Wann beginnt die Schwangerschaft?

1. Februar 2017

Wann beginnt die Schwangerschaft?

Die Frage, wann eine Schwangerschaft beginnt, ist von grosser praktischer Bedeutung, da die damit verbundene Kündigungssperrfrist sehr lange dauert, nämlich während der ganzen Schwangerschaft und in den 16 Wochen nach der Niederkunft. Im Urteil 4A_400/2016 hat das Bundesgericht nun entschieden, dass die natürliche Schwangerschaft im Arbeitsrecht mit der Befruchtung der Eizelle beginnt. Nicht beantwortet hat es hingegen die Frage, wann eine Schwangerschaft bei einer In-vitro-Fertilisation nach Art. 2 lit. c des Fortpflanzungsmedizingesetzes beginnt.

Sachverhalt

Eine Genfer Klinik kündigte einer Arbeitnehmerin am 24. Januar 2011 auf den 31. März 2011. Am 5. Mai 2011 teilte die Arbeitnehmerin der Arbeitgeberin mit, dass sie schwanger war. Es wurde festgestellt, dass die Befruchtung vor dem Ende des 31. März 2011 erfolgte. Das Kind kam am 23. Dezember 2011 zur Welt. Die Arbeitnehmerin war der Meinung, dass die Schwangerschaft spätestens am 31. März 2011 begann und somit in die Kündigungsfrist fiel. Aufgrund der Kündigungssperrfrist gemäss OR 336c/1c würde sich das Arbeitsverhältnis somit bis am 30. April 2012 verlängern. Sie klagte deshalb gegen die Arbeitgeberin und forderte von ihr weitere Lohnzahlungen vom 1. April 2011 bis am 30. April 2012. Die Arbeitgeberin war hingegen der Meinung, dass die Schwangerschaft erst mit der Einnistung der befruchteten Eizelle in der Gebärmutter beginnt, was in der Regel sechs bis sieben Tage nach der Befruchtung der Fall ist. Somit sei die Arbeitnehmerin am 31. März 2011 noch nicht schwanger gewesen und sie könne sich deshalb nicht auf die Kündigungssperrfrist gemäss OR 336c/1c berufen und das Arbeitsverhältnis ende folglich definitiv am 31. März 2011.

Kündigungsschutz

Das Obligationenrecht (OR 336c) sieht nach Ablauf der Probezeit mehrere Kündigungssperrfristen vor. Die längste dauert während der Schwangerschaft und in den 16 Wochen nach der Niederkunft. Das bedeutet einerseits, dass eine vom Arbeitgeber in diesem Zeitraum ausgesprochene Kündigung nichtig ist, und andererseits, dass, wenn nach gültig erfolgter Kündigung die Sperrfrist in die Kündigungsfrist fällt, die Kündigungsfrist unterbrochen und das Arbeitsverhältnis verlängert wird. Da diese Sperrfrist sehr lange dauert, ist es von grosser praktischer Bedeutung, wann sie genau beginnt. Ab wann also ist eine Frau schwanger im Sinne von OR 336c/1c?

Die Schwangerschaft beginnt mit der Befruchtung der Eizelle

In der Medizin ist der wissenschaftliche Beweis einer Schwangerschaft erst mit der Einnistung zu erbringen, da erst ab diesem Zeitpunkt ein spezifisches Hormon im Urin oder Blut der schwangeren Frau wahrnehmbar ist. Hingegen wird der Geburtstermin von der Befruchtung aus berechnet.

Eine andere Bedeutung hat der Begriff der Schwangerschaft (insbesondere ihr Beginn) im Strafrecht beim Schwangerschaftsabbruch (StGB 118 bis 120). Im Strafrecht beginnt die Schwangerschaft nicht mit der Befruchtung, sondern erst mit der Implantation der befruchteten Eizelle in der Gebärmutter (Einnistung). Diese Regelung im Strafrecht bezweckt, Verhütungsmethoden, welche die Einnistung der befruchteten Eizelle verhindern, nicht unter den Geltungsbereich von StGB 118 ff. zu stellen.

Die Bestimmung OR 336c/1c enthält keine Angaben zum Beginn der Schwangerschaftsperiode. In der Botschaft vom 9. Mai 1984 zur Volksinitiative «betreffend Kündigungsschutz im Arbeitsvertragsrecht» und zur Revision der Bestimmungen über die Auflösung des Arbeitsverhältnisses im Obligationenrecht hat sie der Gesetzgeber bestimmt, indem er Bezug auf die Konzeption (Befruchtung der Eizelle) nimmt, jedoch hat der Bundesrat präzisiert, «…dass in der Regel keine sofortige Gewissheit über den Zeitpunkt der Konzeption bestehe…». Diese Unsicherheit bezieht sich jedoch nur auf die Bestimmung des genauen Zeitpunkts der Konzeption und man kann daraus keine Argumente ableiten, um das Kriterium der Konzeption, worauf sich der Gesetzgeber ausdrücklich bezieht, in Frage zu stellen. Auch nach einhelliger Lehre beginnt die Schwangerschaft mit der Befruchtung.

Gemäss Bundesgericht ist es nicht notwendig, und auch nicht wünschbar, den Beginn der Schwangerschaft in den verschiedenen Bereichen (Medizin, Strafrecht und Privatrecht) einander anzugleichen, angesichts der unterschiedlichen Zusammenhänge, in denen der Begriff der Schwangerschaft vorkommt. Im hier betroffenen Bereich Privatrecht (OR 336c/1c) beginnt die Schwangerschaft gemäss Gesetzgeber und einhelliger Lehre mit der Befruchtung. Da die Befruchtung im zu beurteilenden Fall in die Kündigungsfrist fiel, unterbrach sie diese und verlängerte das Arbeitsverhältnis um die Sperrfrist. Das Bundesgericht verurteilte die Arbeitgeberin entsprechend zur Bezahlung des Lohnes vom 1. April 2011 bis am 30. April 2012.

Wann ist der Befruchtungstermin?

Nicht zur Diskussion stand im vorliegenden Fall die Frage, wann genau die Befruchtung stattfand. Wichtig ist diese Frage für die Bestimmung des Geburtstermins, entscheidend ist sie im Arbeitsrecht gemäss vorliegendem Bundesgerichtsurteil für die Bestimmung des Beginns der Kündigungssperrfrist und brisant kann sie sein, wenn es um die Feststellung der Vaterschaft geht. Die Feststellung des genauen Zeitpunkts der Befruchtung ist in der Regel unmöglich. Die Arbeitnehmerin hat ihre Schwangerschaft im Einzelfall zu beweisen. Der Arbeitgeber kann von der Arbeitnehmerin ein Arztzeugnis verlangen, welches bestätigt, seit wann sie schwanger ist. Im Streitfall ist der genaue Zeitpunkt durch medizinische Gutachten zu ermitteln. 

Kommentar Auch wenn das Bundesgericht nun Klarheit geschaffen hat in Bezug auf die Frage, wann die Schwangerschaft im Sinne von OR 336c/1c beginnt, bleibt die Unsicherheit bestehen in Bezug auf die Frage, wann genau die Befruchtung tatsächlich stattgefunden hat. Die vom Bundesgericht offen gelassene Frage, wann bei einer In-vitro-Fertilisation die Schwangerschaft beginnt, wurde vor kurzer Zeit in Deutschland beantwortet. Das Bundesarbeitsgericht hat entschieden (Urteil 2 AZR 237/14 vom 26.3.2015), dass der Kündigungsschutz bei einer In-vitro-Fertilisation ab dem Zeitpunkt der Einsetzung einer befruchteten Eizelle in die Gebärmutter (Embryonentransfer) gilt, und nicht erst ab der Einnistung.

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