Bereits anlässlich der Arbeitsvertragsverhandlungen bestehen besondere vorvertragliche Pflichten der verhandelnden Parteien. Einerseits hat der potentielle Arbeitgeber die Pflicht zum Datenschutz und zur Vermeidung geschlechtsspezifischer Diskriminierung, andererseits hat der potentielle Arbeitnehmer gewisse Auskunfts- und Offenbarungspflichten. Auf letztere wird in der Folge näher eingegangen. Von besonderer Bedeutung ist dabei die Frage, inwieweit sich der Arbeitgeber nach Vertragsabschluss auf Irrtum oder Täuschung berufen kann, und welche rechtlichen Konsequenzen dies hat, wenn der Arbeitnehmer anlässlich der Vertragsverhandlungen Fragen falsch beantwortet oder gewisse Tatsachen nicht von sich aus mitgeteilt hat.
Besondere Pflichten des potentiellen Arbeitnehmers
Auskunftspflicht
Generell gilt, dass der Arbeitnehmer im Rahmen seiner Auskunftspflicht Fragen, welche in einem unmittelbaren Zusammenhang zum Arbeitsplatz und der zu leistenden Arbeit stehen, wahrheitsgetreu zu beantworten hat. Eine solche Pflicht besteht jedoch nur, wenn der erfragte Umstand von unmittelbarem objektivem Interesse für das spezifische Arbeitsverhältnis ist, was sich nach dessen vorgesehener Dauer, der zu verrichtenden Arbeit, der Art des Betriebs sowie der zukünftigen Stellung des Arbeitnehmers in diesem beurteilt.
Offenbarungspflicht
Unabhängig von der zu besetzenden Stelle hat der Arbeitnehmer im Rahmen seiner Offenbarungspflicht alles von sich aus mitzuteilen, was ihn zur Stellenübernahme als (absolut) ungeeignet erscheinen lässt, die vertragsgemässe Arbeitsleistung praktisch ausschliesst oder diese doch erheblich hindert. Das ist etwa der Fall, wenn er die fragliche Arbeitsleistung mangels entsprechender Fähigkeiten überhaupt nicht erbringen kann (fehlende Ausbildung oder Berufspraxis), wenn er zur Arbeitsleistung infolge chronischer Leiden, schwerer oder ansteckender Krankheiten ausserstande ist, wenn feststeht, dass er bei Arbeitsantritt aller Voraussicht nach krank oder in einer Kur sein wird oder wenn der Bewerbende einem entsprechenden Konkurrenzverbot mit Realvollstreckung unterliegt. Darüber hinaus dürfte eine Offenbarungspflicht bejaht werden, wenn sich der Arbeitgeber in einem offensichtlichen Irrtum über erhebliche Tatsachen befindet. Im Übrigen wird vom Arbeitgeber erwartet, sich mit geeigneten Fragen selber ein Bild vom Bewerbenden zu machen.
Ob und wieweit bezüglich eines hängigen Strafverfahrens (Ermittlungs-, Untersuchungs- und Hauptverfahren) eine Auskunfts- bzw. Offenbarungspflicht besteht, ist in der Lehre umstritten. Eine solche wird tendenziell hinsichtlich arbeitsplatzbezogener Delikte und bezüglich solcher Verfahren bejaht, bei denen die konkret absehbare Gefahr einer Arbeitsverhinderung oder doch das erhebliche Risiko einer wesentlichen Verminderung der Arbeitsleistung besteht.
Das Bundesgericht hatte am 30. Januar 2006 (Entscheid 2A.621/2005) folgenden Sachverhalt zu beurteilen: Drei Wochen nach Unterzeichnung des Arbeitsvertrages wurde der Arbeitgeberin zugetragen, dass die Arbeitnehmerin in ein Strafverfahren wegen eines Kapitalverbrechens verwickelt sei. Sie forderte die Arbeitnehmerin auf, dazu Stellung zu nehmen und bekundete gleichzeitig ihre Absicht, das Arbeitsverhältnis allenfalls rückgängig machen zu wollen. Die Arbeitnehmerin bestätigte, dass gegen sie ein Strafverfahren im Zusammenhang mit dem Tod ihres Freundes im Gange sei, und es zu einer Gerichtsverhandlung kommen werde. Darauf hin hat die Arbeitgeberin den Arbeitsvertrag widerrufen und somit für sich unverbindlich erklärt. Das Strafverfahren betraf zwar den Privatbereich der Arbeitnehmerin, doch war es gemäss Bundesgericht zusammen mit dessen landesweiter Publizität geeignet, die Tätigkeit wesentlich zu erschweren und das effiziente Erfüllen des Pflichtenhefts grundlegend in Frage zu stellen. Die Arbeitnehmerin wäre nach Treu und Glauben gehalten gewesen, anlässlich des Vorstellungsgesprächs über das hängige Verfahren und die damit verbundenen Auswirkungen zu informieren. Da sie dies nicht getan hat, hat sie die Arbeitgeberin über die wirklichen Verhältnisse bzw. ihre Eignung und Verfügbarkeit zur Erfüllung des Vertrages getäuscht, wobei sie sich der Relevanz der verschwiegenen Tatsachen bewusst war.
Wahrheitspflicht
Grundsätzlich müssen sämtliche Angaben, sei es gefragt oder ungefragt, wahr und nicht irreführend sein, und die Parteien haben sich nach Treu und Glauben zu verhalten. Trotzdem wird in der Lehre ein so genanntes „Notwehrrecht der Lüge“, d.h. das Recht, auf eine unzulässige Frage eine unwahre Antwort zu geben, mehrheitlich anerkannt.
Folgen mangelhafter Verträge
Die allgemeinen Bestimmungen des Obligationenrechts und insbesondere die Regeln über die Willensmängel (OR 23 ff.) sind auf den Arbeitsvertrag – und übrigens auch im Dienstrecht des Bundes – analog anwendbar. Der Vertrag kann von einer Partei für von Anfang an unverbindlich erklärt werden, wenn sie sich bei dessen Abschluss in einem wesentlichen Irrtum befunden hat, oder wenn sie getäuscht worden ist, wobei in diesem Fall der Irrtum kein wesentlicher zu sein braucht. Ein Grundlagenirrtum liegt vor, wenn der Anfechtende sich über einen bestimmten Sachverhalt geirrt hat, der für ihn notwendige Vertragsgrundlage bildete, und der nach Treu und Glauben im Geschäftsverkehr als gegeben vorausgesetzt werden durfte. Ein täuschendes Verhalten ist anzunehmen, wenn dem Betroffenen widerrechtlich Tatsachen vorgespiegelt oder verschwiegen wurden (z.B. durch ein selbst verfasstes und von der eigenen Frau unterzeichnetes Arbeitszeugnis), ohne die er den Vertrag nicht oder nicht mit dem entsprechenden Vertragsinhalt abgeschlossen hätte.
Zum Schutz des Arbeitnehmers wird die Wirkung der Unverbindlichkeit des Arbeitsvertrages in OR 320/3 wie folgt beschränkt: Leistet der Arbeitnehmer in gutem Glauben Arbeit im Dienst des Arbeitgebers auf Grund eines Arbeitsvertrages, der sich nachträglich als ungültig erweist, so haben beide Parteien die Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis in gleicher Weise wie aus gültigem Vertrag zu erfüllen, bis dieses wegen Ungültigkeit des Vertrages vom einen oder andern aufgehoben wird. Ein Arbeitnehmer kann sich nur dann nicht auf seine Gutgläubigkeit berufen, wenn ihm positiv nachgewiesen werden kann, dass er nicht bloss vom Mangel, sondern auch um die rechtliche Unverbindlichkeit des Vertrages als Folge dieses Mangels wusste (Entscheid 4C.325/2005 des Bundesgerichts vom 23. November 2005).
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