1. Juli 2011
Die vorliegende Ausgabe behandelt die umstrittene Frage, ob Streitigkeiten aus Einzelarbeitsverhältnissen mittels entsprechender Schiedsklausel in den Arbeitsverträgen einem Schiedsgericht unterstellt werden können. Anlass dazu gibt der Entscheid des Bundesgerichts BGE 136 III 467, wonach die in einem Einzelarbeitsvertrag enthaltene Schiedsklausel dem Arbeitnehmer nicht entgegengehalten werden kann, soweit dieser nach OR 341/1 geschützte Ansprüche geltend macht, auf die er nicht rechtswirksam verzichten kann. Dies lässt aber umgekehrt vermuten, dass eine arbeitsrechtliche Streitigkeit immer schiedsfähig ist, wenn es um Ansprüche geht, die nicht unter OR 341/1 fallen.
Keine Kompetenz der Kantone mehr
Die am 1. Januar 2011 in Kraft getretene neue eidgenössische Zivilprozessordnung (ZPO) regelt nicht nur das Verfahren vor den staatlichen Zivilgerichten, sondern auch die Schiedsgerichtsbarkeit (ZPO 353-399), welche bisher im interkantonalen Konkordat über die Schiedsgerichtsbarkeit geregelt war. Die Kantone haben somit keine Kompetenz mehr, die Schiedsgerichtsbarkeit auszuschliessen, zu beschränken – z.B. auf Streitigkeiten über 30‘000 Franken oder auf Gesamtarbeitsverträge (GAV) – oder vollständig zuzulassen.
Frei verfügbare Ansprüche
Gegenstand eines Schiedsverfahrens kann jeder Anspruch sein, über den die Parteien frei verfügen können (ZPO 354). Das Bundesgericht stützt sich grundsätzlich auf OR 341/1, wonach der Arbeitnehmer während der Dauer des Arbeitsverhältnisses und eines Monats nach dessen Beendigung nicht auf Forderungen, die sich aus zwingenden Vorschriften des Gesetzes oder aus zwingenden Bestimmungen eines GAV ergeben, verzichten kann. Diese Norm schliesst gemäss Bundesgericht einzig die Schulderlasse und die einseitigen Verzichte des Arbeitnehmers aus, jedoch nicht gegenseitige Verzichte, die im Rahmen eines Vergleichs auf Grund einer entsprechenden Gegenleistung des Arbeitgebers zustande kommen. Die Gültigkeit eines Vergleichs zwischen den Parteien bedingt jedoch, dass ihre gegenseitigen Konzessionen angemessen gleichwertig sind.
Von OR 341/1 betroffen sind in erster Linie die absolut zwingenden Bestimmungen nach OR 361 und die relativ zwingenden Bestimmungen nach OR 362. Darunter fallen beispielsweise die Lohnfortzahlung bei unverschuldeter Arbeitsverhinderung (OR 324a/1 und 3) oder die Entschädigung bei missbräuchlicher Kündigung (OR 336a). Gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung ist die Auflistung in OR 361 und 362 nicht abschliessend. So ist der Verzicht auf die Bezahlung bereits geleisteter Überstunden, ohne formell gültige Vereinbarung, d.h. weder im schriftlichen Arbeitsvertrag, noch durch GAV oder Normalarbeitsvertrag bestimmt, als ungültig beurteilt worden. Dasselbe gilt für den Verzicht auf gewisse Forderungen, die sich aus dem Gleichstellungsgesetz ergeben oder für den Verzicht des Arbeitnehmers auf die Einhaltung der minimalen Kündigungsfrist von einem Monat (OR 335c). Bei den zwingenden Bestimmungen eines GAV handelt es sich gemäss OR 357 um die Bestimmungen über Abschluss, Inhalt und Beendigung von Einzelarbeitsverträgen. So ist beispielsweise der Verzicht auf die Gewährung des in einem GAV vorgesehenen Teuerungsausgleichs als nicht rechtsgültig beurteilt worden. Nach OR 342 sind zudem öffentlich-rechtliche Vorschriften des Bundes und der Kantone über die Arbeit und die Berufsbildung vorbehalten, d.h. dass ein Verzicht auf Ansprüche, die sich daraus ergeben, wie beispielsweise der Verzicht auf den Lohnzuschlag für Überzeit-, Nacht- oder Sonntagsarbeit, auch unter OR 341/1 fallen kann.
Ist ein Verzicht des Arbeitnehmers auf eine Forderung nicht gültig, weil ein Verstoss gegen OR 341/1 vorliegt, können die Parteien nicht frei im Sinn von ZPO 354 über diesen Anspruch verfügen. Kann der Arbeitnehmer also auf Grund dieser Bestimmung nicht auf gewisse Forderungen verzichten, kann er gemäss Bundesgericht auch nicht im Voraus rechtsgültig vereinbaren, dass diese einem Schiedsverfahren unterstellt sind. Im eingangs erwähnten Entscheid hatte das Bundesgericht einen Fall zu beurteilen, in dem ein Arbeitnehmer seinen ehemaligen Arbeitgeber auf Bezahlung vor Überstunden vor dem ordentlichen staatlichen Gericht einklagte. Der Arbeitgeber machte geltend, es sei die ausschliessliche Zuständigkeit eines Schiedsgerichts vereinbart worden. Das staatliche Gericht erklärte sich trotzdem zuständig, da die geltend gemachte Forderung gemäss OR 341/1 unverzichtbar sei. Dies wurde vom Bundesgericht bestätigt.
Nach Ablauf des Monats, der dem Vertragsende folgt, können die Parteien frei entscheiden, eine bestehende Streitigkeit – auch für Ansprüche aus zwingenden Bestimmungen – einem Schiedsgericht zu unterstellen und damit die staatlichen Gerichte auszuschalten. Unklar ist, ob eine im Einzelarbeitsvertrag festgelegte Schiedsklausel gültig wird, wenn erst mehr als einen Monats nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses geklagt wird. Unserer Ansicht nach ist dieser Automatismus gestützt auf das Verbot der Gesetzesumgehung abzulehnen und gegebenenfalls vor einem staatlichen Gericht zu klagen.
Zwingende Gerichtsstände
Gemäss ZPO 35 kann die arbeitnehmende Partei nicht zum Voraus oder durch Einlassung auf die gesetzlichen Gerichtsstände nach ZPO 34/1 verzichten. Eine Gerichtsstandsvereinbarung kann erst nach Entstehung der Streitigkeit gültig abgeschlossen werden. Die zwingenden gesetzlichen Gerichtsstände hindern aber gemäss Bundesgericht die Vertragsparteien nicht, vorgängig eine Schiedsgerichtsbarkeit zu vereinbaren, denn mit dem Verzicht auf die staatliche Rechtsprechung verzichten sie auch auf die gesetzlichen Gerichtsstände, sogar wenn diese zwingend sind. Ist eine Schiedsgerichtsbarkeit vereinbart worden, können die Parteien den Sitz des Schiedsgerichts frei wählen. Einzig wenn staatliche Instanzen auf Grund der Sache zwingend zuständig sind, ist gemäss Bundesgericht eine Gerichtsstandsnorm eventuell zwingend.
Internationale Schiedsgerichtsbarkeit
Nach Artikel 177/1 des Bundesgesetzes über das Internationale Privatrecht (IPRG) kann jeder vermögensrechtliche Anspruch Gegenstand eines Schiedsverfahrens sein. Gemäss Bundesgericht ist anzunehmen, dass eine Streitigkeit aus Einzelarbeitsvertrag vermögensrechtlicher Natur im Sinn des IPRG ist und somit international schiedsfähig ist, sofern beim Abschluss der Schiedsvereinbarung eine der Parteien ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland hatte.
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