Fristlose Entlassung wegen Diebstahl

Mar, 1 décembre 2015

Fristlose Entlassung wegen Diebstahl

Nach der Bundesgerichtspraxis ist eine fristlose Entlassung ohne vorgängige Verwarnung nur bei besonders schweren Verfehlungen des Arbeitnehmers gerechtfertigt und bedingt, dass die Weiterführung des Arbeitsverhältnisses für den Arbeitgeber nicht mehr zumutbar ist. Ein klassischer Grund dafür ist ein Diebstahl zum Nachteil des Arbeitgebers, anderen Arbeitnehmern oder Kunden. Gemäss Bundesgericht (Urteil 4A_228/2015) braucht es dabei keinen bestimmten minimalen Vermögenswert, denn sogar ein Diebstahl von geringem Wert ist geeignet, das dem Arbeitsverhältnis notwendig zugrunde liegende Vertrauensverhältnis zu zerstören.

Sachverhalt

Der Arbeitnehmer war seit mehr als zehn Jahren polyvalent in einem Restaurationsbetrieb tätig. Während dieser Zeit hat er vom Arbeitgeber mehrere Verwarnungen erhalten wegen Zuspätkommen, ungerechtfertigten Absenzen, nicht korrekter Kleidung und Alkoholkonsum am Arbeitsplatz. Anlässlich seines 10-jährigen Jubiläums hat ihm der Arbeitgeber eine „témoignage de reconnaissance“ zukommen lassen, um ihm für seine Treue und sein Engagement zu danken. Knapp ein Jahr danach hat ihn sein Chef ertappt, als er beim Verlassen seines Arbeitsortes eine Flasche Wein aus dem Lager des Restaurants, in seiner Tasche versteckt, mit sich trug. Aufgrund dieses Ereignisses hat ihn sein Arbeitgeber zwei Tage danach fristlos entlassen. Die erste Instanz gab dem Arbeitnehmer Recht und erachtete die fristlose Entlassung als ungerechtfertigt, weil der Arbeitgeber den Beweis des Diebstahls nicht erbringen konnte. Die zweite Instanz kam hingegen zum Schluss, dass aufgrund von zwei Zeugenaussagen der Diebstahlversuch einer Flasche Wein nachgewiesen war. Jedoch beurteilte es diesen aufgrund des „faible valeur“ und unter Berücksichtigung, dass der Arbeitnehmer elf Jahre ohne ein Vorkommnis dieser Art gearbeitet hatte, als nicht genügend schwer, um eine fristlose Entlassung zu rechtfertigen. Demzufolge wurde der Arbeitgeber verurteilt, dem Arbeitnehmer den Lohn, den er während der ordentlichen Kündigungsfrist erhalten hätte, sowie eine Entschädigung von einem Monatslohn gemäss OR 337c/3 zu bezahlen.

Vorgängige Verwarnung?

Als wichtiger Grund für eine fristlose Auflösung des Arbeitsverhältnisses gilt namentlich jeder Umstand, bei dessen Vorhandensein dem Kündigenden nach Treu und Glauben die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr zugemutet werden darf. Da die fristlose Auflösung Ausnahmecharakter hat, muss sie stets zurückhaltend gehandhabt werden. Nach der Bundesgerichtspraxis ist eine fristlose Entlassung nur bei besonders schweren Verfehlungen des Arbeitnehmers gerechtfertigt. Die von der kündigenden Partei geltend gemachten Verfehlungen müssen geeignet sein, die für das Arbeitsverhältnis wesentliche Vertrauensgrundlage zu zerstören oder schwer zu erschüttern. Zusätzlich zu dieser objektiven Seite verlangt das Bundesgericht, entgegen der Mehrheit der Lehre, dass die Verfehlungen auch tatsächlich zu einer derartigen Zerstörung oder Erschütterung des gegenseitigen Vertrauens geführt haben. Sind die Verfehlungen weniger schwerwiegend, so müssen sie trotz Verwarnung wiederholt vorgekommen sein. Das Begehen einer strafbaren Handlung des Arbeitnehmers während der Anstellung, wie beispielsweise ein Diebstahl zum Nachteil des Arbeitgebers, anderen Arbeitnehmern oder Kunden, ist ein klassischer Grund für eine fristlose Entlassung. Jedoch bedingt diese extreme Massnahme, und das gilt auch für alle anderen wichtigen Gründe der fristlosen Entlassung, dass die Weiterführung des Arbeitsverhältnisses für den Arbeitgeber nicht mehr zumutbar ist.

Treuebruch auch bei geringem Wert

Im vorliegenden Fall war der geringe Wert der Flasche Wein unbestritten und es konnte kein vorhergehender Diebstahl des Arbeitnehmers nachgewiesen werden. Der Arbeitgeber war jedoch der Meinung, dass der Wert der vom Arbeitnehmer gestohlenen Ware nicht als rechtserhebliches Element hinsichtlich OR 337 zu berücksichtigen sei, weil sogar ein Diebstahl von geringem Wert geeignet sei, das dem Arbeitsverhältnis notwendig zugrunde liegende Vertrauensverhältnis zu zerstören. Das Bundesgericht liess sich von diesem Argument überzeugen und gab dem Arbeitgeber Recht. Zudem hielt es fest, dass die Anstellungsdauer des Arbeitnehmers vor einem solchen Ereignis daran nichts ändert, auch wenn diese, wie im vorliegenden Fall, lang war.

Der Arbeitnehmer machte vergeblich geltend, dass das Arbeitsgericht Zürich den Diebstahl einer Ware von rund 60 Franken aufgrund des geringen Werts als zu wenig schwerwiegend beurteilte, um eine fristlose Entlassung ohne vorgängige Verwarnung zu rechtfertigen (vgl. ARBEITSRECHT Nr. 164 – August 2012). Die bisherige Praxis des Arbeitsgerichts Zürich stützte sich dabei auf den geringen Vermögenswert im Sinne von Artikel 172ter/1 Strafgesetzbuch, wonach bei Vermögensdelikten die Grenze des geringen Vermögenswertes gemäss Bundesgericht bei 300 Franken liegt.

Da die fristlose Entlassung gemäss Bundesgericht gerechtfertigt war, hatte der Arbeitnehmer weder Anspruch auf den Lohn, den er während der ordentlichen Kündigungsfrist erhalten hätte, noch auf eine Entschädigung gemäss OR 337c/3.

Arbeitszeugnis

Gemäss den Urteilen der beiden Vorinstanzen wurde der Arbeitgeber verpflichtet, ein Arbeitszeugnis ohne Angabe des Kündigungsgrundes auszustellen, da sie die fristlose Entlassung als ungerechtfertigt beurteilten. Da die fristlose Entlassung gemäss Bundesgericht hingegen gerechtfertigt war, war der Arbeitgeber berechtigt, im Arbeitszeugnis als Kündigungsgrund „un comportement propre à rompre la confiance qu’implique les rapport de travail“ zu erwähnen.

Kommentar

Das Bundesgericht hat mit diesem Urteil zu Recht dahingehend Klarheit geschaffen, als ein Diebstahl nie nur wegen seines geringen Werts kein genügend schwerwiegender Grund für eine fristlose Entlassung sein kann. Damit ist die bisherige insbesondere vom Arbeitsgericht Zürich und auch von der Vorinstanz angewandte Praxis mit dem geringen Wert beendet. Im Übrigen wird die Sache aber nicht einfacher. Nach wie vor ist in jedem Einzelfall abzuklären, ob ein genügend schwerwiegender Grund vorliegt, der eine fristlose Entlassung ohne vorgängige (schriftliche) Verwarnung rechtfertigt oder nicht.

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