Streikrecht

Sachverhalt

Mit Urteil vom 28. Juni 1999 hat das Bundesgericht den Streik der Arbeitnehmer einer Spinnerei in der Ostschweiz vom 21. März 1994 als rechtmässig erklärt und entsprechend die Kündigung der Arbeitsverhältnisse durch die Arbeitgeberin als rechtsmissbräuchlich beurteilt. 

Der beklagte Arbeitnehmer arbeitete seit Mai 1992 in der Baumwollspinnerei der B. AG. Es bestand kein Gesamtarbeitsvertrag. Die Arbeitgeberin teilte der Belegschaft am 27. Januar 1994 mit, dass auf Grund der schwierigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen praktisch alle Arbeitsverhältnisse ab 31. Januar 1994 gekündigt würden. Sie würden aber versuchen, die Betroffenen später durch Vermittlung des Arbeitsamtes weiter zu beschäftigen, jedoch zu einem wesentlich geringeren Lohn, wobei die Differenz bis zu 80% des früheren Lohnes durch die Arbeitslosenkasse bezahlt würde. Dieses Vorgehen wurde vom BIGA abgelehnt. Die folgenden Auseinandersetzungen zwischen der von der Gewerkschaft Bau und Industrie unterstützten Belegschaft und der Arbeitgeberin mündeten am 21. März 1994 in einem Warnstreik. Am selben Tag gab die Arbeitgeberin die Betriebsschliessung bekannt und kündigte den Grossteil der Arbeitsverhältnisse auf den 31. Mai 1994, darunter auch denjenigen mit dem Beklagten. Dieser erhob Einsprache wegen missbräuchlicher Kündigung. Ab 23. März 1994 streikte die ganze Belegschaft. Am 28. April 1994 löste der Beklagte – gleichzeitig mit anderen Arbeitnehmern – das Arbeitsverhältnis fristlos auf.

Gibt es ein Streikrecht im schweizerischen Arbeitsrecht?

Um die Missbräuchlichkeit der Kündigung beurteilen zu können, muss die Frage nach einem Streikrecht im schweizerischen Arbeitsrecht beantwortet werden. Das Bundesgericht hat festgestellt, dass eine echte Lücke im Gesetz besteht und hat lückenfüllend ein Streikrecht im schweizerischen Arbeitsrecht bejaht. Die am 1. Januar 2000 in Kraft tretende neue Bundesverfassung (nBV) anerkennt den Streik als Teil der Koalitionsfreiheit. Offen gelassen hat das Bundesgericht die Frage, ob die Bestimmungen des „UNO-Pakt I“ über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte sowie des „UNO-Pakt II“ über bürgerliche und politische Rechte in der Schweiz unmittelbar anwendbar seien. Nicht entschieden wurde auch die Frage, ob aus dem Übereinkommen Nr. 87 über die Vereinigungsfreiheit für die Schweiz eine Streikgarantie abgeleitet werden kann.

Wann ist ein Streik zulässig?

Das Bundesgericht hatte zu prüfen, „wer sich darauf berufen kann, welche Schranken seiner Ausübung entgegenstehen und inwieweit es in den Beziehungen unter Privatpersonen durchsetzbar ist“. Es lässt das Streikrecht nicht generell für jeden Fall gelten, sondern es knüpft die Rechtmässigkeit eines Streiks an folgende vier Voraussetzungen:

  •  Der Streik muss von einer tariffähigen Organisation getragen werden, d.h. von einem Arbeitnehmerverband, der mit den Arbeitgebern Verhandlungen über Arbeitsbedingungen führen kann.
  • Der Streik muss durch Gesamtarbeitsvertrag regelbare Ziele verfolgen.
  • Der Streik darf nicht gegen die Friedenspflicht verstossen.
  • Der Streik muss verhältnismässig sein.

Verboten sind entsprechend „wilde“ Streiks einzelner Arbeitnehmer, denn es braucht für einen Streik eine Gewerkschaft, die in ihren Statuten die Interessenvertretung ihrer Mitglieder als Vereinszweck festhält. Selbstverständlich bedarf es im konkreten Einzelfall, dass ein solcher Arbeitnehmerverband auch tatsächlich Mitglieder im betreffenden Unternehmen hat.

Ebenfalls verboten sind politische Streiks, wie es beispielsweise der „Frauenstreik“ von 1991 war, die ohne Bezug auf das Arbeitsverhältnis erfolgen. Die Einschränkung des Streiks auf Arbeitsbeziehungen sieht auch Art. 28 nBV ausdrücklich vor.

Ein Streik ist zudem auch nicht zulässig, wenn nicht zumindest vorher der Versuch unternommen wurde, zu verhandeln. Dies folgt aus Art. 28 nBV, welcher fordert, dass Streitigkeiten nach Möglichkeit durch Verhandlung oder Vermittlung beizulegen sind.

Im weiteren sind Streiks gegen bestehende Regelungen in Gesamtarbeitsverträgen (GAV) unzulässig, denn solche Vereinbarungen sind einzuhalten. In der Regel beinhalten die GAV ein Einigungsverfahren über Fragen, die sich aus diesem ergeben. Allfällige Ansprüche wegen Nichteinhaltung der Vereinbarung sind bei den zivilen (Arbeits)gerichten geltend zu machen. 

Selbstverständlich einzuhalten ist auch ein zwischen den Sozialpartnern ausdrücklich vereinbarter Arbeitsfriede, der einen Streik generell ausschliesst. Art. 28 nBV schreibt zudem explizit vor, dass ein Streik nur zulässig ist, wenn keine Verpflichtungen entgegenstehen, Schlichtungsverhandlungen zu führen. 

Kommentar

Mit der neuen Bundesverfassung und diesem höchstrichterlichen Entscheid ist nun in Sachen Streikrecht Klarheit geschaffen worden. Da die Behandlung des vorliegenden Streikfalles vor Bundesgericht zeitgleich mit der parlamentarischen Debatte zur Totalrevision der BV lief, war eine gegenseitige Befruchtung bzw. Beeinflussung möglich. Für den vielgepriesenen schweizerischen Arbeitsfrieden ist von entscheidender Bedeutung, dass das Streikrecht dabei deutlich eingeschränkt worden ist. Ob der Wirtschaftsstandort Schweiz auch in Zukunft von seiner Mustergültigkeit in Sachen Streiks wird profitieren können, wird stark vom Verhalten der Sozialpartner abhängen.


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