Missbräuchliche Kündigung

3. Juni 2002

Missbräuchliche Kündigung

Im Entscheid Nr. 4C.72/2002 vom 22. April 2002 hat das Bundesgericht entschieden, dass es nicht missbräuchlich sei, einer Angestellten zu kündigen, weil ihr Partner in eine Konkurrenzfirma eingetreten ist.

Sachverhalt

Die Firma X., die Arzneimitteluntersuchungen für Dritte ausführte und medizinische Analyselabors betrieb, stellte C. am 1. April 1994 als "protocol services administrator" ein. Mit allen neuen Angestellten wird systematisch eine Vereinbarung getroffen, wonach diese die Vertraulichkeit der Informationen, von denen sie bei der Ausübung ihrer Tätigkeit Kenntnis erhalten, respektieren. Im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit hatte C. via das Informatiksystem der Firma X. Zugang zu vertraulichen Daten in den "specifications sheets" und "protocoles". In der Folge gründete sie mit B. in Frankreich einen gemeinsamen Haushalt. Am 22. oder 23. August 2001 trat B. als Direktor in die amerikanische Firma Z. ein, die von drei ehemaligen Angestellten der Firma X. gegründet wurde und einen Fünftel ihrer Aktivitäten im Bereich Arzneimitteluntersuchungen ausübt. Aufgrund dessen kündigte die Firma X. der C. am 25. Januar auf den 31. März 2001. Nachdem C. wegen angeblicher missbräuchlicher Kündigung schriftlich Einsprache erhoben hat, klagte sie gestützt auf OR 336a auf eine Entschädigung, die der Hälfte ihres Jahresgehalts entsprach.

Erwägungen des Bundesgerichts

Ein unbefristetes Arbeitsverhältnis kann gemäss dem in OR 335/1 enthaltenen Grundsatz von jeder Partei gekündigt werden. Dieses grundlegende Recht jeder Vertragspartei, den Arbeitsvertrag einseitig zu beenden, ist jedoch durch die Bestimmungen über die missbräuchliche Kündigung eingeschränkt.

Die Klägerin C. erachtete die ihr ausgesprochene Kündigung als missbräuchlich im Sinn von OR 336/I/a. Danach ist die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses missbräuchlich, wenn eine Partei sie ausspricht wegen einer Eigenschaft, die der anderen Partei kraft ihrer Persönlichkeit zusteht, es sei denn, diese Eigenschaft stehe in einem Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis oder beeinträchtige wesentlich die Zusammenarbeit im Betrieb. Unter persönliche Eigenschaften fallen namentlich die Herkunft, die Nationalität, der Familienstand, die Rasse, das Alter, die Religion, die Homosexualität, Vorstrafen, Krankheiten, eine HIV-Infektion. Eine auf diese Gründe basierende Kündigung ist jedoch dann nicht missbräuchlich, wenn diese Eigenschaft in einem Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis steht oder die Zusammenarbeit im Betrieb wesentlich beeinträchtigt. Im zu beurteilenden Fall lag der Grund der gegenüber C. ausgesprochenen Kündigung in ihrer Liebesbeziehung zu B., Ex-Direktor der Firma X. und neu angestellt bei der Konkurrenzfirma Z. in leitender Stellung. Das Bundesgericht hat die Frage offen gelassen, ob die Wohngemeinschaft oder die Liebesbeziehung einer Mitarbeiterin mit einem Dritten zu den persönlichen Eigenschaften im Sinne von OR 336/1/a gehört. Dies deshalb, weil in casu diese Eigenschaft in einen Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis steht, namentlich mit der Verpflichtung zur Wahrung der Vertraulichkeit. C. arbeitete im Bereich der medizinischen Forschung, wo der Schutz des Informationsgeheimnisses wesentlich ist. Im Rahmen ihrer Tätigkeit hatte sie Zugang zu sensiblen Daten von neuen Medikamenten. Durch die neue Stelle ihres Freundes und dem unerbittlichen Konkurrenzkampf im Bereich der pharmazeutischen Forschung war X. noch vermehrt der Gefahr ausgesetzt, ihre Verpflichtung zur Vertraulichkeit, sogar ungewollt, zu verletzen. Ihre Liebesbeziehung zu B. stand also in direktem Zusammenhang mit ihrer Verpflichtung zur Vertraulichkeit. Dabei spielt es keine Rolle, dass die Firma X. ihr bisher nichts vorzuwerfen hatte und die Kündigung "à titre préventif" ausgesprochen wurde. Da der Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis gegeben war, konnte die Frage, ob die Zusammenarbeit im Betrieb wesentlich beeinträchtigt war, offen bleiben.

Die Klägerin C. betrachtete die Kündigung zudem auch unter dem Gesichtspunkt von OR 336/1/b als missbräuchlich. Danach ist eine Kündigung missbräuchlich, wenn sie ausgesprochen wird, weil die andere Partei ein verfassungsmässiges Recht ausübt, es sei denn, die Rechtsausübung verletze eine Pflicht aus dem Arbeitsverhältnis oder beeinträchtige wesentlich die Zusammenarbeit im Betrieb. Zu den verfassungsmässigen Rechten gehören alle durch die kantonalen Verfassungen, die Bundesverfassung und die EMRK garantierten Grundrechte. Gemäss Botschaft sind dies beispielsweise die Glaubensfreiheit, die Zugehörigkeit zu einer politischen Partei und die gesetzmässige Ausübung einer politischen Tätigkeit. Die Lehre nennt zudem die persönliche Freiheit, die Meinungsäusserungsfreiheit, die Versammlungsfreiheit, die Koalitionsfreiheit, die Pressefreiheit, die Heiratsfreiheit, die Vorbereitung und Unterzeichnung einer Initiative, eines Referendums oder einer Petition, das Stimmrecht, die Handels- und Gewerbefreiheit, die Wohnfreiheit und die Sprachenfreiheit. Gemäss Bundesgericht ist der Begriff der Ausübung eines verfassungsmässigen Rechts restriktiv auszulegen. Durch eine zu weite Auslegung wären die meisten Kündigungen missbräuchlich, denn die verfassungsmässigen Rechte decken nahezu alle Aspekte des beruflichen und privaten Lebens eines Menschen ab. Nach Artikel 8 der EMRK ist das Eingehen einer Liebesbeziehung mit einer bestimmten Person zwar geschützt, begründet aber nicht die Ausübung eines verfassungsmässigen Rechts im Sinne von OR 336/1/b. Die ausgesprochene Kündigung ist also auch unter diesem Gesichtspunkt nicht missbräuchlich.

Kommentar

Es gilt zu beachten, dass es sich auch bei diesem Entscheid um einen Einzelfall handelt. Daraus kann nicht gefolgert werden, dass eine Kündigung, die ausgesprochen wird, weil ein Partner in einem Konkurrenzunternehmen arbeitet, generell nicht missbräuchlich ist.

Vgl. dazu AGer. ZH AN970923 vom 17. Dezember 1999; OGer. ZH vom 4. Dezember 2000, LA000003/U.



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