Lun, 3 juin 2019
Im Zusammenhang mit Kündigungen kommt es immer wieder vor, dass Arbeitnehmer bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses von ihrer Arbeitspflicht befreit werden. Das ist grundsätzlich zulässig. Jedoch bestehen im Zeitpunkt der Freistellung oft noch Ferien- und/oder Überstundensaldi und es stellt sich dann die Frage, ob und inwieweit diese durch die Freistellung abgegolten werden können. Gemäss Urteil 4A_83/2019 des Bundesgerichts sind bei der Beurteilung jeweils die gesamten Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, nicht nur das Verhältnis zwischen dem Feriensaldo und der Gesamtdauer der Freistellung, sondern auch das Alter des Arbeitnehmers, die zur Verfügung gestellte Zeit zur Suche einer neuen Arbeitsstelle und die Schwierigkeit, eine neue Arbeitsstelle zu finden.
Genügend Zeit zur Stellensuche
Wird der Arbeitnehmer bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses von seiner Arbeitspflicht befreit, so richtet sich die Frage, ob der nicht bezogene Feriensaldo in Geld entschädigt werden muss, in erster Linie nach dem Verhältnis zwischen der Dauer der Freistellung und der Anzahl verbleibender Ferientage. Der Arbeitnehmer muss jedoch in diesem Zeitraum neben dem Ferienbezug genügend Zeit haben, eine andere Arbeitsstelle zu finden (OR 329/3). Im Urteil 4A_178/2014 hatte das Bundesgericht beispielsweise den Bezug von 13 Ferientagen während einer Freistellungszeit von 35 Arbeitstagen als zulässig erachtet. Die restlichen 22 Tage genügten aufgrund der gesamten Umstände zur Stellensuche. Das Gericht berücksichtigte dabei, dass der Arbeitnehmer 42-jährig war, über fast acht Jahre Erfahrung als Verkäufer verfügte und dass ihm der Arbeitgeber ein sehr vorteilhaftes Zwischenzeugnis ausgestellt hatte. Ausserdem war weder nachgewiesen noch behauptet, dass der Arbeitnehmer Schwierigkeiten bei der Stellensuche hatte oder dass der Arbeitsmarkt in seinem Tätigkeitsbereich ausgetrocknet war. Somit musste der Arbeitgeber diese Ferientage am Ende des Arbeitsverhältnisses nicht durch Geld entschädigen.
Berücksichtigung der gesamten Umstände
Im eingangs erwähnten Urteil forderte ein freigestellter Arbeitnehmer vom Arbeitgeber u.a. rund CHF 30‘000.- als Entschädigung für nicht bezogene Ferien und Überstunden. Die erste Instanz bejahte diese Forderung voll und ganz, denn man konnte unter Berücksichtigung des Alters, der Schwierigkeiten, eine andere Arbeitsstelle zu finden und der schwerwiegenden und anhaltenden Arbeitsunfähigkeit im Anschluss an die Kündigung vom Arbeitnehmer nicht verlangen, dass er während der Kündigungsfrist seine Ferien bezog und seine Überstunden kompensierte, ungeachtet seiner Freistellung. Die zweite Instanz hingegen kam zu einem anderen Schluss. Sie bestimmte die Anzahl der Arbeitstage zwischen dem Zeitpunkt der Freistellung von der Arbeit und dem Ende des Arbeitsverhältnisses und zog davon die 38 noch nicht bezogenen Ferientage ab. Somit blieben dem Arbeitnehmer noch 99 Arbeitstage zur Stellensuche, was mehr als genügend war. Denn das Gericht ging noch einen Schritt weiter und stellte fest, selbst wenn der Arbeitnehmer zwischen seiner Entlassung und dem Ende seines Krankenhausaufenthalts keine Ferien hätte nehmen können, hätte er immer noch 68 Arbeitstage zur Stellensuche zur Verfügung gehabt, was auch im Alter von 60 Jahren noch genügend gewesen wäre. Schliesslich war die zweite Instanz der Auffassung, dass die Tatsache, dass der Arbeitnehmer erst drei Monate nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine neue Arbeitsstelle gefunden hatte – Beleg der besonderen Schwierigkeit, eine neue Stelle zu finden – an dieser Schlussfolgerung nichts änderte. Im Übrigen verurteilte sie – wie bereits die erste Instanz – den Arbeitgeber zur Bezahlung von rund CHF 3‘700.- für nicht kompensierte Überstunden, weil sie der Ansicht war, dass man vom Arbeitnehmer nicht verlangen konnte, Überstunden während der Kündigungsfrist zu kompensieren, auch nicht im Falle einer Freistellung.
Gemäss Bundesgericht basierte das Urteil der zweiten Instanz in Bestätigung nicht nur auf dem Verhältnis zwischen dem Feriensaldo und der Gesamtdauer der Freistellung. Vielmehr hatte sie auch das Alter des Arbeitnehmers, die zur Verfügung gestellte Zeit zur Suche einer neuen Arbeitsstelle, die Schwierigkeit eine neue Arbeitsstelle zu finden und die Tatsache, dass der Arbeitnehmer erst drei Monate nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses einen neuen Arbeitsvertrag abschliessen konnte, berücksichtigt. Der Arbeitnehmer hatte auch gemäss Bundesgericht neben dem Bezug der Ferien noch genügend Zeit zur Stellensuche, und der Arbeitgeber musste am Ende des Arbeitsverhältnisses keine Ferientage mehr auszahlen.
Vertragliche Regelung
Nachweislich geleistete Überstunden/Überzeit sind nach OR 321c/ArG 13 in der Regel zu bezahlen. Das gilt grundsätzlich auch dann, wenn der Arbeitnehmer freigestellt wird. Sollen geleistete Überstunden/Überzeit aber mit der Freistellung abgegolten werden können, bedarf es einer vorgängigen Vereinbarung zwischen den Parteien. Dies geschieht am besten in den arbeitsvertraglichen Dokumenten (Vertrag oder Reglement), wo festgehalten wird, dass Überstunden/Überzeit in der Regel durch Freizeit von gleicher Dauer ausgeglichen werden. Wichtig ist dabei der Zusatz, dass der Arbeitgeber den Zeitpunkt der Kompensation bestimmt. Trotzdem kann es im Einzelfall unter Umständen nicht möglich sein, Überstunden/Überzeit während der Freistellung zu kompensieren, nämlich wenn es die Zeit zur Stellensuche und/oder der Bezug von Ferien nicht zulassen. Besteht im Zeitpunkt der Freistellung sowohl ein Guthaben an Ferien als auch an Überstunden/Überzeit, sind unter Berücksichtigung der gesamten Umstände zuerst die Ferientage zu beziehen und erst danach, wenn ansonsten noch genügend Zeit zur Stellensuche bleibt, die Überstunden/Überzeit zu kompensieren.
Die Abgeltung von Ferien mit der Freistellung kann im Einzelfall neben der Zeit zur Stellensuche auch durch deren kurzfristige Anordnung eingeschränkt sein. Um dieses Risiko insbesondere bei Arbeitnehmerkündigungen zu minimieren, empfiehlt sich eine vertragliche Regelung, wonach Restferientage grundsätzlich während der Kündigungsfrist zu beziehen sind, auch im Falle einer Freistellung. Kündigt dann der Arbeitnehmer, kann er dem Arbeitgeber nicht entgegenhalten, zu wenig Zeit zur Vorbereitung der Ferien gehabt zu haben.
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