Jeu, 2 août 2012
Kaum ein arbeitsrechtliches Thema beschäftigt die Gerichte so oft wie die fristlose Entlassung (OR 337-337d). Die fristlose Entlassung ist eine ausserordentliche Massnahme, die nur dann gerechtfertigt ist, wenn ein wichtiger Grund vorliegt. Die vorliegende Ausgabe soll bewusst machen, dass es für die Frage, ob eine fristlose Entlassung auf Grund eines Bagatelldelikts gerechtfertigt ist oder nicht, kein Patentrezept gibt und immer eine Einzelfallprüfung anhand der konkreten Umstände vorzunehmen ist. Nicht jeder Diebstahl und nicht jede Beschimpfung am Arbeitsplatz müssen unbedingt zum gleichen Resultat führen.
Wichtige Gründe
Nach der Bundesgerichtspraxis ist eine fristlose Entlassung nur bei besonders schweren Verfehlungen des Arbeitnehmers gerechtfertigt. Diese müssen einerseits objektiv geeignet sein, die für das Arbeitsverhältnis wesentliche Vertrauensgrundlage zu zerstören oder zumindest so tiefgreifend zu erschüttern, dass dem Arbeitgeber die Weiterführung des Arbeitsverhältnisses, zumindest bis zum nächsten ordentlichen Kündigungstermin oder zum Ablauf eines befristeten Vertrags, nicht mehr zuzumuten ist. Diese objektive Seite ist unbestritten. Andererseits verlangt das Bundesgericht zusätzlich, dass die Verfehlungen auch tatsächlich zu einer derartigen Zerstörung oder Erschütterung des gegenseitigen Vertrauens geführt haben. Diese zusätzliche subjektive Voraussetzung wird von der Lehre mehrheitlich zu Recht abgelehnt.
Sind die Verfehlungen weniger schwerwiegend, so müssen sie trotz Verwarnung wiederholt vorgekommen sein. Ob die dem Arbeitnehmer vorgeworfene Pflichtverletzung die erforderliche Schwere erreicht, lässt sich nicht allgemein sagen, sondern hängt von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab.
Prüfungskriterien
Generell massgebend sind die Beweislage und die Schwere der Verfehlung als auch personenbezogene Elemente und zeitliche Aspekte. Zu den wichtigsten Prüfungskriterien nach Lehre und Rechtsprechung gehören: Deliktstyp, Verschulden, einmaliges oder wiederholtes Handeln, Wiederholungsgefahr, berechnendes Handeln oder in verständlicher emotionaler Aufregung, mit oder ohne vorgängige Verwarnung(en), besondere Vertrauensstellung bzw. Kadereigenschaft, vorgängige Sensibilisierung in Vertragsunterlagen bzw. durch Weisungen, Deliktsbetrag und Bereicherungsabsicht bei Vermögensdelikten, Aussenwirkung der Verfehlung gegenüber Mitarbeitern und Kunden, Schutzbedürftigkeit von Mitarbeitern und Kunden, Dienstalter und betriebliches Vorleben des Arbeitnehmers, einsichtiges oder unbelehrbares Verhalten des Fehlbaren bei der Sachverhaltsaufklärung, Selbstverschulden des Arbeitgebers, Dauer der ordentlichen Kündigungsfrist, bereits gekündigtes Arbeitsverhältnis, Überlegungsfrist von maximal 2-3 Arbeitstagen.
Beispiele aus der Rechtsprechung
Es gibt eine reichhaltige Rechtsprechung darüber, was ein wichtiger Grund für den Arbeitgeber ist, um ein Arbeitsverhältnis fristlos zu kündigen. Lehre und Rechtsprechung unterscheiden verschiedene Kategorien von Fallgruppen. In der vorliegenden Ausgabe gilt das Augenmerk den Bagatelldelikten als einer Untergruppe der strafbaren Handlungen.
Stempeluhrmanipulation
Ein Schichtführer fragte seinen Vorgesetzen, ob er am nächsten Tag die Schicht anstatt um 21.00 Uhr bereits um 19.00 Uhr verlassen könne, um als Schiedsrichter an einem Fussballmatch mitwirken zu können. Dies wurde ihm bewilligt. Am nächsten Tag verliess er die Arbeitsstelle bereits um 18.30 Uhr und liess sich durch einen ihm unterstellten Mitarbeiter erst um 19.00 ausstempeln. Schon am nächsten Tag bemerkte die Arbeitgeberin diese Manipulation und entliess den Schichtführer fristlos. Das Bundesgericht erachtete die fristlose Entlassung als nicht gerechtfertigt. Zwar verstosse die Stempeluhrmanipulation schwerwiegend gegen die Treuepflicht, doch werde die Verfehlung dadurch relativiert, dass sich der Arbeitnehmer während mehreren Jahren durch gute Leistungen und korrektes Verhalten ausgewiesen habe und es sich um einen einmaligen Verstoss im Umfeld eines bestimmten Anlasses gehandelt habe. Zudem könne bei der Schichtführerfunktion nicht von einer Kaderposition von erheblicher Verantwortung gesprochen werden. Überdies sei es in diesem Betrieb immer wieder zu Stempeluhrmanipulationen gekommen, die auch toleriert wurden. (Entscheid 4C.114/2005)
Beschimpfung einer Vorgesetzten
Während der bereits laufenden Kündigungsfrist hatte eine Arztsekretärin eine Telefonliste zu aktualisieren. Die Vorgesetzte war damit nicht zufrieden und wies die Arztsekretärin an, bestimmte Korrekturen vorzunehmen. Diese rief daraufhin ihrer Vorgesetzten in Anwesenheit von Mitarbeiterinnen und Patienten zu: „Sie können mich langsam …“. Deshalb entliess die Klinik die Arztsekretärin noch am gleichen Tag fristlos. Gemäss Bundesgericht war der Arbeitgeberin die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr zumutbar, denn das Verhalten der Arztsekretärin untergrub die Autorität ihrer Vorgesetzten bzw. des Arbeitgebers. (Entscheid 4C.154/2006)
Diebstahl
Eine „Betriebsmitarbeiterin Buffet“ wurde fristlos entlassen, nachdem sie auf frischer Tat ertappt worden war, wie sie ca. 3 kg Fleisch mit einem Wert von 60 Franken entwendet hatte. Das Arbeitsgericht Zürich beurteilte die fristlose Entlassung als ungerechtfertigt und verpflichtete den Arbeitgeber nicht nur zur Zahlung des vollen Lohnes während der ordentlichen Kündigungsfrist, sondern zusätzlich noch zur Bezahlung einer Entschädigung von zwei Monatslöhnen gemäss OR 337c/3. Die gegen den Entscheid AN030542 erhobene Berufung wurde vom Zürcher Obergericht durch Vergleich erledigt. Gut informierte Quellen berichten allerdings, dass das Zürcher Obergericht in den Vergleichsverhandlungen durchblicken liess, dass es die fristlose Entlassung geschützt hätte.
Kommentar
Die Beurteilung, ob ein Grund ein genügend wichtiger ist, ist oft heikel. Es gilt, kühlen Kopf zu bewahren und die Meinung eines juristischen Beraters einzuholen, bevor man sich für eine fristlose Entlassung innert maximal 2-3 Arbeitstagen entscheidet. Zudem empfiehlt sich, den Arbeitnehmer während dieser Überlegungsfrist vorübergehend freizustellen.
Berücksichtigte Literatur: „Bagatelldelikte am Arbeitsplatz: Ein ausreichender Grund für eine fristlose Entlassung?“ von Roger Rudolph, in TREX 4/2012.
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