Auch in der heutigen Zeit kommt es leider relativ oft vor, dass Entlassungen einer grösseren Zahl von Angestellten in einer kurzen Zeitperiode vorgenommen werden müssen. Dabei stellt sich jeweils die Frage, ob es sich dabei um eine Massenentlassung im Sinn des Gesetzes handelt und die entsprechenden Vorschriften (OR 335d-g) beachtet und eingehalten werden müssen. In BGE 137 III 27 hat das Bundesgericht erfreulicherweise entschieden, dass Unternehmen, die weniger als 21 Arbeitnehmer beschäftigen, nicht den Regeln über die Massenentlassung unterstehen. Bei einer Gruppe von Gesellschaften ist für jedes Mitglied der Unternehmensgruppe gesondert zu prüfen, ob eine Massenentlassung gegeben ist; die Anzahl oder der Prozentsatz der Kündigungen berechnet sich nicht auf der Grundlage der Unternehmensgruppe.
Begriff
Eine Massenentlassung liegt vor, wenn ein Arbeitgeber in einem Betrieb innert 30 Tagen aus Gründen, die in keinem Zusammenhang mit der Person des Arbeitnehmers stehen, eine bestimmte Anzahl Kündigungen ausspricht. Die erforderliche Anzahl Kündigungen hängt von der Anzahl in einem Betrieb in der Regel beschäftigten Arbeitnehmern ab. Die gesetzliche Regelung beginnt bei 10 Kündigungen in Betrieben, die in der Regel mindestens 21 Arbeitnehmer beschäftigen.
Betrieb
Die Kündigungen müssen den gleichen Betrieb betreff en. Ein Betrieb wird definiert als die selbst am Wirtschaftsleben teilnehmende organisatorische Zusammenfassung von persönlichen, sachlichen und immateriellen Mitteln zur fortgesetzten Verfolgung eines arbeitstechnischen Zwecks, welcher sich nicht in der Befriedigung des Eigenbedarfs erschöpft. Diese Begriffsbestimmung wird von einem Teil der Lehre und Rechtsprechung dahingehend erweitert, dass verschiedene Betriebe des gleichen Arbeitgebers, welche geografisch nahe beieinander liegen und denselben regionalen Arbeitsmarkt belasten, gemeinsam betrachtet werden sollen. Dies scheint mit Blick auf den Zweck der Norm, nämlich den gesellschaftlichen und sozialen Auswirkungen einer Massenentlassung entgegenzuwirken, gerechtfertigt zu sein. Die Botschaft, welche dem über mehrere Betriebe verfügenden Arbeitgeber ausdrücklich „eine grössere Flexibilität in der Personalführung“ zugestehen wollte und von „jedem einzelnen Betrieb“ spricht, scheint jedoch eine solche Begriffserweiterung zu verbieten. Das Bundesgericht hat diese Frage im eingangs erwähnten Entscheid off en gelassen. Konkret ging es um eine Unternehmensgruppe, die aus verschiedenen Aktiengesellschaften bestand. Jede Tochtergesellschaft war eine selbständige juristische Person und Arbeitgeberin ihrer eigenen Mitarbeiter. Es handelte sich nicht um Betriebe desselben Unternehmens, sondern jede Gesellschaft war für sich ein Unternehmen. Auch wenn man die geografische Nähe hätte berücksichtigen wollen, war es unter diesen Umständen nicht möglich, die Unternehmensgruppe als Grundlage für die Berechnung der Anzahl der ausgesprochenen Kündigungen zu nehmen. Jede juristische Einheit ist für sich zu betrachten.
Anzahl beschäftigte Arbeitnehmer
In der Praxis kann auch die Bestimmung der Anzahl Arbeitnehmer Schwierigkeiten bereiten. Die Umschreibung im Gesetz, wonach die Betriebe „in der Regel“ eine bestimmte Anzahl Arbeitnehmer beschäftigen müssen, hilft nicht viel. Doch geht daraus hervor, dass die Bemessungsgrundlage von einer gewissen Dauerhaftigkeit sein soll. Unseres Erachtens könnte eine praxistaugliche Lösung wie folgt aussehen: Man nimmt als Referenzperiode die letzten zwölf Monate vor dem Aussprechen der Kündigungen. Da es nicht um einen blossen Durchschnitt geht, sondern eben um die „in der Regel“ beschäftigten Arbeitnehmer, sind nur folgende Arbeitsverträge bei der Berechnung zu berücksichtigen: Unbefristete Arbeitsverträge, die mehr als drei Monate gedauert haben und befristete Arbeitsverträge, die für mehr als drei Monate eingegangen worden sind. Teilzeitangestellte werden unabhängig von ihrem Beschäftigungsgrad nach Köpfen gezählt.
Für eine Mehrheit der Lehre sind die Regeln über die Massenentlassung nicht anwendbar, wenn der Arbeitgeber weniger als 21 Arbeitnehmer beschäftigt, auch wenn die Anzahl beabsichtigter Kündigungen zehn oder mehr beträgt. Für eine Minderheit hingegen besteht ein qualifiziertes Schweigen, da das Gesetz nichts sagt zu Unternehmen, die weniger als 21 Arbeitnehmer beschäftigen. Das Bundesgericht hatte nun im eingangs erwähnten Entscheid folgenden Sachverhalt zu beurteilen: Eine Unternehmensgruppe, die mehrere selbständige Tochtergesellschaften umfasste, entliess in verschiedenen Tochtergesellschaften insgesamt ungefähr 150 Mitarbeiter. Einzelne dieser Tochtergesellschaften beschäftigten weniger als 21 Arbeitnehmer. Die Genfer Gerichte hatten aber aufgrund kantonalrechtlicher Normen auch bezüglich dieser Tochtergesellschaften eine Massenentlassung angenommen. Das Bundesgericht war aber anderer Meinung und hielt fest, dass sich der Begriff der Massenentlassung ausschliesslich nach Bundesrecht richtet und keine anderen kantonalrechtlichen Normen zulässt. Die Aufzählung in OR 335d ist als abschliessend zu verstehen, so dass bei einem Betrieb mit weniger als 21 beschäftigten Arbeitnehmern nie eine Massenentlassung vorliegen kann.
Kommentar
Nach diesem Entscheid des Bundesgerichts besteht einzig Klarheit darüber, dass für Betriebe, die in der Regel weniger als 21 Arbeitnehmer beschäftigen, die Regeln über die Massenentlassung nie anwendbar sind. Nicht geklärt ist hingegen die Frage der Berücksichtigung der geografischen Nähe von Betrieben, und es fehlt auch eine einheitliche klare Regelung für die Berechnung der in der Regel beschäftigten Arbeitnehmer. Deshalb empfiehlt es sich, im Zweifelsfall vorsichtig zu sein und das vorgeschriebene Verfahren bei einer beabsichtigten Massenentlassung „freiwillig“ einzuhalten, um keine Risiken einzugehen. Denn sollte ein Gericht feststellen, dass tatsächlich eine Massenentlassung vorlag, hätte das Unterlassen des vorgeschriebenen Verfahrens für den Arbeitgeber erhebliche Kostenfolgen.
Choisir une catégorie: