11. September 2023
Setzt der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer im Rahmen einer Änderungskündigung eine Überlegungsfrist zur Annahme der angebotenen neuen Stelle und kündigt er das Arbeitsverhältnis endgültig vor Ablauf dieser Überlegungsfrist, so ist die Änderungskündigung missbräuchlich. Zu diesem Schluss kam das Bundesgericht im Urteil 8C_637/2022, da sich die Missbräuchlichkeit einer Kündigung auch aus der Art und Weise, wie die kündigende Partei ihr Recht ausübt, ergeben kann.
Eine eigentliche Änderungskündigung (auch «Änderungskündigung im engeren Sinn» genannt) liegt vor, wenn eine Partei den Arbeitsvertrag kündigt und der anderen Partei gleichzeitig eine neue Vertragsofferte mit geänderten Bedingungen unterbreitet. Mit der Änderungskündigung wird in erster Linie nicht die Beendigung des Arbeitsverhältnisses bezweckt, sondern dessen Weiterführung mit veränderten Pflichten und Rechten. Von einer uneigentlichen Änderungskündigung (auch «Änderungskündigung im weiteren Sinn» genannt) wird gesprochen, wenn die beiden Rechtsgeschäfte nicht unmittelbar miteinander verknüpft werden und einer Partei gekündigt wird, weil sie zu einer einvernehmlichen Änderung der Arbeitsbedingungen nicht bereit war.
Für die Änderungskündigung gelten die gleichen Prinzipien wie für die gewöhnliche Kündigung, d.h. auch sie kann unter gewissen Umständen missbräuchlich sein. Der Grund des Missbrauchs des Kündigungsrechts liegt bei der Änderungskündigung darin, dass die kündigende Partei eine Vertragsbeendigung gar nicht will und die Kündigung nur erklärt, um eine für sie günstigere und entsprechend für die Gegenpartei schlechtere Vertragsregelung durchzusetzen. Diese Verknüpfung ist dann missbräuchlich, wenn die Kündigung als Druckmittel dient, um eine für die Gegenpartei belastende Vertragsänderung herbeizuführen, die sich sachlich nicht rechtfertigen lässt. Wird die Kündigung ohne betriebliche Notwendigkeit gegenüber einem Arbeitnehmer für den Fall ausgesprochen, dass er eine unbillige Verschlechterung der Arbeitsbedingungen nicht annimmt, so wird das jederzeitige und freie Kündigungsrecht ebenso missbraucht, wie dies in den vom Gesetz ausdrücklich vorgesehenen Fällen missbräuchlicher Kündigungen (OR 336) festgehalten ist. Der Missbrauch der Kündigung liegt in solchen Fällen darin, dass für die Änderung der Lohn- und Arbeitsbedingungen keine betrieblichen oder marktbedingten Gründe bestehen.
Im vorliegenden Fall kündigte der Arbeitgeber der Arbeitnehmerin das Arbeitsverhältnis mit 90%-Pensum per 31.8.2016. Gleichzeitig bot er ihr aufgrund einer Reorganisation eine Sekretariatsstelle von 30% ab dem 1.9.2016 an. Der Arbeitgeber befristete sein Angebot, indem er von der Arbeitnehmerin verlangte, ihren Entscheid vor dem 30.6.2016 mitzuteilen. Nachdem sich die Parteien über die Arbeitsbedingungen dieser neuen Stelle ausgetauscht hatten, teilte der Arbeitgeber der Arbeitnehmerin am 27.6.2016 mit eingeschriebenem Brief mit, dass ihre Bewerbung für die 30% Sekretariatsstelle nicht mehr berücksichtigt werde, da sie das vorgelegte Pflichtenheft nicht akzeptierte, und dass das Arbeitsverhältnis folglich am 31.8.2016 ende. Das Ende des Arbeitsverhältnisses an diesem Datum wurde ihr noch mit eingeschriebenem Brief vom 28.6.2016 bestätigt. In der Zwischenzeit hatte die Arbeitnehmerin mit Brief vom 27.6.2016 dem Arbeitgeber die Annahme der angebotenen 30% Sekretariatsstelle mitgeteilt.
Gemäss kantonaler Vorinstanz war die Änderungskündigung nicht missbräuchlich. Der Arbeitgeber wollte der Arbeitnehmerin zwar ungünstigere Vertragsbedingungen auferlegen, dies sei aber aus wirtschaftlichen Gründen geschehen. Zudem war die Änderungskündigung auch nicht missbräuchlich in Bezug auf ihre Modalitäten im Zeitpunkt der Zustellung der Änderungskündigung.
Das Bundesgericht war anderer Ansicht. Da sich die Missbräuchlichkeit einer Kündigung nicht nur aus den Gründen ergeben kann, sondern auch aus der Art und Weise, wie die kündigende Partei ihr Recht ausübt, müssen auch Tatsachen berücksichtigt werden, die nach der Kündigung eingetreten sind. Im vorliegenden Fall hatte der Arbeitgeber keinen Rückzugsvorbehalt zu seinem Angebot vorgesehen. Er war somit bis zum Ablauf der von ihm selbst gesetzten Frist am 30.6.2016 an sein Angebot gebunden. Die Arbeitnehmerin hatte keine Änderungen in wesentlichen Punkten des Angebots vorgeschlagen. Zudem bildete die Tatsache, dass die Arbeitnehmerin das im Rahmen der Gespräche vorgeschlagene Pflichtenheft ablehnte, lediglich ein Indiz dafür, dass sie das Angebot noch nicht annehmen, nicht aber dafür, dass sie dieses ablehnen wollte. Im Gegenteil nahm sie das Angebot mit Schreiben vom 27.6.2016, also innerhalb der gesetzten Frist, explizit an.
Die Missbräuchlichkeit der Änderungskündigung ergab sich hier aus der Art und Weise, wie der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis beendete. Da der Arbeitgeber der Arbeitnehmerin eine Frist zur Annahme der angebotenen neuen Stelle setzte und diese jedoch nicht abwartete, sondern das Arbeitsverhältnis endgültig vor dem Ablauf der Frist kündigte, spielte er ein «double jeu» und verstiess damit in charakteristischer Weise gegen den Grundsatz von Treu und Glauben.
Der Arbeitgeber ist gut beraten, bei einer Änderungskündigung immer eine angemessene Überlegungsfrist zu setzen, da der Arbeitnehmer ansonsten vermutungsweise bis zum Ablauf der Kündigungsfrist Zeit hat, sich für eine Ablehnung oder Annahme der Vertragsofferte zu entscheiden. Wird dem Arbeitnehmer keinerlei oder eine eindeutig zu kurze Überlegungsfrist gelassen, kann sich die Kündigung als unzulässige Druckkündigung erweisen.
Da es keine gesetzliche Überlegungsfrist gibt, kann der Arbeitgeber diese grundsätzlich frei bestimmen. Es empfiehlt sich, bei der Ansetzung der Überlegungsfrist die konkreten Umstände des Einzelfalles sowie insbesondere das Ausmass der Verschlechterung der Arbeitsbedingungen für den Arbeitnehmer zu berücksichtigen. So kann eine Überlegungsfrist grundsätzlich bei einer wenig bedeutsamen Verschlechterung nur wenige Tage oder aber bei einer sehr bedeutsamen Verschlechterung zwei bis drei Wochen betragen.
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