Verzug des Arbeitgebers oder der Arbeitnehmerin?

1. November 2019

Verzug des Arbeitgebers oder der Arbeitnehmerin?

Das in der vorliegenden Ausgabe behandelte Urteil 4A_464/2018 des Bundesgerichts zeigt zweierlei. Erstens: Manchmal dauert es etwas länger, als man denkt, wenn der Arbeitgeber ein Arbeitsverhältnis beenden möchte. Die dreimalige Schwangerschaft der Arbeitnehmerin sowie krankheitsbedingte Absenzen führten dazu, dass aufgrund von Sperrfristen erst die fünfte Kündigung des Arbeitgebers gültig war und das Arbeitsverhältnis schliesslich beendete. Zweitens: Bei Freistellungen gilt es zu beachten, dass sie nicht generell für die Zukunft, sondern für einen genau bestimmten Zeitraum mit Enddatum ausgesprochen werden. Ist dies der Fall und erstreckt sich das Arbeitsverhältnis aufgrund von Sperrfristen während der Kündigungsfrist, ist der Arbeitnehmer verpflichtet, seine Arbeit nach dem gesetzten Enddatum wieder eindeutig anzubieten, ansonsten der Arbeitgeber von weiteren Lohnzahlungen befreit ist. Der Arbeitgeber kann sich dann erneut entscheiden, ob er die Freistellung verlängern oder den Arbeitgeber wieder beschäftigen will. Dies kann insbesondere hinsichtlich langer Sperrfristen, wie im vorliegenden Fall bei Schwangerschaft, sinnvoll sein.

Sachverhalt

Eine Arbeitnehmerin war seit dem 3.1.2013 als Produktionsassistentin in einem Vollzeitpensum angestellt. Im Januar 2013 wurde die Arbeitnehmerin zum ersten Mal schwanger, und das Kind wurde am 20.10.2013 geboren. Im März 2014 war sie ein zweites Mal schwanger, und die Geburt erfolgte am 2.12.2014. Aufgrund einer Massenentlassung kündigte der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis auch mit der Produktionsassistentin am 9.4.2014 auf den 30.6.2014. Diese Kündigung war nichtig, da sie in die Sperrfrist wegen Schwangerschaft fiel. Der Mutterschaftsurlaub endete am 23.3.2015 und die Arbeitnehmerin nahm ihre Arbeit am Tag darauf wieder auf. Die zweite vom Arbeitgeber am 10.3.2015 per 31.5.2015 ausgesprochene Kündigung erwies sich somit ebenfalls infolge Sperrfrist als nichtig. Der Arbeitgeber kündigte ein drittes Mal am 25.3.2015 per 31.5.2015 und stellte die Arbeitnehmerin bis zu diesem Datum von der Arbeit frei. Diese Kündigung war wiederum nichtig, da die Arbeitnehmerin vom 23.3.2015 bis am 7.4.2015 aufgrund eines chirurgischen Eingriffs arbeitsunfähig war. Am 20.4.2015 kündigte der Arbeitgeber zum vierten Mal per 30.6.2015, ebenfalls mit Freistellung bis zu diesem Datum. Auch diese Kündigung erwies sich als nichtig, da die Arbeitsunfähigkeit der Arbeitnehmerin bis am 3.5.2015 verlängert worden war. Der Arbeitgeber kündigte also ein fünftes Mal am 14.5.2015 per 31.7.2015, wieder mit Freistellung bis zu diesem Datum. Da die Arbeitnehmerin seit dem 28.6.2015 ein drittes Mal schwanger war – Information des Arbeitgebers am 10.7.2015 und Geburt am 30.3.2016 – wurde die Kündigungsfrist unterbrochen und das Arbeitsverhältnis bis am 31.8.2016 erstreckt. Da der Arbeitgeber lediglich bis am 31.7.2015 (Enddatum der Freistellung) den Lohn bezahlte, klagte die Arbeitnehmerin auf Bezahlung der Löhne vom 1.8.2015 bis am 31.8.2016. Die erste Instanz wies die Lohnforderung der Arbeitnehmerin zurück. Die zweite Instanz hingegen hob das Urteil der ersten Instanz auf und verpflichtete den Arbeitgeber, die geforderten Löhne zu bezahlen. Als Begründung gab sie an, der Arbeitgeber sei in Verzug gewesen, und entsprechend musste die Arbeitnehmerin ihre Arbeit nicht anbieten.

Arbeitnehmerin hat ihre Arbeit nicht angeboten

Die Nichtigkeit oder die Erstreckung der Kündigung gemäss OR 336c/2 ändert nichts an den Rechten und Pflichten der Parteien. Der Arbeitnehmer muss nach wiedererlangter Arbeitsfähigkeit seine Arbeitsleistung weiterhin erbringen, und der Arbeitgeber bleibt zur Lohnzahlung verpflichtet. Kommt der Arbeitnehmer seiner Arbeitspflicht nicht nach und liegen keine anerkannten Verhinderungsgründe vor, so gerät er wegen Nichterfüllung des Vertrags in Verzug. Der Arbeitgeber kann in diesem Fall für die Dauer der fehlenden Arbeitsleistung den Lohn verweigern (OR 82). Ebenso gelten die Regeln über den Annahmeverzug des Arbeitgebers. Kann die Arbeit infolge Verschuldens des Arbeitgebers nicht geleistet werden oder kommt er aus anderen Gründen mit der Annahme der Arbeitsleistung in Verzug, so bleibt er zur Entrichtung des Lohnes verpflichtet, ohne dass der Arbeitnehmer zur Nachleistung verpflichtet ist (OR 324/1). Arbeitgeberverzug liegt aber grundsätzlich erst vor, wenn der Arbeitnehmer die Arbeit eindeutig angeboten hat. Dabei gilt es wie folgt zu unterscheiden: Der Arbeitnehmerin kann nicht vorgeworfen werden, ihre Arbeitsleistung nicht angeboten zu haben, wenn der Arbeitgeber sie bis zum Ende der Kündigungsfrist freigestellt hat oder wenn er die angebotene Arbeit in keinem Fall angenommen hätte. Ist die Arbeitnehmerin hingegen während der Kündigungsfrist, d.h. bis zu einem bestimmten Datum, von der Arbeit freigestellt und bewirkt die Schwangerschaft eine Erstreckung des Arbeitsverhältnisses von mehr als einem Jahr, kann der Arbeitgeber die Arbeitnehmerin allenfalls erneut beschäftigen wollen. In diesem Fall muss die Arbeitnehmerin gemäss Bundesgericht ihre Arbeit anbieten, ansonsten der Arbeitgeber nicht in Verzug und entsprechend nicht zur Lohnzahlung verpflichtet ist.

Wann gilt die Arbeit als eindeutig angeboten? Der Arbeitgeber muss nach den Umständen gutgläubig davon ausgehen können, dass der Arbeitnehmer beabsichtigt, seine Arbeit zu verrichten. So befindet sich der Arbeitgeber nicht in Verzug, wenn er nach einer Erstreckung der Kündigungsfrist infolge Krankheit und vor Ablauf des Vertrags über die Genesung des Arbeitnehmers informiert wird und weiss, dass er verfügbar ist, während es der Arbeitnehmer, im Glauben dass der Vertrag beendet ist, unterlässt, seine Arbeit anzubieten. Diese strenge Regelung wurde aus Gründen der Rechtssicherheit gewählt, obschon sie die Arbeitslosenversicherung die Folgen des Irrtums des Arbeitnehmers tragen lässt, den der Arbeitgeber hätte beseitigen können. Es obliegt dem Arbeitnehmer, nachzuweisen, dass er seine Arbeit tatsächlich angeboten hat. Gleichzeitig muss der Arbeitnehmer auch in der Lage und fähig sein, seine Arbeit tatsächlich zu verrichten (Leistungsbereitschaft). Nur unter diesen Bedingungen kann der Arbeitgeber als Gläubiger dieser Leistung in Verzug geraten, diese anzunehmen und somit gemäss OR 324/1 zur Lohnzahlung verpflichtet werden.

Im vorliegenden Fall war unbestritten, dass die fünfte Kündigung am 14.5.2015 per 31.7.2015 vor Beginn der dritten Schwangerschaft am 28.6.2015 erfolgte. Ebenfalls unbestritten war, dass die Kündigungsfrist vor Beginn dieser Schwangerschaft noch nicht abgelaufen war, so dass sie unterbrochen wurde und erst nach dem Ende der Sperrfrist weiterlief und das Arbeitsverhältnis somit am 31.8.2016 endete. Die Arbeitnehmerin hatte weder bei der Bekanntgabe ihrer dritten Schwangerschaft am 10.7.2015 noch später einmal ihre Arbeit wieder angeboten. Sie hatte tatsächlich nie die Absicht, die Arbeit wieder aufzunehmen. Daraus schloss das Bundesgericht, dass die Arbeitnehmerin in Verzug war, ihre Arbeit zu leisten. Somit lag kein Arbeitgeberverzug gemäss OR 324/1 vor, und der Arbeitgeber war entsprechend nicht zur Lohnzahlung verpflichtet für den Zeitraum vom 1.8.2015 bis am 31.8.2016.



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