Die Umstrukturierungsprozesse in vielen Unternehmungen sind noch nicht abgeschlossen und deren Ende nicht absehbar. Da damit leider oft Entlassungen einer grösseren Zahl von Angestellten in einer kurzen Zeitperiode verbunden sind, ist das Thema Massenentlassung nach wie vor aktuell. Die am 1. Mai 1994 in Kraft getretenen Bestimmungen über die Massenentlassung haben eine arbeitsmarktpolitische Zielsetzung. Das vorgeschriebene Verfahren dient der rechtzeitigen und umfassenden Information der Arbeitnehmer bzw. ihrer Vertretung über bevorstehende Kündigungen sowie der Sicherstellung der behördlichen Mitwirkung. Die Erstellung eines Sozialplanes ist gesetzlich nicht vorgeschrieben, kann aber in einem Gesamtarbeitsvertrag vorgesehen sein. Für das Vorliegen einer Massenentlassung im Sinne des Gesetzes bedarf es einer Mindestanzahl von Kündigungen des Arbeitgebers innert eines Zeitraumes von 30 Tagen.
Zu berücksichtigende Kündigungen
Angerechnet werden lediglich die vom Arbeitgeber ausgesprochenen Kündigungen (auch während der Probezeit), inklusive eigentliche Änderungskündigungen und fristlose Entlassungen, sofern diese nicht mit der Person des Arbeitnehmers im Zusammenhang stehen. Alle anderen Beendigungen von Arbeitsverhältnissen wie Kündigungen durch den Arbeitnehmer oder mittels Aufhebungsvertrag, durch Tod des Arbeitnehmers oder durch Fristablauf bei befristeten Arbeitsverträgen fallen ausser Betracht.
Massgebend sind dabei nur diejenigen Kündigungen, die keinen Zusammenhang mit der Person des Arbeitnehmers haben, d.h. Kündigungen aus wirtschaftlichen Gründen wie z.B. auf Grund von Restrukturierungs- und Rationalisierungsmassnahmen, Produktionsverlagerungen oder Betriebsschliessungen. Dass die Kündigungen wirtschaftlich bedingt sind, haben die Arbeitnehmer zu beweisen.
Anzahl Kündigungen pro Betrieb innert 30 Tagen
Damit die Bestimmungen über die Massenentlassung anwendbar sind, müssen in jedem Fall mindestens 10 Kündigungen im genannten Sinn beabsichtigt sein. Im Übrigen ist das Verhältnis der Anzahl Kündigungen zu der Anzahl der in der Regel im Betrieb Beschäftigten massgebend (vgl. OR 335d). Unseres Erachtens ist zur Ermittlung der Anzahl der regelmässig Beschäftigten neben dem Rückblick in die Vergangenheit auch die zukünftige Entwicklung des Betriebes zu berücksichtigen, wobei eine Zeitspanne von 6 Monaten zurück und voraus als Richtlinie dienen mag. Unberücksichtigt bleiben Ersatz- und Aushilfskräfte. Teilzeitangestellte werden unabhängig von ihrem Beschäftigungsgrad nach Köpfen gezählt.
Die Kündigungen müssen den gleichen Betrieb betreffen. Als Betrieb ist jede Arbeitsstätte zu betrachten, die eine örtliche und organisatorische Einheit bildet. Gehören einem Arbeitgeber mehrere Betriebe, so ist die Anzahl der Kündigungen zu berücksichtigen, die er in jedem einzelnen Betrieb ausspricht, und nicht die Anzahl der in seinen Betrieben gesamthaft erfolgten Kündigungen. Das Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt hat im Urteil vom 25. Oktober 1996 die Betriebseigenschaft bei eigener Rechtspersönlichkeit bejaht, aber gleichzeitig die Frage offen gelassen, ob es nicht auch Fälle von Betrieben im Sinne von OR 335d gibt, in denen keine eigene Rechtspersönlichkeit besteht. Mit Blick auf den Zweck der Norm, nämlich den gesellschaftlichen und sozialen Auswirkungen einer Massenentlassung entgegenzuwirken, erscheint es gerechtfertigt, mehrere Betriebe des gleichen Arbeitgebers als Einheit zu betrachten, wenn sie geografisch nahe beieinander liegen und sich von ihrer Art her entsprechen (Aubert, AJP 1994, 701). Gemäss Urteil vom 16. April 1997 der Chambre d'appel des prud'hommes de Genève ist eine Massenentlassung im Sinne des OR nur bei einem Mindestpersonalbestand des betreffenden Unternehmens von 20 Mitarbeitern gegeben.
Massgebend sind die Kündigungen, die innert 30 Kalendertagen ausgesprochen werden. Als Fristbeginn ist jeder Kündigungstag anzusehen, so dass die Frist immer neu mit dem Tag beginnt, an dem die einzelnen Kündigungen versandt werden. Dabei spielt es keine Rolle, wann die einzelnen Arbeitsverhältnisse enden.
Vom Arbeitgeber einzuhaltendes Verfahren
Konsultation der Arbeitnehmer bzw. deren Vertretung
Gemäss BGE 123 III 176 ff. muss die Konsultation stattfinden, bevor der Arbeitgeber den definitiven Entschluss zur Massenentlassung fasst. Als beabsichtigt gilt eine Massenentlassung auch dann, wenn sie nur als Alternative mangels Realisierbarkeit anderer Vorhaben konkret geplant ist. Massgebend für die Konsultationsfrist sind die konkreten Umstände, so z.B. die Komplexität der sich stellenden Fragen und die Dringlichkeit der beabsichtigten Massenentlassung. Die Arbeitnehmer bzw. deren Vertretung sind nach Art. 14 Mitwirkungsgesetz zur Verschwiegenheit verpflichtet. Wird das Konsultationsverfahren nicht eingehalten, so sind die ausgesprochenen Kündigungen missbräuchlich. Die als Folge davon zu bezahlende Entschädigung wird je nach Fehler des Kündigenden und dessen sozialer sowie wirtschaftlicher Situation festgelegt, darf aber zwei Monatslöhne des einzelnen Arbeitnehmers nicht übersteigen.
Mitteilung an das Arbeitsamt
Von der Einhaltung des Verfahrens gegenüber dem Arbeitsamt hängt der Zeitpunkt ab, auf den die Kündigung das Arbeitsverhältnis beenden kann. Gemäss OR 335g/4 endigt das Arbeitsverhältnis nämlich frühestens 30 Tage, nachdem der Arbeitgeber dem Arbeitsamt die beabsichtigte Massenentlassung angekündigt hat. Die Bestimmung findet keine Anwendung, wenn die Probezeit noch nicht abgelaufen ist. Da das Arbeitsverhältnis ohne anderweitige Vereinbarung nur auf Ende eines Monats aufgelöst werden kann, kann eine verspätete Mitteilung an das Arbeitsamt eine Verlängerung der Kündigungsfrist um mehr als 30 Tage ergeben. Die Unterlassung der Anzeige an das Arbeitsamt kann zudem verwaltungsstrafrechtliche Folgen haben.
Kommentar
Da das Unterlassen des vorgeschriebenen Verfahrens für den Arbeitgeber erhebliche Kostenfolgen hat, ist es empfehlenswert, auch im Zweifelsfall, die Bestimmungen der Massenentlassung einzuhalten, auch wenn dies oft mit Schwierigkeiten verbunden ist. Eine rechtzeitige Planung kann dabei Verzögerungen verhindern.
Vgl. im Übrigen Kapitel IV-5 im "Handbuch des Arbeitgebers".
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