8. Dezember 2023
Bleibt ein Arbeitnehmer ungerechtfertigt seiner Arbeit fern, kommt es nicht selten vor, dass der Arbeitgeber ihn fristlos wegen Verlassens der Arbeitsstelle entlässt. Diese Vorgehensweise ist unglücklich und nicht zu empfehlen, vermischt sie doch zwei verschiedene Rechtshandlungen: Einerseits die fristlose Kündigung aus wichtigen Gründen durch den Arbeitgeber gemäss Art. 337 OR, und andererseits das Verlassen der Arbeitsstelle ohne wichtigen Grund gemäss Art. 337d OR, also die ungerechtfertigte fristlose Kündigung durch den Arbeitnehmer.
Nachfolgend gehen wir auf den zweiten Begriff ein und erklären dem Arbeitgeber wie er sich zu verhalten hat, wenn ein Arbeitnehmer ungerechtfertigt von seiner Arbeit abwesend ist und welche Konsequenzen dies hat.
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts (Urteil 4C.339/2006; BGE 121 V 277) setzt fristloses Verlassen im Sinn von Art. 337d OR voraus, dass der Arbeitnehmer die weitere Erbringung seiner Arbeitsleistung bewusst, absichtlich und endgültig verweigert. Liegt diesbezüglich keine eindeutige Erklärung des Arbeitnehmers vor, ist darauf abzustellen, ob der Arbeitgeber unter Berücksichtigung der gesamten Umstände nach dem Vertrauensgrundsatz davon ausgehen durfte, der Arbeitnehmer habe die Arbeitsstelle definitiv verlassen.
Die Beweislast für das Verlassen der Arbeitsstelle trifft den Arbeitgeber. Das Bundesgericht wendet einen strengen Massstab an. Lässt die Situation begründete Zweifel offen, ob eine bewusste, absichtliche und endgültige Arbeitsverweigerung vorliegt, ist der Arbeitnehmer zu mahnen und in Verzug zu setzen. Konkret hat der Arbeitgeber den Arbeitnehmer zur sofortigen Wiederaufnahme der Arbeit oder zur Einreichung eines Arbeitsunfähigkeitszeugnisses aufzufordern und gleichzeitig anzudrohen, dass es sich sonst um eine fristlose Kündigung ohne wichtigen Grund durch den Arbeitnehmer handelt. Dem Arbeitnehmer ist bei der Aufforderung per Einschreiben keine bzw. eine sehr kurze Frist von wenigen Tagen zu setzen, da der Empfangszeitpunkt nicht von vornherein klar ist, und entsprechend auch der Zeitpunkt, wann er die Arbeit wieder aufnehmen oder ein Arztzeugnis einreichen muss.
Kommt der Arbeitnehmer dieser Aufforderung nach, sprich nimmt er die Arbeit wieder auf oder reicht ein Arbeitsunfähigkeitszeugnis ein, kann der Arbeitgeber nicht mehr von einer fristlosen Auflösung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitnehmer ausgehen. Je nach den Umständen und der Schwere der Versäumnisse des Arbeitnehmers bleiben dem Arbeitgeber folgende Möglichkeiten: Schriftliche Verwarnung mit Androhung der Kündigung im Wiederholungsfall, ordentliche Kündigung, sofern der Arbeitnehmer nicht durch eine Sperrfrist gemäss Art. 336c OR geschützt ist, oder fristlose Entlassung, die jedoch ohne vorgängige schriftliche Verwarnung selten als gerechtfertigt beurteilt wird.
Kommt der Arbeitnehmer dieser Aufforderung nicht nach bzw. nimmt nach etwa 10 Tagen seit dem Versand des Einschreibens die Arbeit nicht wieder auf oder reicht ein Arztzeugnis ein, dann kann der Arbeitgeber mit einem zweiten Brief das definitive Verlassen der Arbeitsstelle feststellen.
Wenn die unberechtigte Abwesenheit des Arbeitnehmers von kurzer Dauer ist, z.B. einige Tage nach Ferienende, kann der Arbeitgeber gemäss bundesgerichtliche Rechtsprechung nicht aus den Umständen schliessen, dass der Arbeitnehmer die Arbeitsstelle definitiv verlassen hat. Umgekehrt muss eine Abwesenheit von mehreren Monaten als eine Weigerung der weiteren Zusammenarbeit angesehen werden (BGE 121 V 277). Dies sogar dann, wenn der Arbeitnehmer unerwartet seine Arbeitskraft wieder anbietet. In diesem Fall genügt allein die Dauer der Abwesenheit, um zu beweisen, dass der Arbeitnehmer willens war, die Arbeitsstelle definitiv zu verlassen.
Muss der Arbeitgeber nach Treu und Glauben erkennen, dass die Abwesenheit des Arbeitnehmers mit behaupteten gesundheitlichen Problemen zusammenhängt, darf er, selbst wenn der Arbeitnehmer nicht sofort ein Arztzeugnis beibringt, daraus allein nicht auf ein Verlassen der Arbeitsstelle schliessen. Gemäss Bundesgericht muss er vielmehr die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass der Arbeitnehmer es lediglich versäumt hat, seiner Pflicht zur Einreichung des Arztzeugnisses nachzukommen oder dazu nicht in der Lage war. Erst wenn diesbezüglich durch die Aufforderung zur Einreichung des Arztzeugnisses beziehungsweise zur Wiederaufnahme der Arbeit oder aufgrund weiterer zur blossen Abwesenheit hinzutretender Umstände Klarheit besteht, erscheint der Schluss auf ein Verlassen der Arbeitsstelle gerechtfertigt.
Reicht der Arbeitnehmer zwar ein ärztliches Zeugnis ein, gelingt aber der Nachweis, dass der Arbeitnehmer entgegen den Angaben in diesem Zeugnis tatsächlich seiner Arbeit ganz oder teilweise hätte nachkommen können, ist allein dadurch der Tatbestand von Art. 337d OR nicht erfüllt. Das Bundesgericht (Urteil 4A_140/2009) verlangt zusätzlich, dass dem Arbeitnehmer nachgewiesen werden kann, dass er sich seiner Arbeitsfähigkeit bewusst war. Soweit dieser Nachweis nicht gelingt, ist das Fernbleiben von der Arbeit mit Hinweis auf das Arztzeugnis keinesfalls als Verlassen der Arbeitsstelle zu qualifizieren. Glaubt der Arbeitnehmer, das Zeugnis treffe zu, läge ein allfälliger Fehler beim Arzt. Anlass für eine fristlose Kündigung bestünde damit nicht.
Mit dem definitiven Verlassen der Arbeitsstelle endet das Arbeitsverhältnis in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht, eine Kündigung durch den Arbeitgeber ist dazu nicht mehr erforderlich. Eine fristlose Kündigung durch den Arbeitgeber wäre nicht nur nutzlos (man kann nicht einen Vertrag kündigen, der bereits fristlos gekündigt ist), sondern auch nicht opportun, denn sie würde eine Doppeldeutigkeit bestehen lassen, die sich gegen den Arbeitgeber auswirken könnte, bei der Beantwortung der Frage, welche Partei das Arbeitsverhältnis beendet hat.
Hat der Arbeitnehmer die Arbeitsstelle ohne wichtigen Grund fristlos verlassen, hat der Arbeitgeber Anspruch auf eine Entschädigung in Höhe eines Viertels eines Monatslohns. Unter Monatslohn ist ein Zwölftel des Jahreslohns brutto zu verstehen. Nicht einzurechnen sind allfällige freiwillige Leistungen. Es handelt sich um eine Pauschalentschädigung, das heisst der Arbeitgeber kann sie lediglich behaupten, muss aber keinen Schadensbeweis erbringen. Kann der Arbeitnehmer beweisen, dass dem Arbeitgeber kein oder ein geringerer Schaden entstanden ist, kann der Richter die Entschädigung nach seinem Ermessen herabsetzen. Will der Arbeitgeber einen höheren Schaden geltend machen, ist er für den gesamten Schaden beweispflichtig.
Kann die Entschädigung nicht mit Forderungen des Arbeitnehmers verrechnet werden, hat der Arbeitgeber lediglich 30 Tage seit dem Verlassen der Arbeitsstelle Zeit, Klage oder Betreibung einzureichen.
Oft bestehen bei ungerechtfertigten Abwesenheiten eines Arbeitnehmers von seiner Arbeit Zweifel, ob der Arbeitnehmer die weitere Erbringung seiner Arbeitsleistung bewusst, absichtlich und endgültig verweigert. Klarheit schafft der Arbeitgeber, indem er den Arbeitnehmer schriftlich (eingeschrieben) zur sofortigen Wiederaufnahme der Arbeit oder zur Einreichung eines Arbeitsunfähigkeitszeugnisses auffordert und ihm androht, dass es sich sonst um eine fristlose Kündigung ohne wichtigen Grund durch den Arbeitnehmer handelt.
Auf dem Kundenportal finden Sie unter «Dienstleistungen: Vorlagen und Rechner» zwei Briefvorlagen, welche Sie für die Aufforderung zur Wiederaufnahme der Arbeit und die Feststellung des definitiven Verlassens der Arbeitsstelle verwenden können.
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