hat die Rechtsprechung festgelegt, dass die sexuelle Belästigung alle belästigenden Verhaltensweisen sexueller Natur umfasst, auch solche, die zu einem feindseligen Arbeitsklima beitragen. Das Eidgenössische Büro für die Gleichstellung von Frau und Mann hält die folgende Definition für die sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz fest: «[…] jedes Verhalten mit sexuellem Bezug oder aufgrund der Geschlechtszugehörigkeit, das von einer Seite unerwünscht ist und das eine Person in ihrer Würde verletzt. Dabei ist das Empfinden der belästigten Person ausschlaggebend, nicht die Absicht der belästigenden Person. Sexuelle Belästigung kann mit Worten, Bildern, Gesten oder Taten ausgeübt werden.»[1]

Die Formen der Belästigung können also unterschiedlich sein und umfassen verbale sowie nonverbale Handlungen - es muss nicht zwingend zu einem Körperkontakt gekommen sein. Auch peinliche Bemerkungen, deplatzierte Scherze, Gesten, die das Anstandsgefühl verletzen oder unerwünschte Telefonanrufe, E-Mails sowie SMS mit sexistischen oder anzüglichen Inhalten können als Beispiele genannt werden. Dabei spielt es keine Rolle, welche Funktion am Arbeitsplatz der Mitarbeiter, von welchem die sexuelle Belästigung ausgeht, innehat. Die sexuelle Belästigung setzt zudem keine systematischen bzw. über längere Zeit andauernden Übergriffe voraus. Vielmehr kann bereits eine einzige Belästigungshandlung genügen. Massgebend sind stets die Umstände des konkreten Einzelfalls.

Bundesgerichtliches Urteil BGer 4A_368/2023 vom 19. Januar 2024

Der diesem Urteil zu Grunde liegende Sachverhalt spielte sich in einer Bank ab. Eine Mitarbeitende meldete der betriebsinternen Ombudsfrau eine vermeintliche sexuelle Belästigung durch einen Arbeitnehmer. In der Folge leitete die Arbeitgeberin eine interne Untersuchung in die Wege und kündigte schliesslich gestützt auf deren Ergebnisse das Arbeitsverhältnis mit dem beschuldigten Arbeitnehmer ordentlich. Letzterer machte eine Entschädigung wegen missbräuchlicher Kündigung auf Grund der Art und Weise der Kündigung geltend. Nachdem die Erstinstanz die missbräuchliche Kündigung verneint hatte, wurde diese vom Obergericht des Kantons Zürich bejaht, weshalb die Arbeitgeberin (nachfolgend: Beschwerdeführerin) ans Bundesgericht gelangte.

Die Beschwerdeführerin hatte die Vorwürfe mittels interner Untersuchung sorgfältig abgeklärt und war dabei getreu den betriebsinternen Richtlinien und Merkblättern vorgegangen. Ein unabhängiges Team hatte den beschuldigten Arbeitnehmer (nachfolgend: Beschwerdegegner) sowie weitere Personen (betroffene Mitarbeitende und Zeugen) befragt, einen Teil der elektronischen Kommunikation des Beschwerdegegners untersucht, diesen befragt und ihm die Möglichkeit gegeben, das Gesprächsprotokoll durchzusehen und zu korrigieren. Die Ergebnisse der Untersuchung waren in einem Bericht festgehalten und der internen Disziplinarstelle präsentiert worden. Die Würdigung der Beweislage führte zum Resultat, dass die Vorwürfe mit grosser Wahrscheinlichkeit zuträfen. Aufgrund des begründeten Verdachts erschien die Weiterbeschäftigung des Betroffenen für die Beschwerdeführerin als unzumutbar.

Die Argumente des Beschwerdegegners vor Bundesgericht waren, dass er sich anlässlich der internen Untersuchung nicht wirksam habe wehren können, insbesondere weil ihm die Identität der angeblich sexuell belästigten Personen sowie die Einzelheiten der Vorwürfe nicht mitgeteilt worden seien. Zudem sei ihm das Gespräch, anlässlich dessen ihm das rechtliche Gehör gewährt wurde, nicht als Anhörung im Sinne des internen Merkblatts angezeigt worden, so dass er keine Gelegenheit erhalten habe, sich genügend auf das Entkräften der Vorwürfe vorzubereiten.

Bereits die Vorinstanz hielt fest, dass sich die Situation ähnlich wie in einem Strafverfahren verhalte, weshalb dem beschuldigten Arbeitnehmer grundsätzlich gleichwertige Garantien zu gewähren seien, wie in einer Strafuntersuchung. Jedoch machte das Bundesgericht deutlich, dass strafprozessuale Garantien nicht direkt auf eine privatrechtliche, interne Untersuchung übertragen werden dürfen und die Anforderungen im vorliegenden Fall tiefer seien. So weist das Bundesgericht darauf hin, dass es im Strafrecht keine «Verdachtsverurteilungen» gebe, arbeitsrechtliche Verdachtskündigungen im Gegensatz dazu zulässig und auch dann nicht missbräuchlich seien, wenn sich der Verdacht im Nachhinein als unbegründet erweise. Somit war es im vorliegenden Fall ausreichend, dass der Beschwerdegegner erst zu Beginn des Gesprächs (und nicht vorgängig) über dessen Zweck und Inhalt erfuhr. Dies wird dadurch bestärkt, dass er das Gesprächsprotokoll im Nachgang berichtigen und eine separate schriftliche Stellungnahme dazu abgeben konnte. In Bezug auf die Identität der meldenden Person ist in der Lehre unbestritten, dass deren Personalien vertraulich behandelt werden müssen und der beschuldigten Person nicht offenbart werden darf. Somit verneinte das Bundesgericht die Missbräuchlichkeit der Kündigung aufgrund der Art der Ausübung des Kündigungsrechts.

Pflichten des Arbeitgebers und praktische Hinweise

Wird eine sexuelle Belästigung gemeldet, muss der Arbeitgeber in Wahrnehmung der Fürsorgepflicht Vorwürfen nachgehen, Abklärungen tätigen und allen betroffenen Personen das rechtliche Gehör gewähren. Das Hauptziel sollte es jedoch sein, solche Situationen, wie im dargelegten Urteil, zu verhindern oder im Keim zu ersticken. Arbeitgeber sind daher gut beraten, in eine gute Betriebskultur zu investieren. Das heisst konkret, präventive Massnahmen vorzusehen und dank klarer interner Abläufe für den Ernstfall gewappnet zu sein. Folgende präventive Massnahmen sind in der Praxis angezeigt:

  • ein Merkblatt zum Schutz vor sexueller Belästigung erstellen, in welchem der Begriff der sexuellen Belästigung klar definiert und eine klare Null-Toleranz des Betriebs statuiert wird
  • die Null-Toleranz durch die wiederholte Information der Arbeitnehmenden und den tatsächlichen Vollzug von Konsequenzen im Ernstfall konsequent umsetzen
  • eine neutrale Vertrauensperson als Anlaufstelle im Betrieb definieren, an welche sich Arbeitnehmende, die sich sexuell belästigt fühlen, für Beratung und Unterstützung wenden können
  • ein klares internes Vorgehen für den Konfliktfall bei sexueller Belästigung definieren
  • Schulungen der Führungskräfte und Sensibilisierung der Arbeitnehmenden organisieren

Wird ein Fall von sexueller Belästigung im Betrieb gemeldet und kann der Konflikt mit Hilfe der internen Ansprechperson und Gesprächen nicht einvernehmlich gelöst werden, muss der Arbeitgeber im Rahmen des internen Vorgehens den Vorwürfen nachgehen und Abklärungen tätigen. Es ist insbesondere das rechtliche Gehör zu gewähren und die Ergebnisse der Abklärungen sind schriftlich festzuhalten. Bewahrheitet es sich, dass ein Fall von sexueller Belästigung vorliegt, muss der Arbeitgeber unverzüglich Konsequenzen ziehen, welche - je nach Schwere des Falles - von personalrechtlichen Disziplinarmassnahmen bis hin zur Entlassung reichen können. Als Hilfestellung können auch externe Fachstellen beigezogen werden.

Abschliessend kann als Hilfestellung zum Thema der sexuellen Belästigung auf die Broschüre des SECO Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz - Informationen für Arbeitgeber und Arbeitgeberinnen verwiesen werden.


[1] https://www.ebg.admin.ch/de/sexuelle-belastigung-am-arbeitsplatz ; siehe BGE 126 III 395, E. 7b)bb) und Urteil BGer 4A_18/2018 vom 21.11.2018, E. 3.1.

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