Anlass zur vorliegenden Ausgabe gibt ein aktuelles Urteil des Bundesgerichts (4A_579/2017 / 4A_581/2017). Es hält fest, dass Konventionalstrafen unzulässig sind, wenn sie Ersatzcharakter haben und die Haftung des Arbeitnehmers gemäss OR 321e verschärfen, sowie welche Voraussetzungen gegeben sein müssen, damit Konventionalstrafen mit Disziplinarcharakter zulässig sind.
Sachverhalt
Im Arbeitsvertrag einer geschäftsführenden Ärztin war unter dem Titel «Konventionalstrafe» Folgendes festgehalten: «Bei Zuwiderhandlungen gegen diesen Vertrag, insbesondere gegen das Konkurrenzverbot oder die Geheimhaltungspflicht, schuldet die Arbeitnehmerin eine Konventionalstrafe von je CHF 50‘000.- pro Verstoss. Die Bezahlung der Konventionalstrafe befreit die Arbeitnehmerin nicht von der weiteren Einhaltung des Vertrages, insbesondere des Konkurrenzverbots, der Geheimhaltungspflicht oder dem Verbot der Abwerbung. In jedem Fall, auch bei Bezahlung der Konventionalstrafe, kann die Arbeitgeberin die Beseitigung des vertragswidrigen Zustandes sowie den Ersatz weiteren Schadens verlangen.»
Die Arbeitnehmerin kündigte das Arbeitsverhältnis auf den 31. Dezember 2011. Mit Klage vom 24. Februar 2014 beantragte die Arbeitgeberin die Bezahlung einer Konventionalstrafe von CHF 150‘000.- infolge Verletzung des Arbeitsvertrags. Mit Urteil vom 7. Oktober 2016 wies das Arbeitsgericht des Kantons Luzern die Klage ab, worauf die Arbeitgeberin Berufung erhob. Mit Urteil vom 25. September 2017 verurteilte das Kantonsgericht des Kantons Luzern die Arbeitnehmerin zur Bezahlung von CHF 50‘000.- an die Arbeitgeberin. Das Kantonsgericht kam zum Schluss, die Arbeitnehmerin habe zwei Vertragsverletzungen begangen. Erstens holte sie keine schriftliche Zustimmung der Arbeitgeberin zur Aufnahme einer Nebentätigkeit als Belegärztin an einer Privatklinik ein. Zweitens gab sie bei Auflösung des Arbeitsverhältnisses der Arbeitgeberin die mit der Praxis verknüpfte Zahlstellenregisternummer nicht zurück.
Arbeitnehmerhaftung gemäss OR 321e
Die Arbeitnehmerhaftung gemäss OR 321e setzt nach den allgemeinen Regeln der Vertragshaftung eine Vertragsverletzung, einen Schaden, ein Verschulden und einen adäquaten Kausalzusammenhang zwischen der Vertragsverletzung und dem eingetretenen Schaden voraus. Der Arbeitgeber muss die Vertragsverletzung, den Schaden sowie den erforderlichen Kausalzusammenhang nachweisen. Dem Arbeitnehmer steht der Exkulpationsbeweis offen.
Nach OR 362/1 darf der Arbeitnehmer durch vertragliche Abmachungen gegenüber der gesetzlichen Regelung von OR 321e nicht schlechter gestellt werden. Deshalb wird in der Lehre einhellig die Auffassung vertreten, Konventionalstrafen zur Sicherung der Einhaltung der arbeitsvertraglichen Pflichten dürften nicht einer Haftungsverschärfung gleichkommen. Von OR 321e nicht ausgeschlossen sind so genannte Disziplinarmassnahmen. Diese können unter gewissen Voraussetzungen arbeitsrechtlich gültig vereinbart und insofern als Vertragsstrafen aufgefasst werden.
In der Lehre wird in Bezug auf die Vereinbarkeit von Konventionalstrafen mit OR 321e teilweise danach differenziert, ob der Konventionalstrafe Straf- und/oder Ersatzcharakter zukommt. Ersatzcharakter habe eine Konventionalstrafe dann, wenn sie auf den Ausgleich vermögensrechtlicher Nachteile gerichtet sei und somit das wirtschaftliche Interesse an der mangelfreien Pflichterfüllung betreffe. Diesem Interesse entspreche auch die Haftungsnorm von OR 321e, weshalb eine Strafabrede mit Ersatzcharakter in den Regelungsbereich dieser Norm falle.
Konventionalstrafen mit Ersatzcharakter
Im vorliegenden Fall stand fest, dass die arbeitsvertraglich vereinbarte Konventionalstrafe teilweise auf den Ausgleich vermögensrechtlicher Nachteile ausgerichtet war und insofern Ersatzcharakter aufwies. Soweit die Vertragsstrafe die Haftung der Arbeitnehmerin betraf, fiel sie in den Regelungsbereich von OR 321e. Somit war zu prüfen, ob die vereinbarte Konventionalstrafe die Haftung der Arbeitnehmerin unzulässigerweise verschärfte.
OR 321e setzt zwingend ein Verschulden des Arbeitnehmers voraus. Verschuldensunabhängige Konventionalstrafen mit Ersatzcharakter sind somit unzulässig. Unzulässig sind zudem auch Abreden, welche die Exkulpationspflicht des Arbeitnehmers ausdehnen bzw. die Exkulpation erschweren oder verunmöglichen. Weiter verstossen auch Abreden gegen diese Haftungsnorm, wenn sie zu einer schadensunabhängigen Haftung des Arbeitnehmers führen. Mit der umstrittenen Konventionalstrafe hatten die Parteien eine schadens- und verschuldensunabhängige Haftung der Arbeitnehmerin vereinbart, was eine unzulässige Haftungsverschärfung bedeutete. Somit war die Konventionalstrafe nichtig.
Konventionalstrafen mit Straf- bzw. Disziplinarcharakter
Nach Bundesgericht ist eine Konventionalstrafe mit Rücksicht auf OR 321e nur zulässig, soweit sie Disziplinarcharakter aufweist. Folglich war zu prüfen, ob die vereinbarte Konventionalstrafe insoweit aufrechterhalten werden konnte. Im Arbeitsvertragsrecht verfügt der Arbeitgeber grundsätzlich über keine Disziplinargewalt gegenüber dem Arbeitnehmer. Jedoch können Disziplinarmassnahmen grundsätzlich als Vertragsstrafen in einem Einzelarbeitsvertrag vereinbart werden. Damit sie gültig vereinbart werden, muss die Höhe der Strafe bestimmt und verhältnismässig sein. Weiter müssen die Tatbestände, die unter Strafe gestellt werden, klar umschrieben sein. Erforderlich ist, dass jeder einzelne Verstoss, der zur Ausfällung einer Strafe führen soll, sowie die entsprechende Sanktion hinreichend klar festgelegt werden.
Im vorliegenden Fall schuldete die Arbeitnehmerin «bei Zuwiderhandlungen gegen diesen Vertrag» eine Strafe. Als Beispiele von Vertragsverletzungen wurden Zuwiderhandlungen gegen das Konkurrenzverbot und die Geheimhaltungspflicht erwähnt. Eine darüber hinausgehende Umschreibung der Tatbestände, welche die Zahlung der Vertragsstrafe auslösen sollte, war im Arbeitsvertrag nicht enthalten. Es war vielmehr davon auszugehen, dass jegliche Zuwiderhandlungen der Arbeitnehmerin gegen den Arbeitsvertrag mit einer Konventionalstrafe sanktioniert werden sollten, unabhängig von der Art und Schwere der Verletzung. Diese Vertragsklausel erfüllte das Bestimmtheitserfordernis folglich klar nicht. Da die Tatbestände, welche die Vertragsstrafe auslösen, nicht hinreichend bestimmt waren, war nicht zu prüfen, ob eine Disziplinarmassnahme überhaupt zur Durchsetzung der zur Diskussion stehenden Vertragsverletzungen eingesetzt werden durfte. Somit stand fest, dass die Parteien keine gültige Disziplinarmassnahme vereinbart hatten. Die Frage der Verhältnismässigkeit der vereinbarten Strafe konnte folglich offen gelassen werden. Ebenso nicht mehr zu prüfen war, ob die fraglichen Vertragsverletzungen tatsächlich gegeben waren.
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