13. September 2024
Ist der Arbeitnehmer an der Arbeit verhindert, hat er aufgrund seiner Treuepflicht (Art. 321a Abs. 1 OR) den Arbeitgeber umgehend, sowie bei länger dauernden Absenzen fortlaufend und vollständig über den Bestand, den Grad und die voraussichtliche Dauer einer Arbeitsunfähigkeit zu informieren. Zudem muss der Arbeitnehmer gestützt auf die allgemeinen Beweisregeln (Art. 8 ZGB) grundsätzlich vom ersten Tag an beweisen, dass er unverschuldet an der Arbeitsleistung verhindert ist.
In der Praxis haben sich in den Anstellungsbedingungen (Arbeitsvertrag, Personalreglement o.Ä.) Regelungen eingebürgert, wonach der Arbeitnehmer seine Arbeitsunfähigkeit erst ab einer bestimmten Zeit, etwa dem 3. oder 4. Absenztag (oder Kalendertag) mit einem Arztzeugnis belegen muss. Das bewirkt für die ersten Absenztage eine Umkehr der Beweislast, sprich, der Arbeitnehmer hat dem Arbeitgeber lediglich sofort mitzuteilen, dass er arbeitsunfähig ist, ohne dass er dies beweisen muss: Es gilt die Vermutung, dass er tatsächlich arbeitsunfähig ist, ausser der Arbeitgeber kann beweisen, dass der Arbeitnehmer ganz oder teilweise arbeitsfähig ist.
Es empfiehlt sich daher eine vertragliche Regelung, die vorsieht, dass der Arbeitgeber mittels vorgängiger schriftlicher Ankündigung für jede Abwesenheit unabhängig von deren Dauer ein Arztzeugnis verlangen kann und sich vorbehält, den Arbeitnehmer – auf Kosten des Arbeitgebers – zur vertrauensärztlichen Untersuchung aufzubieten. Es kann zudem sinnvoll sein, im Vertrag oder Personalreglement generell festzuhalten, dass der Arbeitnehmer im gekündigten Arbeitsverhältnis vom ersten Abwesenheitstag an ein Arztzeugnis vorlegen muss, da eine unverschuldete Arbeitsverhinderung während der Kündigungsfrist bei einer Kündigung durch den Arbeitgeber grundsätzlich eine Verlängerung des Arbeitsverhältnisses von mindestens einem Monat bewirkt.
Was ist zu unternehmen, wenn der Arbeitnehmer arbeitsunfähig ist und nicht wie in den Anstellungsbedingungen vorgesehen ab dem 3./4. Krankheitstag ein ärztliches Zeugnis einreicht? Ist der Arbeitnehmer telefonisch nicht erreichbar oder ist auch sonst nicht mit einem Arztzeugnis zu rechnen, kann ein eingeschriebener Brief an den Arbeitnehmer mit z.B. folgendem Inhalt sinnvoll sein: «Sie sind infolge Arbeitsunfähigkeit 3 Tage der Arbeit ferngeblieben. Vereinbarungsgemäss hätte heute ein ärztliches Zeugnis bei uns eintreffen sollen. Ein solches haben wir nicht erhalten und Sie telefonisch nicht erreichen können. Wir fordern Sie hiermit zur sofortigen Arbeitsaufnahme auf. Sollten Sie dieser Aufforderung nicht fristgerecht nachkommen, gilt das Arbeitsverhältnis als durch Sie ohne wichtigen Grund gemäss Art. 337d OR fristlos aufgelöst mit den entsprechenden Rechtsfolgen, insbesondere dem Anspruch des Arbeitgebers auf einen Viertel des Monatslohnes.»
Der Arbeitnehmer ist durch das Arztgeheimnis geschützt und der Inhalt des ärztlichen Zeugnisses dadurch beschränkt. Das ärztliche Zeugnis sollte folgende Punkte beinhalten: Die Ursache der Arbeitsunfähigkeit – Krankheit, Unfall oder Schwangerschaft – sowie den Grad und die Dauer der Arbeitsunfähigkeit. Arbeitsunfähigkeit ist die durch eine Beeinträchtigung der körperlichen oder geistigen Gesundheit bedingte, volle oder teilweise Unfähigkeit, im bisherigen Beruf oder Aufgabenbereich zumutbare Arbeit zu leisten (Art. 6 ATSG). Ein Arztzeugnis ist generell nur gültig, wenn es Datum, Stempel und eigenhändige Unterschrift des behandelnden Arztes aufweist.
Der Richter kann sich über den in einem ärztlichen Zeugnis enthaltenen Befund hinwegsetzen, wenn sich aus den Umständen ergibt, dass die Arbeitsunfähigkeit nicht bestand.
Laut Standesordnung der FMH ist die Ausstellung von Gefälligkeitszeugnissen unzulässig. Zudem ist der Arzt gemäss Art. 318 StGB strafbar, wenn er ein unwahres Zeugnis ausstellt.
Ist ein Arbeitnehmer beispielsweise zu 50% arbeitsunfähig geschrieben, stellt sich die Frage, ob dies die halbe Zeit mit normalem Arbeitstempo oder die ganze Zeit mit reduziertem Arbeitstempo bedeutet. Ist ein Arbeitnehmer zu 50% krankheitsbedingt arbeitsunfähig, bedeutet dies in der Regel, dass er 50% der Zeit mit normalem Arbeitstempo arbeiten muss.
Zu Fragen Anlass gibt oft auch die Berechnung der Arbeitsunfähigkeit bei einem Teilzeitpensum. Der Umfang der Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers kann auf zwei Arten interpretiert werden:
Sofern dies nicht eindeutig aus dem Arztzeugnis hervorgeht, ist es sinnvoll, dass der Arbeitgeber den behandelnden Arzt, der das Arztzeugnis ausgestellt hat, kontaktiert, damit er seinen Hinweis begründet und klarstellt, ob sich der Grad der Arbeitsunfähigkeit auf eine Vollzeitbeschäftigung oder auf das Arbeitspensum des Arbeitnehmers bezieht.
Gemäss den Empfehlungen der Ärztegesellschaft des Kantons Zürich (vgl. das «Merkblatt Arbeitsunfähigkeit / Absentismus») kann der Arbeitgeber vom Arzt die Angabe der Mindestdauer der Krankheit verlangen. Ist dies nicht möglich, ist entweder das Datum der nächsten Konsultation zu nennen oder ein Termin festzulegen, an welchem der Fall neu beurteilt wird.
Diese dürften nur in Ausnahmefällen gerechtfertigt sein. Die FMH hält im Praxisleitfaden «Rechtliche Grundlagen im medizinischen Alltag» zu rückwirkend ausgestellten Arztzeugnissen fest, dass der Rückwirkungszeitraum nicht mehr als wenige Tage betragen sollte, im Allgemeinen nicht mehr als 3 bis 4 Tage, je nach Erkrankung allerhöchstens 1 Woche. Der Arbeitgeber darf darauf bestehen, dass ein solches Arztzeugnis das Datum der Ausstellung, den Beginn der Behandlung sowie die Dauer der Arbeitsunfähigkeit enthält. Empfohlen wird zudem der Vermerk «Nach Angaben des Patienten».
Ein rückwirkend ausgestelltes Arztzeugnis ist gemäss Bundesverwaltungsgericht zwar nicht unproblematisch, kann aber nicht von vornherein als ungültig erachtet werden (Urteil A-4973/2012 vom 5. Juni 2013). Wenn jedoch ein Arztzeugnis eine übermässige Rückdatierung aufweist, d.h. der Beginn der Arbeitsunfähigkeit ohne plausible Begründung auf einen Zeitpunkt von mehr als 5 Tagen vor der ersten ärztlichen Konsultation festgelegt wird, lässt dies am Beweiswert des Arztzeugnisses zweifeln.
Das Arztzeugnis ist ein Mittel, um die Arbeitsunfähigkeit aus medizinischen Gründen zu beweisen. Es ist jedoch nicht das einzige mögliche Beweismittel und hat keine absolute Geltung. Eine unverschuldete Arbeitsverhinderung kann beispielsweise auch mit Zeugen bewiesen werden. Zur Entkräftung eines Arztzeugnisses können insbesondere das Verhalten des Arbeitnehmers, oder die Umstände, infolge deren die Arbeitsunfähigkeit vorgebracht wurde, berücksichtigt werden. Zum Beispiel:
Gemäss gängiger Praxis des Bundesgerichts hat ein Arztzeugnis keine absolute Beweiskraft, aber um seinen Wahrheitsgehalt in Zweifel zu ziehen, braucht es schon ernsthafte Gründe. Das Arztzeugnis ist also nicht ein Beweismittel wie alle anderen, sondern hat ein besonderes Gewicht.
Zweifelt der Arbeitgeber an der durch ein Arztzeugnis bescheinigten Arbeitsunfähigkeit eines Arbeitnehmers, reicht es im Allgemeinen nicht, diesem (eingeschrieben) mitzuteilen, dass er das Zeugnis nicht akzeptiert. Er hat den Arzt über die ihm zweifelhaften Punkte – ausserhalb des Arztgeheimnisses – zu befragen. Insbesondere ist er berechtigt, sich zu vergewissern, ob die Arbeitsunfähigkeitsbestätigung auf Feststellungen des Arztes und nicht nur auf den Angaben des Patienten beruht, insbesondere wenn das Zeugnis rückwirkend ausgestellt wurde. Wenn ein Zeugnis für einen weit zurückliegenden Zeitraum beigebracht wird, so dass eine Überprüfung der Arbeitsunfähigkeit nicht oder kaum mehr möglich ist, ist dessen Beweiskraft schwach.
Im Übrigen ist der Arbeitgeber bei Zweifeln an der Richtigkeit eines Arztzeugnisses jederzeit berechtigt, auf seine Kosten eine Untersuchung durch einen Vertrauensarzt zu verlangen. Es ist empfohlen, das Recht zur Anordnung einer vertrauensärztlichen Untersuchung vertraglich zu verankern. Verweigert der Arbeitnehmer diese Untersuchung, kommt er seiner Treue- bzw. Mitwirkungspflicht nicht nach, was dem Arbeitgeber das Recht gibt, die Lohnfortzahlung zu verweigern. Konkret ist in solchen Fällen zu empfehlen, den Arbeitnehmer schriftlich per Einschreiben zur Arbeitsaufnahme aufzufordern mit dem Hinweis, dass die Arbeitsunfähigkeit nicht belegt sei, und der Androhung, dass andernfalls die Lohnzahlung eingestellt werde.
Es kommt relativ häufig vor, dass Arbeitnehmer nach empfangener Kündigung umgehend einen Arzt aufsuchen, und dieser sie bereits für den Kündigungstag arbeitsunfähig schreibt. In den meisten Fällen wird ein Arbeitnehmer, der sich so verhält, die Ungültigkeit der Kündigung geltend machen. Dies hätte dann ein Schlichtungs- und allenfalls ein Gerichtsverfahren zur Folge. Das Gericht müsste sodann prüfen, ob die Krankheitssymptome bereits im Moment des Kündigungsempfangs vorlagen oder nicht, dies unter Berücksichtigung der konkreten Beweislage (Urteil Bundesgericht 4A_89/2011 vom 27. April 2011). Ob es zum Schluss kommt, dass die Kündigung gültig und somit nicht während einer Sperrfrist gemäss Art. 336c Abs. 1 Bst. b OR erfolgt ist, ist somit jeweils offen.
Will ein Arbeitgeber dieses Risiko nicht eingehen, ist eine nochmalige formelle Kündigung nach Ablauf der Sperrfrist sinnvoll und empfehlenswert. Eine mögliche Formulierung könnte wie folgt lauten: «Wir kündigen Ihnen hiermit das Arbeitsverhältnis formell noch einmal unter Einhaltung der Kündigungsfrist von [Anzahl] Monaten auf den [Datum], für den Fall, dass sich unsere Kündigung vom [Datum] als ungültig erweisen sollte.»
Der Arbeitgeber ist gut beraten, Arztzeugnisse jeweils genau zu sichten und im Einzelfall bei Fragen oder Zweifeln die nötigen Schritte einzuleiten (Einholung Erklärungen beim ausstellenden Arzt; Anordnung vertrauensärztliche Beurteilung etc.). Es empfiehlt sich zudem, bei einer Kündigung, auf welche ein Arztzeugnis folgt, nach Ablauf der Sperrfrist vorsorglich erneut die Kündigung auszusprechen.
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