Lun, 2 octobre 2017
Entlässt ein Arbeitgeber einen Arbeitnehmer aufgrund eines blossen Verdachts einer schwerwiegenden Verfehlung und erhärtet sich der Verdacht nicht, so treten grundsätzlich (mit zwei Ausnahmen) die Folgen der ungerechtfertigten fristlosen Entlassung ein. Deshalb muss der Arbeitgeber vermeiden, dass er einen Arbeitnehmer zu früh fristlos entlässt. Andererseits besteht aber auch ein Risiko, dass er es zu spät tut. Solange lediglich ein blosser Verdacht vorliegt, läuft die gemäss Rechtsprechung sehr kurze Überlegungsfrist noch nicht. Der Arbeitgeber hat aber unbedingt darauf zu achten, dass er nicht durch sein Verhalten zu erkennen gibt, dass er auf die fristlose Entlassung verzichtet hat bzw. die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum ordentlichen Kündigungstermin zumutbar war.
Verdacht als Vertrauensbruch
Eine Verdachtskündigung liegt vor, wenn die Kündigung aufgrund eines blossen Verdachts einer strafbaren Handlung (z.B. Spesenbetrug, Veruntreuung) oder einer schweren Vertragsverletzung (z.B. Konkurrenzierung) zum Nachteil des Arbeitgebers ausgesprochen wird. Dabei gilt folgender Grundsatz: Der Arbeitgeber, der eine fristlose Kündigung aufgrund eines blossen Verdachts ausspricht, trägt die Beweislast dafür, dass der Verdacht berechtigt war. Erhärtet sich der Verdacht und sind die übrigen Voraussetzungen der fristlosen Entlassung (Schwere der Verfehlung, Vertrauensbruch, Unzumutbarkeit der Fortführung) erfüllt, ist die fristlose Entlassung gerechtfertigt.
Lässt sich die dem Arbeitnehmer vorgeworfene Straftat oder Vertragsverletzung nicht nachweisen, so treten in der Regel die Rechtsfolgen der ungerechtfertigten fristlosen Entlassung (OR 337c) ein. Davon gibt es jedoch zwei Ausnahmen, bei denen trotz fehlenden Beweises die fristlose Entlassung als gerechtfertigt erscheint. Erstens ist dies der Fall, wenn der Arbeitnehmer die Abklärung des Sachverhalts treuwidrig erschwert oder verhindert und damit das bestehende Vertrauensverhältnis erschüttert hat. Zweitens ist die fristlose Verdachtskündigung gemäss Bundesgericht auch ohne Nachweis der Tat gerechtfertigt, wenn auch nach den zumutbaren Abklärungen ein erheblicher Verdacht einer schweren Verfehlung bestehen bleibt, da in dieser Situation eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers nicht mehr zuzumuten ist, dies z.B. bei längerer Untersuchungshaft des Arbeitnehmers. Wird der Arbeitnehmer weniger gravierender Verfehlungen verdächtigt, ist dem Arbeitgeber zuzumuten, auf die fristlose Entlassung zu verzichten und ordentlich zu kündigen.
Reaktionsfrist
Ist ein wichtiger Grund für eine fristlose Entlassung gegeben, so ist sie sofort auszusprechen. Andernfalls ist anzunehmen, das Einhalten der ordentlichen Kündigungsfrist sei für den Kündigenden subjektiv zumutbar, und ist das Recht auf eine sofortige Vertragsauflösung verwirkt. Dabei ist nach den Umständen des konkreten Falls zu entscheiden. In der Regel wird eine Überlegungsfrist von zwei bis drei Arbeitstagen zum Nachdenken und Einholen von Rechtsauskünften als angemessen angesehen. Ein Hinauszögern über diese Zeitspanne ist nur zulässig, wenn es mit Rücksicht auf die praktischen Erfordernisse des Alltags- und Wirtschaftslebens als verständlich und berechtigt erscheint. Eine Verlängerung von einigen Tagen ist etwa dann zulässig, wenn bei einer juristischen Person die Entscheidungskompetenz einem mehrköpfigen Gremium zusteht und die Willensbildung daher aufwendiger ist oder wenn Arbeitnehmervertreter anzuhören sind. Bei einem klaren Sachverhalt muss anders vorgegangen werden als in Fällen, in denen zuerst Abklärungen notwendig sind oder Verfehlungen erst langsam an den Tag treten. Geht es bei der Abklärung darum, zuerst das Ausmass der Verfehlung abschätzen zu können, so wird die Überlegungsfrist notwendigerweise erst an die Abklärungsfrist anschliessen. Ist der Vorwurf an den Arbeitnehmer klar und kann sich der Arbeitgeber schon bei der Abklärung des Sachverhalts überlegen, wie er reagieren will, wenn sich der Vorwurf als zutreffend erweist, rechtfertigt sich danach keine Überlegungsfrist mehr für die fristlose Entlassung. Liegt ein konkreter nennenswerter Verdacht vor, bei dessen Erhärtung der Arbeitgeber in Betracht zieht, das Arbeitsverhältnis sofort zu beenden, hat der Arbeitgeber unverzüglich alle ihm zumutbaren Massnahmen zu ergreifen, um Klarheit zu gewinnen (BGE 138 I 113). Dazu gehört auch die Anhörung des Arbeitnehmers. Obschon nicht gesetzlich verpflichtet, tut der Arbeitgeber gut daran, die Anhörung durchzuführen, ansonsten erhöht er sein Risiko, dass die fristlose Entlassung wegen Fehlens eines wichtigen Grundes als ungerechtfertigt beurteilt wird, wenn sich der Verdacht nicht erhärtet.
Mit der Rechtzeitigkeit einer fristlosen Entlassung hatte sich das Bundesgericht auch im folgenden Fall zu befassen (Urteil 4A_251/2015). Am 10. Oktober 2012 wurde ein Kadermitarbeiter einer Bank in Genf verhaftet. Er wurde verdächtigt, an einem Geldwäscherei-Ring beteiligt zu sein. Im Rahmen der Strafuntersuchung wurden auch die Büros dieses Arbeitnehmers untersucht. Die Presse berichtete, dass einer der Beschuldigten ein Mitarbeiter dieser Bank sei. Mit Schreiben vom 30. Oktober 2012 teilte die Bank dem Arbeitnehmer in Untersuchungshaft mit, dass sein Lohn per 1. November 2012 eingestellt würde. Am 15. November 2012 kündigte die Bank dem Arbeitnehmer fristlos. Der Arbeitnehmer machte darauf hin geltend, die Kündigung sei zu spät und ohne Begründung erfolgt. Er anerkannte anschliessend die gegen ihn erhobenen Vorwürfe und wurde am 20. Dezember 2012 aus der Untersuchungshaft entlassen. Die Bank begründete die Entlassung mit der Verhaftung des Mitarbeiters, seiner möglichen Beteiligung an einem weit angelegten Geldwäscherei-Ring und der Berichterstattung durch die Presse.
Für das Bundesgericht war entscheidend, ob der Arbeitgeber durch sein Verhalten zu erkennen gab, dass er auf die fristlose Entlassung verzichtet hatte bzw. dass die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum ordentlichen Kündigungstermin zumutbar war. Angesichts der Schwere der Vorwürfe und der ausgeübten Tätigkeit konnte der Arbeitnehmer nicht in gutem Glauben davon ausgehen, dass die Bank ihn noch bis zum ordentlichen Kündigungstermin arbeiten lassen oder ihn bei vollem Lohn freistellen würde. Da der Arbeitnehmer in Untersuchungshaft sass, bestand für die Bank keine konkrete zeitliche Dringlichkeit zu handeln. Im Gegenteil galt es eine Vorverurteilung durch eine Verdachtskündigung zu vermeiden. Gegen den Arbeitnehmer sprach auch die Verlängerung der Untersuchungshaft. Zudem gab es überhaupt keine Anzeichen dafür, dass die Bank vor der fristlosen Entlassung Kenntnis von Fakten gehabt hätte, welche den Verdacht erhärtet und der Bank eine überlegte Entscheidung erlaubt hätten. Somit war die fristlose Entlassung gemäss Bundesgericht nicht zu spät und aus wichtigen Gründen gerechtfertigt erfolgt.
Kommentar
Dem Arbeitgeber empfiehlt sich, mit Verdachtskündigungen zurückhaltend zu sein und in wirklichen Zweifelsfällen den Arbeitnehmer vorerst sofort von der Arbeit freizustellen, sich eine fristlose Entlassung vorzubehalten, den Verdacht hinreichend abzuklären, allenfalls den Lohn zu stoppen und je nach Verlauf der Abklärungen die fristlose Entlassung erst später auszusprechen oder dann ordentlich zu kündigen.
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