1. März 2000
Mit Urteil vom 13. Januar 2000 hat das Bundesgericht einer hochschwangeren Opernsängerin die Bezahlung der Gage versagt, da das Engagement befristet und für nicht länger als drei Monate eingegangen worden war.
Sachverhalt
Das Genfer Grand-Théâtre hatte im Januar 1995 eine Sängerin für die Rolle der Nedda in der Oper „I Pagliacci“ von Ruggero Leoncavallo engagiert. Vereinbart waren Proben ab dem 10. September 1996 und 7 Aufführungen vom 18. Oktober bis 3. November 1996. Die Gage belief sich auf Fr. 8‘000.- pro Aufführung sowie Fr. 8‘000.- für die Zeit der Proben. Zudem wurde die Übernahme der Reisekosten durch das Grand-Théâtre vereinbart. Ungefähr einen Monat vor der Premiere liess die Sängerin der Theaterdirektion mitteilen, dass sie schwanger sei. Bei Probebeginn war sie bereits in der 25. Woche schwanger und entsprechend wäre sie im Zeitpunkt der letzten Aufführung im achten Monat schwanger gewesen. Das Grand-Théâtre stellte sich auf den Standpunkt, dass die Rolle der Nedda nicht durch eine hochschwangere Frau gespielt werden kann, da die Oper reale und nicht bloss gestellte Gewaltszenen beinhaltet. Da die Schwangerschaft ein unlösbares Problem war, verzichtete das Grand-Théâtre in der Folge auf ihre Mitarbeit.
Das erstinstanzliche Genfer Arbeitsgericht verurteilte das Grand-Théâtre zur Bezahlung der Reisekosten, einer entgangenen Gage von Fr. 64‘000.- sowie einer Entschädigung von Fr. 128‘000.- für ungerechtfertigte fristlose Entlassung. Die zweite kantonale Instanz reduzierte den der Sängerin zu bezahlenden Gesamtbetrag auf Fr. 30‘000.-. Das Bundesgericht hat schliesslich der Sängerin lediglich noch Fr. 3‘000.- für die Teilnahme an den ersten Proben sowie die Bezahlung der Reisekosten zugestanden. Neben den eigenen Anwaltskosten musste die Primadonna auch noch eine Parteientschädigung von Fr. 6500.- sowie eine Gerichtsgebühr von Fr. 6000.- bezahlen.
Rechtliche Würdigung
Unmöglichkeit der Leistung
Gemäss Bundesgericht ist das Engagement der Sängerin als befristeter Arbeitsvertrag zu qualifizieren. Die Rolle der Nedda enthielt Szenen von körperlicher Gewalt und dies wäre eine Gefahr für sie und ihr Kind gewesen. Die kantonale Instanz hielt entsprechend fest, dass es der Sängerin unmöglich sei, diese Rolle zu spielen. Da es sich um einen zweiseitigen Vertrag handelt, wird dadurch grundsätzlich auch die Gegenpartei von ihrer Leistungspflicht befreit. Dies gilt jedoch nur, wenn nicht aufgrund einer Gesetzesvorschrift oder des Vertrages die Gefahr auf sie übergeht (OR 119). Im Arbeitsvertragsrecht ist diese Risikotragung in OR 324a und 324b geregelt.
Lohnfortzahlung
Der Fall der Schwangerschaft ist in OR 324a Abs. 3 geregelt, welcher auf die allgemeine Bestimmung in OR 324a Abs. 1 verweist. Wird der Arbeitnehmer aus Gründen, die in seiner Person liegen, ohne sein Verschulden an der Arbeitsleistung verhindert, so hat ihm der Arbeitgeber für eine beschränkte Zeit den darauf entfallenden Lohn zu entrichten, samt einer angemessenen Vergütung für ausfallenden Naturallohn, sofern das Arbeitsverhältnis mehr als drei Monate gedauert hat oder für mehr als drei Monate eingegangen ist (OR 324a Abs. 1). Dies bedeutet mit anderen Worten, dass in folgenden Fällen keine Lohnfortzahlungspflicht des Arbeitgebers besteht: bei einem befristeten Vertrag von maximal drei Monaten und bei einem unbefristeten Vertrag während den ersten drei Monaten. Diese gesetzliche Beschränkung hat ihren Grund darin, dass der Arbeitnehmer nur geschützt werden soll, wenn er dem Arbeitgeber gegenüber eine gewisse Treue zeigt. Im beurteilten Fall ist das Arbeitsverhältnis weder für mehr als drei Monate eingegangen noch hat es mehr als drei Monate gedauert. Folglich ist das Grand-Théâtre nicht gehalten, der Sängerin die Gage während ihrer unverschuldeten Verhinderung an der Arbeit zu bezahlen. Daran ändert auch nichts, dass diese den Vertrag erfüllen und die Rolle der Nedda spielen wollte. Der Arbeitgeber hat auf die Gesundheit der Arbeitnehmerin (inklusive allenfalls diejenige eines ungeborenen Kindes) gebührend Rücksicht zu nehmen und zum Schutz ihres Lebens, ihrer Gesundheit und ihrer persönlichen Integrität die nach den Umständen erforderlichen Massnahmen zu treffen (OR 328). Deshalb kann einem Arbeitgeber nach Ansicht des Bundesgerichts nicht vorgeworfen werden, dass er eine angebotene Arbeitsleistung zurückweist, die eine Arbeitnehmerin aufgrund einer Krankheit, Invalidität oder Schwangerschaft nicht ohne Gefahr für ihre Gesundheit leisten könnte.
Ungerechtfertigte Auflösung?
Die kantonale Instanz sprach von einer ungerechtfertigten Auflösung des Arbeitsverhältnisses. Eine solche juristische Konstruktion würde gemäss Bundesgericht jedoch bedeuten, vom Arbeitgeber ein „absurdes Verhalten“ zu verlangen. Tatsächlich war eine ordentliche Kündigung ausgeschlossen, da das Engagement befristet war. Ebenfalls ausgeschlossen war eine fristlose Auflösung, da die unverschuldete Arbeitsverhinderung der Sängerin nicht als wichtiger Grund betrachtet werden konnte. In Umgehung des in OR 324a Abs. 1 enthaltenen Erfordernisses der bestimmten Vertragsdauer zielte die angestellte Konstruktion einer ungerechtfertigten Auflösung in Wirklichkeit einzig darauf ab, dass das Grand-Théâtre die Sängerin zu entschädigen hätte (OR 337c). Aus Sicht des Bundesgerichts kann deshalb nicht von einer ungerechtfertigten Auflösung des Arbeitsverhältnisses die Rede sein.
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