Die Lohnfortzahlungspflicht des Arbeitgebers gemäss OR 324a und 324b hängt davon ab, ob der Arbeitnehmer nachzuweisen vermag, dass er ohne sein Verschulden und aus Gründen, die in seiner Person liegen, an der Arbeitsleistung verhindert ist. Nicht das einzige, aber in der Regel ein gutes Beweismittel bei Absenzen in Folge Krankheit oder Unfall ist das ärztliche Zeugnis. Dieselbe wichtige Bedeutung hat das ärztliche Zeugnis auch bei der Kündigung zur Unzeit gemäss OR 336c/1/b und 336c/2.
Informationspflicht und Abgabe eines ärztlichen Zeugnisses
Ist der Arbeitnehmer an der Arbeit verhindert, hat er den Arbeitgeber umgehend zu informieren. Diese Informationspflicht fliesst aus der Treuepflicht gemäss OR 321a. In der Regel macht es nicht Sinn und ist nicht üblich, vom ersten Absenztag an ein ärztliches Zeugnis zu verlangen. Empfehlenswert kann beispielsweise folgende Vereinbarung sein: „Bei mehr als dreitägiger Arbeitsverhinderung in Folge Krankheit oder Unfall hat der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber unaufgefordert und spätestens am vierten Krankheitstag ein ärztliches Zeugnis vorzulegen. Ausnahmsweise kann der Arbeitgeber bereits ab dem ersten Absenztag auf einem solchen bestehen. Der Arbeitgeber behält sich zudem vor, den Arbeitnehmer zur vertrauensärztlichen Untersuchung aufzubieten.“
Was ist zu unternehmen, wenn sich der Arbeitnehmer krank meldet, aber z.B. am vierten Krankheitstag kein ärztliches Zeugnis einreicht? Ist der Arbeitnehmer telefonisch nicht erreichbar oder ist auch sonst nicht mit einem Arztzeugnis zu rechnen, kann ein eingeschriebener Brief an den Arbeitnehmer mit z.B. folgendem Inhalt sinnvoll sein: „Sie sind nun bereits vier Tage der Arbeit ferngeblieben. Vereinbarungsgemäss hätte heute ein ärztliches Zeugnis bei uns eintreffen sollen. Dies ist nicht geschehen und telefonisch sind Sie nicht erreichbar. Wir fordern Sie hiermit zur sofortigen Arbeitsaufnahme auf. Sollten Sie dieser Aufforderung nicht fristgerecht nachkommen, gilt das Arbeitsverhältnis als durch Sie ohne wichtigen Grund gemäss OR 337d fristlos aufgelöst mit den entsprechenden Rechtsfolgen, insbesondere dem Anspruch des Arbeitgebers auf einen Viertel des Monatslohnes.“
Inhalt des ärztlichen Zeugnisses
Der Arbeitnehmer ist durch das Arztgeheimnis geschützt und der Inhalt des ärztlichen Zeugnisses dadurch beschränkt. Das ärztliche Zeugnis sollte folgende Punkte beinhalten: die Ursache der Arbeitsunfähigkeit – Krankheit, Unfall oder Schwangerschaft – sowie den Grad und die Dauer der Arbeitsunfähigkeit. Arbeitsunfähigkeit ist die durch eine Beeinträchtigung der körperlichen oder geistigen Gesundheit bedingte, volle oder teilweise Unfähigkeit, im bisherigen Beruf oder Aufgabenbereich zumut- bare Arbeit zu leisten (ATSG 6). Ein ärztliches Zeugnis ist generell nur gültig, wenn es Datum, Stempel und eigenhändige Unterschrift des behandelnden Arztes aufweist.
Der Richter kann sich über den in einem ärztlichen Zeugnis enthaltenen Befund hinwegsetzen, wenn sich aus den Umständen ergibt, dass die Arbeitsunfähigkeit nicht bestand.
Laut Standesordnung FMH ist die Ausstellung von Gefälligkeitszeugnissen unzulässig. Zudem ist der Arzt gemäss StGB 318 strafbar, wenn er ein unwahres Zeugnis ausstellt.
Grad der Arbeitsunfähigkeit
Ist ein Arbeitnehmer beispielsweise zu 50% arbeitsunfähig geschrieben, stellt sich die Frage, ob dies die halbe Zeit mit normalem Arbeitstempo oder die ganze Zeit mit reduziertem Arbeitstempo bedeutet. Ist ein Arbeitnehmer zu 50% krankheitsbedingt arbeitsunfähig, bedeutet dies in der Regel, dass er 50% der Zeit mit normalem Arbeitstempo arbeiten muss. Gemäss SUVA ist bei teilweiser unfallbedingter Arbeitsunfähigkeit die ganze Zeit zu arbeiten, es sei denn, der Arzt schreibe aus medizinischen Gründen etwas anderes vor. Im Zweifelsfall ist der behandelnde Arzt zu fragen.
Zu Fragen Anlass gibt oft auch die Berechnung der Arbeitsunfähigkeit bei einem Teilpensum. Der Umfang der Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers wird in der Regel in einer Prozentzahl eines Vollpensums angegeben. Hat jemand nur ein 70%-Pensum und ist zu 50% arbeitsunfähig, ist er in der Lage, 50% eines vollen Pensums zu arbeiten (Arbeitsgericht Zürich, AN011200 vom 7. Mai 2002; bestätigt vom Obergericht am 4. November 2002, LA020027).
Dauer der Arbeitsunfähigkeit
Gemäss den Empfehlungen der Ärztegesellschaft des Kantons Zürich kann der Arbeitgeber vom Arzt die Angabe der Mindestdauer der Krankheit verlangen. Ist dies nicht möglich, ist entweder das Datum der nächsten Konsultation zu nennen oder ein Termin festzulegen, an welchem der Fall neu beurteilt wird.
Rückwirkend ausgestellte Zeugnisse dürften nur in Ausnahmefällen gerechtfertigt sein. Gemäss den Empfehlungen der Ärztegesellschaft des Kantons Zürich sollte die Rückwirkungsdauer aber in jedem Fall eine Woche nicht überschreiten und der Arbeitgeber darf darauf bestehen, dass ein solches Arztzeugnis das Datum der Ausstellung, den Beginn der Behandlung sowie die Dauer der Arbeitsunfähigkeit enthält. Empfohlen wird zudem der Vermerk „Nach Angaben des Patienten“. Rückdatierte Zeugnisse, mit welchen ein Arzt rückwirkend eine Krankheit bescheinigt, zu deren Behandlung er gar nicht aufgesucht worden ist, sollten den Beweiswert des Anscheinsbeweises nicht beanspruchen können (Arbeitsgericht Zürich, AN030219 vom 12.12.2003).
Vertrauensarzt
Zweifelt der Arbeitgeber an der Richtigkeit eines ärztlichen Zeugnisses, kann er vom Arbeitnehmer verlangen, dass er sich vom Vertrauensarzt des Arbeitgebers untersuchen lässt. Eine Weigerung des Arbeitnehmers, dieser Aufforderung nachzukommen, berechtigt den Arbeitgeber, die Lohnfortzahlung zu verweigern. Zudem könnte gemäss Urteil des Bundesgerichts vom 14. Juli 1997 (JAR 1998 S. 217) allenfalls die fristlose Entlassung gerechtfertigt sein.
Eine Kategorie wählen: