Die vorliegende Ausgabe erläutert zwei aktuelle Urteile des Bundesgerichts mit folgendem Kerninhalt: Ein Provisionsanspruch kann mangels klarer vertraglicher Regelung auch bestehen, wenn Geschäfte mit Dritten nicht abgeschlossen werden. Besteht der Lohn ausschliesslich oder vorwiegend in einer Provision, so ist ein angemessenes Entgelt geschuldet, welches eine anständige Lebensführung ermöglicht. Dies gilt nicht nur für Handelsreisende, sondern für alle Arbeitnehmer, die so entschädigt werden.
Provisionsanspruch
Ist eine Provision des Arbeitnehmers auf bestimmten Geschäften verabredet, so entsteht der Anspruch darauf, wenn das Geschäft mit dem Dritten rechtsgültig abgeschlossen ist (OR 322b/1).
Das Bundesgericht hatte folgenden Sachverhalt zu beurteilen (Urteil 4A_402/2013 vom 9. Januar 2014): Der Arbeitsvertrag einer Immobilienmaklerin sah einen fixen Monatslohn von 3‘500 Franken für ein 60%-Pensum vor. Zudem hatte die Arbeitnehmerin Anspruch auf einen Anteil an den vom Arbeitgeber eingenommenen Honoraren, bis zu 40% dieser Honorare, auf den von ihr eingeführten und verwalteten Geschäften. Gemäss Arbeitsvertrag hatte die Arbeitnehmerin ebenfalls Anspruch auf 30% der vom Arbeitgeber eingenommenen Honoraren auf Geschäften, die ihr als Geschäftsführerin (project manager) vom Arbeitgeber anvertraut worden waren. Die Arbeitnehmerin war in dieser Funktion vom Arbeitgeber beauftragt, für einen Kunden ein Mietobjekt und für einen anderen ein Grundstück zum Kauf zu finden. Beide Geschäfte kamen nicht zum Abschluss. Trotzdem erhielt der Arbeitgeber für seine Aufwendungen Honorare von 18‘250 Franken. Der Arbeitgeber machte geltend, dass es sich bei den vereinbarten Honoraranteilen um Provisionen gemäss OR 322b/1 handle, und dass diese der Arbeitnehmerin nicht geschuldet seien, da die beiden Geschäfte nicht zum Abschluss gekommen sind. OR 322b/1 ist relativ zwingender Natur, das heisst die Vertragsparteien können rechtsgültig zu Gunsten der Arbeitnehmerin davon abweichen. Es ist also zulässig zu vereinbaren, dass eine Provision geschuldet ist, auch aufgrund von Geschäften, die nicht abgeschlossen worden sind. Der Arbeitsvertrag und sein Anhang waren klar. Der Anspruch auf die Honoraranteile wurde nicht vom Abschluss des Geschäfts abhängig gemacht. Zudem wurde berücksichtigt, dass der Arbeitgeber bei der Geltendmachung des Anspruchs kurz vor dem Ende des Arbeitsverhältnisses keinen Vorbehalt ausgedrückt hat, ja sogar für eines der beiden Geschäfte positiv geantwortet hat. Die Arbeitnehmerin hatte somit gemäss Bundesgericht Anspruch auf 30% von 18‘250 Franken.
Arbeitnehmer oder Handelsreisender?
Eine schriftliche Abrede, dass der Lohn ausschliesslich oder vorwiegend in einer Provision bestehen soll, ist gültig, wenn die Provision ein angemessenes Entgelt für die Tätigkeit des Handelsreisenden ergibt (OR 349a/2). Diese Bestimmung ist Teil der nur für Handelsreisende anwendbaren gesetzlichen Regeln (OR 347-350a). Die für den „normalen“ Einzelarbeitsvertrag geltenden Regeln enthalten keine ähnliche Bestimmung.
Das Bundesgericht hatte folgenden Sachverhalt zu beurteilen (BGE 139 III 214): Gemäss Arbeitsvertrag verpflichtete sich der Arbeitnehmer, dem Arbeitgeber in einem Unterordnungsverhältnis seine Dienste als „conseiller économique“ zur Verfügung zu stellen. Es war kein fixer Lohn vereinbart, sondern das Salär des Arbeitnehmers bestand ausschliesslich aus Provisionen, die sich aufgrund der von ihm für den Arbeitgeber abgeschlossenen Geschäfte berechneten. Die Vorinstanz hat es unterlassen abzuklären, ob dieser Vertrag als Handelsreisendenvertrag zu qualifizieren ist oder nicht und entsprechend OR 349a/2 anwendbar ist oder nicht. Gemäss Bundesgericht spielt dies jedoch keine Rolle. Um zu verhindern, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer ausbeutet, indem er ihm vorspiegelt, unrealistische Provisionen erzielen zu können, muss die Schutzwirkung von OR 349a/2 analog auf alle vorwiegend mit Provisionen entschädigten Arbeitnehmer angewendet werden. Somit hatte das Bundesgericht noch die Frage zu beantworten, ob der vom „conseiller économique“ tatsächlich erzielte durchschnittliche Nettomonatslohn von 2‘074 Franken für ein Vollzeitpensum als angemessen im Sinn des Gesetzes zu qualifizieren ist.
Angemessenes Entgelt
Der Begriff „angemessen“ ist ein ungenauer Rechtsbegriff , welcher vom Richter nach seinem Ermessen auszulegen ist. Gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung ist das Entgelt angemessen, wenn es dem Arbeitnehmer unter Berücksichtigung seines Arbeitseinsatzes, seiner Ausbildung, seiner Dienstjahre, seines Alters, seiner sozialen Verpflichtungen und der Branchenüblichkeit eine anständige Lebensführung ermöglicht. So war es für das Bundesgericht im vorliegenden Fall klar, dass der durchschnittliche Nettomonatslohn von 2‘074 Franken nach der allgemeinen Erfahrung keine anständige Lebensführung ermöglicht und somit nicht angemessen war, dies unabhängig von der persönlichen Situation des Arbeitnehmers. Der Arbeitnehmer verlangte eine Erhöhung seines Nettomonatslohns um 1‘800 Franken auf 3‘874 Franken, was ihm von der Vorinstanz gewährt worden war. Das Bundesgericht sah darin keine rechtsmissbräuchliche Ermessensausübung der Vorinstanz, welche die 3‘874 Franken als angemessene Entschädigung gemäss OR 349a/2 beurteilte. Tatsächlich ist dieser Monatslohn noch viel geringer als der vom Bundesamt für Statistik berechnete monatliche Bruttomedianlohn – privater und öffentlicher Sektor – für einfache und repetitive Tätigkeiten in der Genferseeregion (4‘727 Franken im Jahr 2010).
Kommentar
Nicht jede Vergütung in Form einer Provision ist nur dann geschuldet, wenn das Geschäft mit dem Dritten rechtsgültig abgeschlossen ist. Wichtig ist, dass die vertragliche Vereinbarung diese Bedingung auch tatsächlich enthält. Ansonsten besteht das erhebliche Risiko, dass der Arbeitgeber wie im Urteil 4A_402/2013 die Provisionen trotz mangelnder Vertragsabschlüsse bezahlen muss. Schwierig ist es nach wie vor für die Arbeitgeber, im Voraus beurteilen zu können, ob ein Lohn, der ausschliesslich oder vorwiegend in einer Provision besteht, ein angemessenes Entgelt darstellt. Daran hat sich mit dem BGE 139 III 214 nichts geändert. Dabei sind die zahlreichen genannten Kriterien zu berücksichtigen. Erreicht das Entgelt nicht ein bestimmtes Niveau, kann es vom Richter berichtigt werden.
Vgl. zur Provision auch ARBEITSRECHT Nr. 62 – Februar 2004.
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