Zu den Begriffsmerkmalen des Arbeitsvertrags gehört die Entgeltlichkeit der Tätigkeiten. Vereinbaren die Parteien die Unentgeltlichkeit, liegt kein Arbeitsvertrag vor, was zur Folge hat, dass die arbeitsvertraglichen Bestimmungen von OR 319ff . nicht anwendbar sind. Hingegen sind die Bestimmungen des Arbeitsgesetzes, insbesondere die Arbeits- und Ruhezeiten, soweit sie Anwendung finden trotzdem zu berücksichtigen.
Begriffsnotwendige Elemente des Arbeitsvertrags
Die begriffsnotwendigen Elemente des Arbeitsvertrags sind das Leisten von Arbeit gegen Lohn, auf Zeit, in einer fremden Arbeitsorganisation mit Weisungsbefugnis des Arbeitgebers. Anhand dieser Elemente ist im konkreten Einzelfall zu beurteilen, ob ein Arbeitsvertrag vorliegt oder nicht. Ausschlaggebend ist dabei weder die von den Parteien gewählte Bezeichnung noch die Einstufung durch die Sozialversicherungen. Aus der Definition des Arbeitsvertrags geht hervor, dass unentgeltliche Einsätze keinen Arbeitsvertrag bewirken können. Der Entgeltlichkeit kommt also eine wichtige Bedeutung zu. Wann ist aber eine Tätigkeit entgeltlich und wann unentgeltlich? Dabei ist in erster Linie auf die vertragliche Vereinbarung abzustellen. Fehlt es an einer solchen Vereinbarung, kommt OR 320/2 zur Anwendung, wonach der Arbeitsvertrag auch dann als abgeschlossen gilt, wenn der Arbeitgeber Arbeit in seinem Dienst auf Zeit entgegennimmt, deren Leistung nach den Umständen nur gegen Lohn zu erwarten ist. Nach dieser Bestimmung kann ein Arbeitsvertrag entstehen, selbst wenn die Parteien dies eigentlich nicht gewollt haben. Die Lohnhöhe bestimmt sich dann nach OR 322/1. Blosse Gefälligkeitshandlungen wie z.B. das kurzzeitige Hüten der Nachbarkinder oder das Mähen des Rasens für einen Freund während dessen Ferien bewirken hingegen keinen Arbeitsvertrag, da für deren Leistung kein Lohn erwartet wird. Ebenfalls kein Arbeitsvertrag entsteht durch die eigentliche Freiwilligenarbeit als gesellschaftlicher Beitrag an Mitmenschen und Umwelt. Sie wird unentgeltlich geleistet (vgl. www.benevol.ch).
Spezialfall „Probeweises Arbeiten“
Einen Spezialfall bildet das probeweise Arbeiten (auch Probearbeit oder „Schnuppern“ genannt), bei welchem der Arbeitgeber einen Stellenbewerber einige Stunden oder sogar Tage versuchshalber arbeiten lässt, um dessen Eignung für die Stelle in der Praxis zu prüfen und der Bewerber erst danach erfährt, ob er die Stelle bekommt oder nicht. Für das probeweise Arbeiten ist es oft üblich, dass keine Entschädigung bezahlt wird, unabhängig davon, ob der Bewerber die Stelle erhält oder nicht. In der schweizerischen Rechtsordnung wird allgemein anerkannt, dass Vereinbarungen zulässig sind, wonach probeweises Arbeiten unentgeltlich ist. Die Grenzen einer solchen Regelung liegen im allfälligen Missbrauch oder einer Übervorteilung nach OR 21.
Vertragliche Vereinbarung
Handelt es sich nicht um blosse Gefälligkeitshandlungen oder eigentliche Freiwilligenarbeit und besteht keine Vereinbarung, wonach Arbeitseinsätze unentgeltlich geleistet werden, ist in der Regel von einer entgeltlichen Tätigkeit auszugehen und es besteht ein Arbeitsvertrag. Die Vermutungsregel gemäss OR 320/2, wonach der Arbeitsvertrag auch dann als abgeschlossen gilt, wenn der Arbeitgeber Arbeit in seinem Dienst auf Zeit entgegennimmt, deren Leistung nach den Umständen nur gegen Lohn zu erwarten ist, kommt nur dann nicht zur Anwendung, wenn die Unentgeltlichkeit einer Arbeitsleistung ausdrücklich vereinbart ist. Fraglich ist dabei, wo die Grenzen einer solchen Unentgeltlichkeitsvereinbarung liegen.
Im Entscheid 4A_641/2012 vom 6. März 2013 hatte das Bundesgericht folgenden Sachverhalt zu beurteilen: Eine Ärztin arbeitete unentgeltlich während fünf Jahren in der dermatologischen Abteilung eines Krankenhauses. Sie war damit einverstanden, da sie sich angeblich bei einem Professor weiterbilden und auf den FMH-Facharzttitel in Dermatologie vorbereiten konnte. Während der ganzen Beschäftigungsdauer hat die Ärztin nie Lohnforderungen gestellt. Gegenüber der kantonalen Behörde hat sie bestätigt, dass sie die Unentgeltlichkeit ihrer Arbeitsleistung akzeptiere. Nach dem Weggang des Professors hat das Krankenhaus die Zusammenarbeit mit der Ärztin beendet. In der Folge machte die Ärztin Lohnforderungen gestützt auf einen angeblichen Arbeitsvertrag geltend.
Da keine schriftliche Vereinbarung vorlag, hatte das Bundesgericht die Willensäusserungen der Parteien nach dem Vertrauensprinzip auszulegen. Dieses erlaubt es, einer Partei den objektiven Sinn seiner Äusserung oder seines Verhaltens anzurechnen, auch wenn dieser nicht mit seinem innersten Willen übereinstimmt. Unter Berücksichtigung des Zusammenhangs, in welchem die Ärztin mit anderen ebenfalls nicht bezahlten Ärzten in der Dermatologie beschäftigt war und dass sie ihre Zusammenarbeit so lange nicht beendet hatte, konnten die Organe des Krankenhauses gemäss Bundesgericht mit gutem Glauben annehmen, dass diese Person akzeptierte, unentgeltlich zu arbeiten in Anbetracht der beruflichen Kenntnisse und des Know-hows, das sie auf diese Art entwickeln konnte. Nicht von Bedeutung ist die Tatsache, dass die unentgeltliche Tätigkeit sich ungewöhnlich verlängerte. Dass die Ärztin die unentgeltliche Tätigkeit angeblich in der Hoffnung angenommen hatte, eine Weiterbildung zum FMH-Facharzt in Dermatologie zu machen, ist ebenfalls nicht bedeutsam. Entscheidend ist, dass sie keine Entschädigung gefordert hatte, weder in Geld noch in natura, und sich somit nicht auf das Bestehen eines Arbeitsvertrags stützen konnte.
Anwendbare Bestimmungen
Handelt es sich um eine unentgeltliche Tätigkeit und ist somit kein Arbeitsvertrag zustande gekommen, stellt sich die Frage, welche gesetzlichen Bestimmungen zu berücksichtigen sind. Da kein Arbeitsvertrag vorliegt, sind die arbeitsvertraglichen Bestimmungen von OR 319ff . nicht anwendbar. Hingegen sind die Bestimmungen des Arbeitsgesetzes (ArG), insbesondere die Arbeits- und Ruhezeiten, soweit sie Anwendung finden trotzdem zu berücksichtigen. Gemäss Art. 1 ArGV1 sind nämlich Lehrlinge, Praktikanten, Volontäre und andere Personen, die hauptsächlich zur Ausbildung oder zur Vorbereitung der Berufswahl im Betrieb tätig sind, auch Arbeitnehmer. Diese Personen bedürfen des gleichen Schutzes wie die anderen Arbeitnehmer im Sinne des OR.
Kommentar
Will der Arbeitgeber einen Arbeitnehmer über kürzere oder längere Zeit unentgeltlich beschäftigen, bedarf es in der Regel einer ausdrücklichen (aus Beweisgründen schriftlichen) Vereinbarung mit dem Arbeitnehmer. Dabei ist wichtig, dass der Arbeitnehmer seine Zustimmung freien Willens gibt. Die allfälligen Grenzen der vertraglichen Vereinbarung zeigt das Bundesgericht nicht auf. Diese liegen wohl im Missbrauch oder einer Übervorteilung nach OR 21, was unter Berücksichtigung der Umstände im Einzelfall zu beurteilen ist.
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