Mer, 1 mai 2013
Das Kantonsgericht Basel-Landschaft hat am 17. Dezember 2012 in sechs Fällen entschieden (publizierter Entscheid: 400 12 152), dass die Lohnsenkung für Grenzgänger wegen der Eurokrise eine indirekte Diskriminierung nach Freizügigkeitsabkommen (FZA) darstellt. Sachliche Rechtfertigungsgründe für diese Diskriminierung liegen nicht vor, da auch die Schweizer von der Eurokrise profitieren. Zudem wurde eine gegenläufige Kompensation im Sinn einer Lohnerhöhung bei hohem Eurokurs nicht vorgesehen. Weiter liegt eine unzulässige Überwälzung des Währungsrisikos als Bestandteil des Betriebsrisikos vor.
Sachverhalt
Die Arbeitgeberin hatte ihre Mitarbeitenden anlässlich einer Personalversammlung im Juni 2010 darüber informiert, dass die Entwicklung des Eurokurses zu einer finanziell schwierigen Situation geführt habe. Im Juli 2010 teilte die Arbeitgeberin den in ihrem Betrieb angestellten 120 Grenzgängern mit, dass der schwache Eurokurs für die Grenzgänger eine „Lohnerhöhung“ von mindestens 12% bedeute. Ihnen werde deshalb vorgeschlagen, den Lohn ab 1. September 2010 um 6% zu reduzieren, wobei diese Massnahme bei einem Eurokurs von 1.50 wieder aufgehoben werde und die Pensionskassenbeiträge unverändert bleiben würden. Die Grenzgänger wurden aufgefordert, ihre Zustimmung oder Ablehnung zur Lohnreduktion mit dem beigelegten Formular, auf welchem je konkret der alte Lohn, die Reduktion und der neue Lohn aufgeführt waren, bis spätestens 31. August 2010 der Arbeitgeberin zukommen zu lassen. Sechs Mitarbeitende lehnten die Lohnreduktion ab und erhielten im September die Kündigung auf Ende Dezember 2010. Die Arbeitgeberin bot ihnen gleichzeitig einen neuen Arbeitsvertrag per 1. Januar 2011 an, welcher wiederum einen um 6% reduzierten Bruttolohn vorsah, jedoch keine Erhöhung mehr auf den bisherigen Lohn bei einem Anstieg des Eurokurses. Mit dem neuen Vertrag war weiter vorgesehen, die Pensionskassenbeiträge dem neuen Lohn anzupassen. Alle sechs betroffenen Mitarbeiter nahmen den neuen Arbeitsvertrag nicht an. In der Folge erhoben sie Einsprache und anschliessend Klage wegen missbräuchlicher Kündigung.
Verletzung des Freizügigkeitsabkommens
Indirekte Diskriminierung bejaht
Gemäss Artikel 2 FZA (Abkommen zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits über die Freizügigkeit) in Verbindung mit dessen Anhang I Artikel 9 darf ein Arbeitnehmer, der Staatsangehöriger einer Vertragspartei ist, hinsichtlich der Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen, insbesondere auch im Hinblick auf die Entlohnung, nicht anders behandelt werden als inländische Arbeitnehmer. Das Diskriminierungsverbot nach FZA verbietet sowohl die direkte Diskriminierung, d.h. jede Unterscheidung, die ausdrücklich auf die Staatsangehörigkeit abstellt, wie auch die indirekte Diskriminierung. Eine indirekte Diskriminierung liegt vor, wenn eine benachteiligende Regelung an ein anderes Kriterium als die Staatsangehörigkeit anknüpft, aber in ihren Auswirkungen zum gleichen Ergebnis führt, ohne dass dies durch objektive Umstände gerechtfertigt wäre. Dabei müssen in der grossen Mehrzahl der von der Norm geregelten Fälle Angehörige anderer Staaten betroffen sein. Die Arbeitgeberin knüpfte betreffend Adressatenkreis für die Offerte zur Lohnsenkung nicht an die Staatsangehörigkeit an, so dass keine direkte Diskriminierung vorliegt. Sie knüpfte jedoch an das Kriterium „Grenzgänger“ an. Es entspricht eher der Ausnahme, dass schweizerische Staatsangehörige, welche in der Schweiz arbeiten, im Ausland wohnen. So handelte es sich denn auch bei den bei der Arbeitgeberin beschäftigten und im Ausland wohnenden Arbeitnehmern nur gerade bei deren zwei um schweizerische Staatsangehörige. Von den betroffenen 120 Grenzgängern waren 118 ausländische Staatsangehörige. Somit waren in der grossen Mehrzahl ausländische Arbeitnehmer betroffen. Soll nun der Lohn der Grenzgänger auf Grund der Eurokrise gesenkt werden und erhalten diese folglich für die gleiche Arbeit weniger Lohn als die inländischen Arbeitnehmer, werden sie diesen gegenüber benachteiligt. Somit liegt eine indirekte Diskriminierung vor. Dass das FZA auch auf die Grenzgänger anwendbar ist, ist unbestritten und ergibt sich aus Artikel 7 Anhang I FZA.
Keine Rechtfertigungsgründe
Nachdem das Kantonsgericht eine indirekte Diskriminierung bejahte, hatte es zu prüfen, ob Rechtfertigungsgründe vorliegen. Es ist der Auffassung, dass der tiefe Eurokurs nicht nur einseitig den Grenzgängern zu Gute kommt. Inländer kaufen zunehmend im Euroraum ein, dies vor allem in Zeiten des schwachen Eurokurses. Gerade in den grenznahen Gebieten – wie hier vorliegend – ist der „Einkaufstourismus“ in den Euroraum besonders ausgeprägt. In der Schweiz wohnhafte Arbeitnehmer profitieren somit ebenfalls vom tiefen Eurokurs. Zudem kaufen die Grenzgänger zum Teil auch in der Schweiz ein, gehen hier Mittagessen, haben teilweise auch Hypotheken in Schweizerfranken oder schicken ihre Kinder zum Teil auch in schweizerische Privatschulen. Diesbezüglich können sie auch nicht vom Eurokurs profitieren. Der schwache Eurokurs ist also kein sachlicher Rechtfertigungsgrund dafür, einseitig nur den Grenzgängern die Löhne zu senken. Das offerierte Angebot war zudem auch auf Grund der fehlenden umgekehrten Kompensation bei gegenläufigen Währungsverschiebungen nicht sachgerecht.
Währungsrisiko als Bestandteil des Betriebsrisikos
Zudem stellt das gewählte Vorgehen gemäss Kantonsgericht auch eine unzulässige Überwälzung des Währungsrisikos als Bestandteil des Betriebsrisikos dar. Genauso wie ein Rohstoffmangel und die damit verbundenen Preiserhöhungen stellen auch die negativen Folgen einer Währungsschwankung eine vom Arbeitgeber zu tragende wirtschaftliche Betriebsstörung dar, welche nicht auf den Arbeitnehmer überwälzt werden kann.
Kommentar
Gegen die sechs Entscheide des Kantonsgerichts Basel-Landschaft haben alle betroffenen Arbeitnehmer Beschwerde ans Bundesgericht erhoben, da sie u.a. mit der Höhe der ihnen zugesprochenen Entschädigung (vier Monatslöhne) wegen missbräuchlicher Kündigung nicht zufrieden sind. Der Arbeitgeber hingegen hat die Entscheide akzeptiert, obschon er nicht einverstanden ist damit, dass eine Verletzung des FZA vorliegen soll. Entsprechend hat das Bundesgericht über diesen Punkt nicht mehr zu entscheiden. Diese Frage ist rechtskräftig entschieden.
Die Entscheide des Kantonsgerichts schliessen jedoch nicht aus, dass eine Arbeitgeberin Löhne generell in Euro ausbezahlt. Ebenso zulässig ist es, dass beispielsweise eine stark vom Export abhängige Firma, als Reaktion auf den tiefen Eurokurs, die Löhne sämtlicher Mitarbeiter senkt.
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