2. Februar 2009
Es kommt immer wieder vor, dass Arbeitgeber Arbeitnehmern wegen langer krankheits- oder unfallbedingter Abwesenheit nach Ablauf der Sperrfrist oder wegen Leistungsabfalls oder mangelnder Anpassungsfähigkeit auf Grund des Alters und oft nach langer Anstellungszeit kündigen müssen. Die vorliegende Ausgabe soll aufzeigen, wann eine solche Kündigung missbräuchlich sein kann bzw. auf was die Arbeitgeber achten sollten, um nicht dem Vorwurf der Missbräuchlichkeit zu unterliegen.
Unzulässige Kündigungsgründe
Das schweizerische Arbeitsvertragsrecht geht vom Grundsatz der Kündigungsfreiheit aus. Für die Rechtmässigkeit einer Kündigung bedarf es deshalb grundsätzlich keiner besonderen Gründe. Missbräuchlich ist eine Kündigung nur, wenn sie aus bestimmten unzulässigen Gründen ausgesprochen wird, die in OR 336 umschrieben werden, wobei diese Aufzählung nicht abschliessend ist. Es sind deshalb weitere Tatbestände denkbar und vom Bundesgericht auch schon mehrfach anerkannt worden. Der Vorwurf der Missbräuchlichkeit setzt jedoch voraus, dass die geltend gemachten Gründe eine Schwere aufweisen, die mit jener der in OR 336 ausdrücklich aufgeführten vergleichbar ist.
Grundsätzlich knüpft der sachliche Kündigungsschutz am Motiv der Kündigung an. Die Missbräuchlichkeit kann sich aber auch aus der Art und Weise ergeben, wie die kündigende Partei ihr Recht ausübt. Selbst wenn eine Partei die Kündigung rechtmässig erklärt, muss sie das Gebot schonender Rechtsausübung beachten, ansonsten kann sich die Kündigung als missbräuchlich erweisen. Sie darf insbesondere kein falsches Spiel treiben, das Treu und Glauben krass widerspricht. Der Arbeitgeber ist gemäss OR 328 verpflichtet, die Persönlichkeit des Arbeitnehmers zu achten und zu schützen. Er hat sich jedes durch den Arbeitsvertrag nicht gerechtfertigten Eingriffs in die Persönlichkeitsrechte zu enthalten und diese auch gegen Eingriffe von Vorgesetzten, Mitarbeitern oder Dritten zu schützen.
Beispiele aus der Gerichtspraxis
Soweit ersichtlich hat das Bundesgericht die Frage der Missbräuchlichkeit einer wegen Krankheit bzw. wegen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit erfolgter Kündigung bisher noch nicht entschieden. Im Urteil 4C.174/2004 vom 5. August 2004 hat das Bundesgericht aber immerhin ausgeführt – ohne die Frage entscheiden zu müssen –, dass es auf Grund der Systematik des gesamten Kündigungsschutzes zulässig scheint, jemandem nach Ablauf des zeitlichen Kündigungsschutzes (Sperrfristen) wegen einer die Arbeitsleistung beeinträchtigenden Krankheit zu kündigen, und es sich nicht um eine Vereitelungskündigung im Sinn von OR 336/1c handeln kann.
Anders beurteilte das Bundesgericht die spezielle Situation, in der ein Arbeitnehmer in Folge einer betrieblichen Nachlässigkeit des Arbeitgebers einen Betriebsunfall erlitt und anfänglich ganz und später zu 50% arbeitsunfähig wurde, und ihm der Arbeitgeber nach Ablauf der Sperrfrist kündigte. Das Bundesgericht ging davon aus, dass der Arbeitgeber nicht gekündigt hatte, weil die Arbeitsorganisation in Folge seines reduzierten Pensums nicht mehr möglich gewesen wäre, wie vom Arbeitgeber behauptet, sondern weil der Arbeitnehmer die Leistung des vollen Pensums verweigert hatte, was auf Grund seines ärztlich bescheinigten Gesundheitszustands nicht hatte verlangt werden können (Entscheid 4A_102/2008 vom 27. Mai 2008).
In einem anderen Fall (BGE 125 III 70) hielt das Bundesgericht fest, dass eine Kündigung dann missbräuchlich sein kann, wenn sie wegen einer Leistungseinbusse des Arbeitnehmers ausgesprochen wird, die sich ihrerseits als Folge eines Mobbing erweist.
Im Zusammenhang mit Änderungskündigungen erwog das Bundesgericht (BGE 123 III 246), dass eine Anpassung des Arbeitsvertrags an veränderte wirtschaftliche oder betriebliche Bedürfnisse möglich und zulässig sein muss. Missbrauch kann jedoch vorliegen, wenn eine unbillige Änderung der Lohn- und Arbeitsbedingungen durchgesetzt werden soll, für die weder marktbedingte noch betriebliche Gründe bestehen, und die Kündigung als Druckmittel verwendet wird, um den Arbeitnehmer zu einem bestimmten Verhalten zu bewegen.
Wer einem Arbeitnehmer nach 44 klaglosen Dienstjahren, wenige Monate vor der Pensionierung ohne betriebliche Notwendigkeit und ohne nach einer sozialverträglicheren Lösung gesucht zu haben, kündigt, verletzt seine – unter diesen Voraussetzungen erhöhte – Fürsorgepflicht und handelt missbräuchlich (BGE 132 III 115). Anlass zur Kündigung gab im zitierten Fall zum einen das schlechte Verhältnis zum übergeordneten, dem Arbeitnehmer aber nicht direkt vorgesetzten Serviceleiter, und zum anderen die kritische Haltung des Arbeitnehmers gegenüber Massnahmen zur Produktivitätssteigerung. Sollte sich eine Kündigung wenige Monate vor der ohnehin geplanten Pensionierung im 45. Anstellungsjahr tatsächlich als unumgänglich erweisen, wäre der Arbeitgeber gemäss Bundesgericht in erhöhtem Masse zu schonendem Vorgehen bei der Kündigung gehalten gewesen.
Im Entscheid 4A_72/2008 vom 2. April 2008 wurde einem Arbeitnehmer nach mehr als 33 Dienstjahren als Offsetdrucker aus wirtschaftlichen Zwängen, und weil er den aktuellen technischen Anforderungen seines Berufs nicht mehr zu genügen vermochte, gekündigt. Der Arbeitnehmer konnte den Nachweis für seine Behauptung, dass eine ernsthafte Alternative zu seiner Weiterbeschäftigung im Betrieb vorhanden gewesen wäre, nicht erbringen. Es war unbestritten, dass die Kündigung aus wirtschaftlichen Gründen erfolgte und somit als solche nicht missbräuchlich war, und dass die Aktivitätsdauer des Arbeitnehmers im Zeitpunkt der Kündigung noch rund acht Jahre bis zur ordentlichen Pensionierung betrug, was jede Analogie zum oben erwähnten Entscheid BGE 132 III 115 ausschliesst. Das Bundesgericht hat somit jeden Missbrauch des Kündigungsrechts verneint.
Kommentar
Diese Beispiele höchstrichterlicher Entscheide zeigen, dass es sich bei der missbräuchlichen Kündigung um ein heikles Thema handelt und es sich lohnt – insbesondere auch in den eingangs erwähnten Situationen –, vor dem Aussprechen einer Kündigung unter Berücksichtigung der konkreten Umstände im Einzelfall abzuklären, ob allenfalls das Risiko einer Missbräuchlichkeit besteht.
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