1. Dezember 2014
Der Schutz der Persönlichkeit des Arbeitnehmers ist Teil der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers. Sie beinhaltet dreierlei: Der Arbeitgeber hat selber persönlichkeitsverletzende Eingriffe zu unterlassen, den Arbeitnehmer vor Übergriffen Dritter (Vorgesetze, Mitarbeiter, Kunden, Lieferanten) zu schützen und die berechtigten Interessen des Arbeitnehmers zu wahren. In der Rechtsprechung der letzten Jahre hat die Schutzbestimmung OR 328 an Bedeutung zugenommen. In der vorliegenden Ausgabe wird sie im Zusammenhang mit der missbräuchlichen Kündigung und der fristlosen Entlassung anhand von zwei neueren Bundesgerichtsentscheiden erläutert. In beiden Fällen wurde dem Arbeitgeber eine Verletzung des Persönlichkeitsschutzes vorgeworfen, weshalb im einen Fall die Kündigung als missbräuchlich und im anderen Fall die fristlose Entlassung als ungerechtfertigt beurteilt wurde.
Im Zusammenhang mit missbräuchlicher Kündigung
Missbräuchlich ist eine Kündigung nur, wenn sie aus bestimmten, in OR 336 umschriebenen Gründen ausgesprochen wird, wobei die Aufzählung nicht abschliessend ist. Es sind deshalb weitere Tatbestände denkbar und vom Bundesgericht auch schon mehrfach anerkannt worden. Der Vorwurf der Missbräuchlichkeit setzt indessen voraus, dass die geltend gemachten Gründe eine Schwere aufweisen, die mit jener der in OR 336 ausdrücklich aufgezählten vergleichbar ist. Der sachliche Kündigungsschutz knüpft am Motiv der Kündigung an. Die Missbräuchlichkeit kann sich aber auch aus der Art und Weise ergeben, wie die kündigende Partei ihr Recht ausübt. Auch wenn eine Partei die Kündigung rechtmässig erklärt, muss sie das Gebot schonender Rechtsausübung beachten. Sie darf insbesondere kein falsches und verdecktes Spiel treiben, das Treu und Glauben krass widerspricht. Ein krass vertragswidriges Verhalten, namentlich eine schwere Persönlichkeitsverletzung im Umfeld einer Kündigung, kann diese als missbräuchlich erscheinen lassen.
Zu beachten ist nämlich, dass der Arbeitgeber gemäss OR 328 verpflichtet ist, die Persönlichkeit des Arbeitnehmers zu achten und zu schützen. Er hat sich jedes durch den Arbeitsvertrag nicht gerechtfertigten Eingriffs in die Persönlichkeitsrechte zu enthalten und diese auch gegen Eingriffe von Vorgesetzten, Mitarbeitern und Dritten zu schützen. Diese Fürsorgepflichten bilden das Gegenstück zur Treuepflicht des Arbeitnehmers. Daraus hat das Bundesgericht abgeleitet, dass eine Kündigung rechtmässig ist, wenn wegen des schwierigen Charakters eines Arbeitnehmers eine konfliktgeladene Situation am Arbeitsplatz entstanden ist, die sich schädigend auf die gemeinsame Arbeit auswirkt, und wenn der Arbeitgeber zuvor sämtliche ihm zumutbaren Vorkehren getroffen hat, um den Konflikt zu entschärfen. Hat sich der Arbeitgeber nicht oder ungenügend um die Lösung des Konflikts bemüht, ist er seiner Fürsorgepflicht nicht hinreichend nachgekommen, weshalb sich die Kündigung als missbräuchlich erweist. Als geeignete Massnahmen in diesem Sinne wurden vom Bundesgericht etwa die Durchführung von Einzel- und Gruppengesprächen mit den Konfliktbeteiligten, das Erteilen von konkreten Verhaltensanweisungen, der Beizug einer Vertrauensstelle oder einer externen Beilegung des Streits qualifiziert. Ebenso sind Befragungen, Aussprachen, Teamsitzungen, der Beizug von Coaches und Mediatoren, die Umorganisation der Arbeitsabläufe, das Vorsehen von Zielvorgaben, Verwarnungen und interne Versetzungen vorstellbar. Der Umfang und die Intensität der erfolgten Massnahmen ist stets einzelfallbezogen im Rahmen einer Gesamtwürdigung der jeweiligen Umstände zu prüfen. Dabei spielt das fortgeschrittene Alter eines Arbeitnehmers mit langer Dienstzeit eine massgebliche Rolle. Für diese Arbeitnehmerkategorie gilt eine erhöhte Fürsorgepflicht.
Das Bundesgericht erwog im Urteil 4A_384/2014 vom 12.11.2014 Folgendes: Nach zweimaligem Burn-Out eines Arbeitnehmers hat der Arbeitgeber für ihn ein Home-Office eingerichtet. Ferner wurden Gespräche geführt und anschliessend ein “act of commitment“ vereinbart und Teamveranstaltungen durchgeführt, um das Arbeitsklima zu verbessern. Des Weiteren stellte ihm der Arbeitgeber einen Mitarbeiter zur Seite, der ihm bei EDV-Problemen behilflich sein sollte. Gemäss Bundesgericht bestand jedoch angesichts des Alters (59-jährig) und der Betriebstreue (11 Jahre) des Arbeitnehmers eine erhöhte Fürsorgepflicht. Der Arbeitgeber war deshalb gehalten, bei den Kündigungsmodalitäten ein möglichst schonendes, den sich gegenüberstehenden Interessen Rechnung tragendes Verhalten an den Tag zu legen. Vor dem Aussprechen der Kündigung hat der Arbeitgeber nie klar signalisiert, dass die gerügten Mängel für den Arbeitgeber einen Schweregrad aufwiesen, der bei Nichtbehebung eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses nach sich zöge. Vorgängig zur Kündigung mit sofortiger Freistellung wäre es deshalb am Arbeitgeber gelegen, ein entsprechendes Gespräch zu führen, den Arbeitnehmer nachdrücklich auf die Folgen seiner Unterlassung hinzuweisen und ihm mit Fristansetzung und Zielvereinbarung eine letzte Chance zu geben, seinen Aufgaben in genügendem Masse nachzukommen. Diese Vorgehensweise ist jedoch keine generelle Verpflichtung, sondern Ausfluss der im vorliegenden Fall erweiterten Fürsorgepflicht. Indem auf diesen Schritt verzichtet wurde, hat der Arbeitgeber die ihm obliegende Fürsorgepflicht verletzt, wenn auch aufgrund der Umstände lediglich in einem geringen Mass. Eine Entschädigung von zwei Monatslöhnen als Sanktion war deshalb gerechtfertigt.
Im Zusammenhang mit fristloser Entlassung
Das Bundesgericht erwog im Urteil 4A_60/2014 vom 22.7.2014 Folgendes: Wie die Vorinstanz hat es angenommen, dass ein physischer Angriff wie im vorliegenden Fall auf eine 61-jährige hierarchisch höher gestellte Person grundsätzlich ein wichtiger Grund darstellt, der eine fristlose Entlassung ohne vorgängige Verwarnung rechtfertigt. Der Angriff ist aber zumindest teilweise provoziert worden durch das vom Arbeitgeber tolerierte Verhalten am Arbeitsplatz. Der Verlust der Selbstbeherrschung hatte ihren Ursprung im schlechten Gesundheitszustand des Arbeitnehmers, welcher wiederum ausschliesslich durch ein fast einjähriges Mobbing verursacht wurde. Gemäss Bundesgericht geht es nicht darum, die potentielle Schwere des Angriffs herunterzuspielen, sondern festzustellen, dass der Arbeitgeber, der keine Massnahmen im Sinne von OR 328 getroffen hat, um den zwischenmenschlichen Konflikt zu entschärfen, verantwortlich ist – zumindest teilweise – für die Ereignisse, die in seinem Unternehmen vorkommen. Auch wenn der Angriff in Anwesenheit von Kollegen und Kunden stattfand, kann das Verhalten des Arbeitgebers – entgegen der Ansicht der Vorinstanz – nicht ausser Betracht gelassen werden. Somit erwies sich die fristlose Entlassung als ungerechtfertigt.
Kommentar
Die Fälle häufen sich, in denen OR 328 herangezogen wird, um eine Kündigung als missbräuchlich zu beurteilen (vgl. dazu ARBEITSRECHT Nr. 167 und 184). Aber auch im Zusammenhang mit fristlosen Entlassungen hat der Arbeitgeber OR 328 zu berücksichtigen. Auch wenn es sich bei diesen Urteilen immer um spezielle Einzelfälle handelt, ist der Arbeitgeber gut beraten, den Schutz der Persönlichkeit vermehrt im Auge zu behalten und entsprechende Massnahmen zu treffen.
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