Wenn der Arbeitgeber entscheidet, seinen Mitarbeiter während der Kündigungsfrist freizustellen, geht er nicht selten davon aus, dass die Freistellung automatisch einen allfälligen noch nicht bezogenen Feriensaldo ausgleicht. Dies ist jedoch nicht korrekt. Umgekehrt wird manchmal behauptet, den Arbeitgeber treffe ein Verbot, dem Mitarbeiter während der Dauer der Kündigungsfrist über eine bestimmte starre Grenze hinaus Ferien anzuordnen. Auch dies ist nicht ganz richtig.
Gemäss Art. 329c Abs. 2 OR (Obligationenrecht, SR 220) «[bestimmt] der Arbeitgeber den Zeitpunkt der Ferien und nimmt dabei auf die Wünsche des Arbeitnehmers soweit Rücksicht, als dies mit den Interessen des Betriebs vereinbar ist». Somit kommt das Recht zur Festlegung der Ferien und somit der Entscheid über den Zeitpunkt des Bezugs sehr wohl dem Arbeitgeber zu. Daraus folgt, dass sich der Mitarbeiter nicht aus reiner Bequemlichkeit weigern kann, zu einem bestimmten festgelegten Zeitpunkt, auch während der Freistellungsdauer, Ferien zu beziehen.
Ein weiterer Grundsatz ist jener des Abgeltungsverbots der Ferien, der in Art. 329d Abs. 2 OR verankert ist: «Die Ferien dürfen während der Dauer des Arbeitsverhältnisses nicht durch Geldleistungen oder andere Vergünstigungen abgegolten werden.». Dies gilt unabhängig davon, welche Partei das Arbeitsverhältnis gekündigt hat und ist auf den Zweck der Ferien zurückzuführen, welcher die Erholung darstellt. Die Rechtsprechung hat mehrfach wiederholt, dass das Ferienabgeltungsverbot eine zwingende Norm ist, welche nicht nur bis zum Kündigungsempfang, sondern bis an das Ende des Arbeitsverhältnisses gilt. Nur wenn der Ferienbezug in natura nicht möglich oder zumutbar ist, ist eine Umwandlung in eine Geldleistung zulässig (siehe namentlich BGE 106 II 152; BGE 128 III 271; Entscheid des BGer 4C.84/2005).
Jedoch kann der eigentliche Zweck der Kündigungsfrist ein Hindernis für den Bezug der Ferien in natura darstellen, indem er Umstände schafft, unter welchen der Ferienbezug «nicht vernünftigerweise verlangt werden kann». Der Zweck der Kündigungsfrist ausserhalb der Probezeit ist es nämlich, den Parteien Zeit zu geben, damit sich diese organisieren können. Aus Mitarbeitersicht bedeutet das insbesondere, dass Zeit für eine neue Stellensuche gewährt wird. Dies ergibt sich aus art. 329 Abs. 3 OR, wo das Gesetz dem Arbeitgeber ausdrücklich vorschreibt, dem Mitarbeiter nach erfolgter Kündigung die erforderliche Zeit für das Aufsuchen einer anderen Arbeitsstelle zu gewähren. Dieses Erfordernis hat Vorrang gegenüber dem Abgeltungsverbot der Ferien (BGE 128 III 271).
Aus dem Gesagten ist ersichtlich, dass die Hauptschwierigkeit bei der Frage des Ferienbezugs während einer Freistellung in den diversen Regeln liegt, welche in Konkurrenz zueinander stehen und einander teilweise widersprechen. Folglich ist bei deren Anwendung die jeweilige Wichtigkeit der einzelnen Regeln zu beurteilen.
Um also bestimmen zu können, ob der Arbeitgeber den Ferienbezug vom Mitarbeiter in einer solchen Situation verlangen darf, müssen die gesamten Umstände des Einzelfalls betrachtet werden. Das Verhältnis zwischen der Dauer der Freistellung und dem noch zu beziehenden Feriensaldo ist oftmals massgebend. Andere Elemente können aber im Einzelfall relevant sein, so wie beispielsweise die Schwierigkeit (oder im Gegenteil die Mühelosigkeit) des Mitarbeiters, eine neue Stelle in der betreffenden Branche zu finden (BGE 4A_38/2020; Urteil des BGer 4C.84/2002). Wenn davon ausgegangen wird, dass die Ferien oder ein Teil davon während der Freistellungsdauer bezogen werden können, muss der Mitarbeiter gemäss der geltenden bundesgerichtlichen Rechtsprechung aufgrund seiner Treuepflicht von sich aus zusehen, dass der Ferienbezug erfolgt, auch ohne entsprechende ausdrückliche Anordnung des Arbeitgebers (BGE4A_526/2020).
Die durch die Rechtsprechung festgelegte Grundregel besagt, dass der Zeitraum, während welchem Ferien bezogen werden können, nicht mehr als ungefähr «ein Drittel oder ein Viertel» der gesamten Freistellungsdauer ausmachen darf (vgl. BGE 4A_319/2019; BGE 4A_526/2020). Die Ausnahme macht jedoch die Regel: Es kann Fälle geben, in welchen der Bezug eines höheren Ferienanteils zulässig ist.
So wurde zum Beispiel in einem Einzelfall bei einer Freistellungsdauer von 84 Arbeitstagen die Abgeltung von 40 Ferientage und somit fast die Hälfte (47.6%) der Freistellungsperiode zugelassen. Es herrschten in diesem Fall jedoch besondere Umstände. Der Mitarbeiter wurde von Juni bis September freigestellt, wusste jedoch bereits seit April, dass die Filiale, in welcher er arbeitete, schliessen würde und hatte während der gleichen Periode Kontakte mit einem potenziellen neuen Arbeitgeber gehabt. Der Einstellungsentscheid fiel Ende Juli. Der Mitarbeiter und sein neuer Arbeitgeber standen in den Monaten August und September in regelmässigem Austausch. Jedoch konnte der Mitarbeiter nicht glaubhaft nachweisen, dass ein Ferienbezug verunmöglicht worden wäre, weil der Kontakt mit dem neuen Arbeitgeber täglich stattgefunden hatte (BGE 4A_38/2020).
In einem anderen Fall wurde der Mitarbeiter am 16. November auf den 31. Dezember entlassen, was eine Freistellungsdauer von 35 Tagen bedeutete. Er verfügte zu dieser Zeit noch über ein Ferienguthaben von 13 Tagen (sprich 37% der Freistellungsdauer). Das Bundesgericht hat hier zugelassen, dass die gesamten restlichen Ferientage abgegolten werden. Der Mitarbeiter war ein «erfahrener Verkäufer in seinen besten Jahren», so dass 22 volle Arbeitstage als ausreichend für die Arbeitssuche angesehen wurden.
Dem bisher Gesagten zufolge kann festgehalten werden, dass zum vorliegenden Thema keine absoluten Regeln festgelegt werden können. Indessen können aber zumindest einige Tipps abgegeben werden:
Eine Kategorie wählen: