Kündigung infolge Krankheit

Im Urteil 4A_2/2014 vom 19.2.2014 hatte das Bundesgericht soweit ersichtlich erstmals zu entscheiden, ob eine nach Ablauf der gesetzlichen Sperrfrist ausgesprochene Kündigung infolge Krankheit missbräuchlich ist oder nicht. Da es der Ansicht war, dass unter den ganz besonderen Umständen ein Verstoss gegen den Persönlichkeitsschutz des Arbeitnehmers vorlag, beurteilte es die Kündigung des Arbeitgebers als missbräuchlich.

Sachverhalt

Dem eingangs erwähnten Urteil des Bundesgerichts lag folgender Sachverhalt zu Grunde: Ein Fischverkäufer wurde im Verlauf seiner Anstellung zum Rayonchef im Geschäft in Signy befördert. Aufgrund gesundheitlicher Probleme im Jahr 2011, äusserte er den Wunsch, von dieser Verantwortung entbunden zu werden und weiter im gleichen Rayon tätig zu bleiben. Der Arbeitgeber schlug ihm vor, entweder im Geschäft von Signy als Mitarbeiter in einem anderen Rayon zu bleiben oder als Fischverkäufer in einem anderen Geschäft zu arbeiten. Der Arbeitnehmer hat sich für die zweite Variante entschieden und präzisiert, dass er für irgendein Geschäft zwischen Crissier und Blandonnet zur Verfügung stehe. Die Parteien haben vereinbart, den bestehenden Vertrag auf Ende Dezember 2011 aufzulösen und einen neuen Vertrag gültig ab 1.1.2012 zu schliessen. Mit Schreiben vom 27.9.2011 hat der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer eine neue Stelle als Fischverkäufer im Geschäft von Vich ab 1.10.2011 zum gleichen Lohn bis Ende Jahr 2011 vorgeschlagen. Der Arbeitnehmer hat diese Stelle infolge Krankheit nicht angetreten. Der Krankentaggeldversicherer liess ein medizinisches Gutachten bei einem Psychiater erstellen. Die Diagnose ergab eine schwere Depression und hielt zudem fest, dass ausserhalb seiner vorherigen Arbeitsstellen in Signy und Vich eine 100%ige Arbeitsfähigkeit bestehen würde. Ende Januar 2012 hat der Krankentaggeldversicherer den Arbeitgeber informiert, dass der Arbeitnehmer ab Februar wieder arbeiten könne. Der Arbeitgeber hat den Arbeitnehmer aufgefordert, die Arbeit am 13. Februar 2012 wieder aufzunehmen. Der Arbeitnehmer ist dieser Aufforderung nicht gefolgt und hat dem Arbeitgeber mit Schreiben vom 21. März 2012 mitgeteilt, dass er sich für eine Arbeitsaufnahme zur Verfügung stelle, irgendwo nur nicht in Vich. Gemäss Gutachten des Psychiaters lag für die Geschäfte Vich und Signy eine arbeitsplatzbezogene Arbeitsunfähigkeit vor. Am 5. April 2012 hat der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer auf den 31. Juli 2012 gekündigt. Der Arbeitnehmer klagte wegen missbräuchlicher Kündigung. Die erste Instanz kam zum Schluss, dass es nicht missbräuchlich ist, einem Arbeitnehmer nach einer längeren Arbeitsabwesenheit zu kündigen. Gemäss zweiter Instanz hingegen hat der Arbeitgeber nicht die den Verhältnissen des Betriebes angemessenen Massnahmen getroffen, um die Gesundheit des Arbeitnehmers zu schützen, soweit es ihm mit Rücksicht auf das einzelne Arbeitsverhältnis billigerweise zugemutet werden konnte. Folglich wurde die Kündigung als missbräuchlich beurteilt, da sie gegen das Recht des Arbeitnehmers auf Persönlichkeitsschutz verstosse. Der Arbeitgeber wurde verurteilt, dem Arbeitnehmer eine Entschädigung von zwei Monatslöhnen zu bezahlen.

Missbräuchliche Kündigung

Im Zusammenhang mit Krankheiten sind zwei Missbrauchstatbestände von Bedeutung. Eine Kündigung ist missbräuchlich, wenn sie wegen einer Eigenschaft, die der anderen Partei kraft ihrer Persönlichkeit zusteht, erfolgt, es sei denn, diese Eigenschaft stehe im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis oder beeinträchtige wesentlich die Zusammenarbeit im Betrieb (OR 336/1/a). Zu diesen persönlichen Eigenschaften zählen auch Krankheiten. Führt die Krankheit aber zu einer Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit bzw. zur Arbeitsunfähigkeit, so liegt ein Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis vor, so dass eine Kündigung als zulässig erscheint. Eine Kündigung ist auch missbräuchlich, wenn sie ausgesprochen wird, ausschliesslich um die Entstehung von Ansprüchen der anderen Partei aus dem Arbeitsverhältnis zu vereiteln (OR 336/1/c). Im Urteil 4C.174/2004 hat das Bundesgericht ausgeführt, ohne entscheiden zu müssen, dass es aufgrund der Systematik des gesamten Kündigungsschutzes zulässig scheint, jemandem nach Ablauf des zeitlichen Kündigungsschutzes (Sperrfristen) wegen einer die Arbeitsleistung beeinträchtigenden Krankheit zu kündigen, und es sich nicht um eine Vereitelungskündigung (OR 336/1/c) handeln kann.

Persönlichkeitsschutz Im vorliegenden Fall konnte sich also das Bundesgericht nicht auf einen dieser gesetzlichen Missbrauchstatbestände stützen. Vielmehr nahm es, wie bereits die Vorinstanz, den in OR 328 geregelten Persönlichkeitsschutz zu Hilfe. Danach hat der Arbeitgeber die Persönlichkeit der Arbeitnehmenden zu achten und zu schützen und auf ihre Gesundheit Rücksicht zu nehmen. Geschützt ist sowohl die physische als auch die psychische Unversehrtheit. Der Arbeitgeber hat zum Schutz von Leben, Gesundheit und persönlicher Integrität seiner Arbeitnehmenden die Massnahmen zu treffen, die nach der Erfahrung notwendig, nach dem Stand der Technik anwendbar und den Verhältnissen des Betriebes angemessen sind, soweit es ihm mit Rücksicht auf das einzelne Arbeitsverhältnis und der Natur der Arbeitsleistung billigerweise zugemutet werden kann.

Der Arbeitgeber hatte Kenntnis vom Gutachten des Psychiaters. Er hätte diesen Experten daher fragen müssen, weshalb der Arbeitnehmer nicht in Vich arbeiten konnte. Anstatt dies zu tun, hat er dem Arbeitgeber gekündigt. Damit hat er seine Pflicht verletzt, die den Verhältnissen des Betriebes angemessenen Massnahmen zu treffen, um die Gesundheit des Arbeitnehmers zu schützen. Da der Arbeitgeber den Arbeitnehmer in einem anderen Geschäft hätte beschäftigen können, konnte man von ihm verlangen, dass er detailliertere Auskünfte einholt, zum Beispiel durch eine vertrauensärztliche Untersuchung, und die psychischen Probleme des Arbeitnehmers berücksichtigt. Dabei spielt es keine Rolle, dass der Arbeitnehmer vorgängig die Möglichkeit erhalten hat, seine berufliche Situation zu ändern, dass er einen Vertrag mit Arbeitsort Vich unterzeichnet hat und dass er erst verspätet mitgeteilt hat, dass er diese Stelle nicht antreten kann, denn sein Verhalten ist seiner psychischen Störung zuzuschreiben.

Kommentar

Vom Arbeitgeber wird immer mehr verlangt und der Kündigungsschutz weiter ausgebaut. Wo bleibt da die Berücksichtigung der berechtigten Interessen der Arbeitgeber und der Wirtschaft? Der Arbeitgeber ist gut beraten, vor dem Aussprechen einer Kündigung infolge Krankheit unter Berücksichtigung der konkreten Umstände im Einzelfall insbesondere abzuklären, ob allenfalls das Risiko eines Verstosses gegen den Persönlichkeitsschutz besteht. Zudem ist empfehlenswert, wenn immer möglich aus organisatorischen Gründen zu kündigen.

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