Das vorliegende Urteil 4A_349/2017 des Bundesgerichts zeigt einmal mehr, wie schwierig es auch im konkreten Einzelfall ist, beurteilen zu können, ob eine fristlose Entlassung (ohne vorgängige Verwarnung) gerechtfertigt ist oder nicht. Obschon die Treuepflicht des Arbeitnehmers für leitende Angestellte in erhöhtem Masse gilt, und eine Verletzung dieser Pflicht durch solche Angestellte schwerer wiegt, hängt es von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab, ob die vorgeworfene Pflichtverletzung die erforderliche Schwere erreicht.
Sachverhalt
Ein «Managing Director» und später «Chairman of the European Group» sowie Geschäftsführer war im Handelsregister als Mitglied des Verwaltungsrats und Direktor der Arbeitgeberin und später als Präsident des Verwaltungsrats der Arbeitgeberin sowie der Holding AG eingetragen. Er wurde fristlos entlassen, weil er eigenmächtig das Logo der Arbeitgeberin geändert hatte, indem er ein in der Unternehmensgruppe bereits verwendetes Logo ebenfalls für die Arbeitgeberin benutzte.
Die gegen die fristlose Entlassung erhobene Klage wies das Bezirksgericht Arbon ab, weil jene aus wichtigen Gründen erfolgt sei. Das Obergericht des Kantons Thurgau sprach der Pflichtverletzung die objektive Schwere ab und wies das Verfahren zur weiteren materiellen Beurteilung an die Vorinstanz zurück, da die Arbeitgeberin neben dem Logowechsel zwei weitere Gründe (Markenrechtsverletzung und Abschluss eines Arbeitsvertrags mit einem engen Freund gegen jegliche unternehmerische Vernunft und sämtliche Arbeitgeberinteressen) für die fristlose Entlassung geltend machte. Daraufhin wies das Bezirksgericht Arbon die Klage wieder ab. Das erneut angerufene Obergericht des Kantons Thurgau erachtete das Nachschieben des Grundes betreffend den Vertragsabschluss mit einem engen Freund als unzulässig, da er nicht gleicher Art sei. Die Markenrechtsverletzung erachtete es als objektiv nicht schwer genug für eine fristlose Entlassung und wies das Verfahren zur weiteren materiellen Beurteilung wieder an die Vorinstanz zurück. In der Folge betrachtete das Bezirksgericht Arbon die fristlose Entlassung nun – unter Berücksichtigung der Weisungen des Obergerichts – als ungerechtfertigt. Das Obergericht kam anschliessend angesichts eines unterdessen ergangenen Bundesgerichtsurteils zum Schluss, dass das Nachschieben des Kündigungsgrundes aufgrund des Vertragsschlusses mit einem engen Freund trotz fehlender Ähnlichkeit mit dem ursprünglich geltend gemachten Kündigungsgrund (Logoänderung) zulässig sei. Es beurteilte jedoch die Pflichtverletzung selbst unter Berücksichtigung des weiteren geltend gemachten Kündigungsgrundes, der angeblichen Markenrechtsverletzung, als objektiv nicht schwer genug, um die fristlose Entlassung zu rechtfertigen.
Treuepflicht als Organ und als Arbeitnehmer
Eine Logoänderung zieht gemäss Bundesgericht erhebliche Auswirkungen nach sich und ist mit beträchtlichen Kosten verbunden. Das Logo einer Gesellschaft ist ein wesentlicher Teil der Corporate Identity. Der Entscheid bezüglich Änderung des Logos stellt keine bloss operative Geschäftsführungsaufgabe dar, welche hätte übertragen werden können. Es handelt sich vielmehr um einen strategischen Unternehmensentscheid, der unter die Oberleitung der Gesellschaft im Sinne von OR 716a/1 Ziff. 1 fällt und dem Gesamtverwaltungsrat nicht entzogen werden kann.
Die Treuepflicht des Arbeitnehmers gilt für leitende Angestellte in erhöhtem Masse, weshalb eine Verletzung dieser Pflicht durch solche Angestellte schwerer wiegt. Ob die dem Arbeitnehmer vorgeworfene Pflichtverletzung die erforderliche Schwere erreicht, lässt sich nicht allgemein sagen, sondern hängt von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab. Die fristlos entlassene Person war sowohl Verwaltungsratspräsident als auch Angestellter der Arbeitgeberin und hatte somit einerseits die Treuepflicht als Organ und andererseits diejenige als Arbeitnehmer zu erfüllen. Mit der eigenmächtigen Umsetzung der Logo-Änderung (Verwendung des neuen Logos auf einer Visitenkarte und auf einem Flyer) hat er sowohl seine organschaftlichen Kompetenzen überschritten als auch seine arbeitsvertraglichen Plichten verletzt. Denn seine arbeitsvertraglichen Pflichten umfassten ohne Weiteres auch die Beachtung der gesetzlichen und statutarischen Vorgaben.
Er hat das Logo nicht nur geändert, ohne eine Sitzung einzuberufen, um das formelle Einverständnis des Verwaltungsrats im Rahmen eines Mehrheitsbeschlusses einzuholen, sondern er hat das geradezu im Wissen um die im Verwaltungsrat vertretene mehrheitlich ablehnende Haltung getan. Damit verletzte er seine arbeitsvertragliche Treuepflicht auf objektiv schwerwiegende Art und Weise. Denn dass zumindest drei der vier übrigen Verwaltungsratsmitglieder mit der Änderung des Logos nicht einverstanden waren, hat er selber bestätigt.
Die Kompetenzüberschreitung kann gemäss Bundesgericht – entgegen der Ansicht der Vorinstanz – nicht damit gerechtfertigt werden, dass er von seiner Idee überzeugt war und diese als wirtschaftlich gerechtfertigt erachtete. Vielmehr wiegt die Pflichtverletzung umso schwerer, als er, der offenbar Mühe mit der ablehnenden Haltung der anderen Entscheidungsträger hatte, die Logoänderung eigenständig im Wissen durchführte, dass nicht nur der Konzerninhaber, sondern die Mehrheit der Verwaltungsratsmitglieder die Logoänderung ablehnten und kaum ihr Einverständnis in einer ordentlich einberufenen Sitzung erklärt hätten. Diese gravierende Verletzung der arbeitsvertraglichen Pflichten führte zum Verlust der erforderlichen Vertrauensgrundlage und berechtigte die Arbeitgeberin objektiv umso mehr zur fristlosen Vertragsauflösung, als der Arbeitnehmer in leitender Stellung eine erhöhte Vertrauensstellung inne hatte. Gemäss Bundesgericht hat die Vorinstanz den wichtigen Grund zur fristlosen Kündigung des Arbeitsverhältnisses zu Unrecht verneint. Weil die Beschwerde bereits aus diesem Grund gutzuheissen war, erübrigte sich die Prüfung der weiteren Vorwürfe (Markenrechtsverletzung und Vertragsschluss mit einem engen Freund).
Nachschieben von Kündigungsgründen
Als wichtiger Grund kommt nur ein Ereignis in Frage, das sich vor der fristlosen Kündigung abgespielt hat. Nachträglich kann sich der Kündigende darauf aber nur berufen, wenn ihm dieser Umstand im Zeitpunkt der Kündigung weder bekannt war noch bekannt sein konnte. Ein Teil der Lehre hat die Rechtsprechung des Bundesgerichts bisher so wiedergegeben, dass zusätzlich verlangt werde, der nachgeschobene Grund müsse ähnlich bzw. von gleicher Art sein wie der in der Kündigung genannte. Das Bundesgericht hat nun in dem im Sachverhalt erwähnten Urteil (142 III 579) klargestellt, dass stets entscheidend ist, ob aufgrund des bei der Kündigung genannten und des – andernfalls auch andersartigen – nicht bekannten, nachgeschobenen Grundes davon auszugehen ist, dass diese insgesamt einen hinreichenden Vertrauensverlust hätten bewirken können.
Choisir une catégorie: