Es ist grundsätzlich zulässig, jemandem wegen einer die Arbeitsleistung beeinträchtigenden Krankheit zu kündigen, jedenfalls soweit die Sperrfrist nach OR 336c/1/b abgelaufen ist. Ist die krankheitsbedingte Beeinträchtigung jedoch der Verletzung einer dem Arbeitgeber obliegenden Fürsorgepflicht zuzuschreiben, liegt eine nach OR 336 verpönte Treuwidrigkeit vor, und die Kündigung ist allenfalls missbräuchlich. Die Missbräuchlichkeit ist jedoch nur dann zu bejahen, wenn der Arbeitnehmer nachweisen kann, dass der Arbeitgeber wusste, dass die Krankheit durch die Unterlassung der von ihm geschuldeten Fürsorge verursacht wurde (Urteil 4A_293/2019 des Bundesgerichts).
Legitimer oder missbräuchlicher Kündigungsgrund?
Dem eingangs erwähnten Urteil lag folgender Sachverhalt zu Grunde: Der Arbeitnehmer war seit Januar 2002 als Abteilungsleiter «Einkauf/ Verkauf DVD» angestellt. Nach einer Auseinandersetzung mit dem Verwaltungsratspräsidenten im August 2014 war der Arbeitnehmer bis Ende Januar 2016 krankgeschrieben. Im September 2014 teilte die Arbeitgeberin dem Arbeitnehmer mit, dass sie plane, nach seiner Genesung das Arbeitsverhältnis aufzulösen und ihn von jeglicher Arbeitsleistung freizustellen. Im Februar 2015 kündigte die Arbeitgeberin das Arbeitsverhältnis per 31. März 2015. Der Arbeitnehmer erhob innerhalb der Kündigungsfrist Einsprache und klagte anschliessend insbesondere wegen angeblich missbräuchlicher Kündigung. Der Arbeitnehmer war der Meinung, die Arbeitgeberin hätte ihn wegen einer Krankheit entlassen, die sie selbst durch jahrelange Überforderung am Arbeitsplatz verursacht habe. Die Arbeitgeberin dagegen stellte sich auf den Standpunkt, Kündigungsmotiv sei nicht die Krankheit, sondern die anhaltende Widersetzlichkeit des Arbeitnehmers gewesen. Wie es sich damit verhält, musste das Bundesgericht vorliegend nicht beantworten. Denn nach ihm wäre die Kündigung auch dann nicht missbräuchlich, wenn sie aufgrund der Krankheit erfolgte, wie nachfolgend aufgezeigt wird.
Ein unbefristetes Arbeitsverhältnis kann – ausserhalb der Sperrfristen von OR 336c – von jeder Vertragspartei unter Einhaltung der gesetzlichen oder vertraglichen Kündigungsfrist gekündigt werden. Es bedarf grundsätzlich keiner besonderen Gründe, um kündigen zu können. Das Prinzip der Kündigungsfreiheit findet jedoch seine Grenzen im Missbrauchsverbot. Gemäss OR 336/1/a ist die Kündigung unter anderem dann missbräuchlich, wenn eine Partei sie ausspricht wegen einer Eigenschaft, die der anderen Partei kraft ihrer Persönlichkeit zusteht, es sei denn, diese Eigenschaft stehe in einem Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis oder beeinträchtige wesentlich die Zusammenarbeit im Betrieb. So stellt eine Krankheit, die zur Arbeitsunfähigkeit führt und sich somit auf das Arbeitsverhältnis auswirkt, einen legitimen Kündigungsgrund dar, jedenfalls soweit die Sperrfrist nach OR 336c/1/b abgelaufen ist. Hingegen liegt eine nach OR 336 verpönte Treuwidrigkeit vor, wenn die krankheitsbedingte Beeinträchtigung der Verletzung einer dem Arbeitgeber obliegenden Fürsorgepflicht (OR 328) zuzuschreiben ist, denn die Ausnutzung eigenen rechtswidrigen Verhaltens bildet einen typischen Anwendungsfall des Rechtsmissbrauchs. Gleiches gilt in Sachen Mobbing, welches nicht ohne weiteres den Missbrauch des Kündigungsrechts begründet. Denkbar ist in diesem Zusammenhang allerdings, dass eine Kündigung etwa dann missbräuchlich sein kann, wenn sie wegen einer Leistungseinbusse des Arbeitnehmers ausgesprochen wird, die sich ihrerseits als Folge des Mobbings erweist, gegen welches der Arbeitgeber in Verletzung seiner Fürsorgepflicht nicht eingeschritten ist.
Kausalität zwischen Fürsorgepflichtverletzung und Krankheit
Die Missbräuchlichkeit einer Kündigung setzt einen Kausalzusammenhang zwischen dem verpönten Motiv und der Kündigung voraus. Es ist mithin erforderlich, dass der als missbräuchlich angefochtene Kündigungsgrund bei der Entscheidung des Arbeitgebers, den Arbeitsvertrag aufzulösen, eine entscheidende Rolle gespielt hat. Der Arbeitnehmer, der sich auf die Missbräuchlichkeit beruft, trägt hierfür die Beweislast. Dies gilt namentlich auch für den besagten Kausalzusammenhang zwischen dem angerufenen Kündigungsgrund und der Kündigung.
Im vorliegenden Fall war der Arbeitnehmer der Ansicht, für die Missbräuchlichkeit nach OR 336 dürfe nicht vorausgesetzt werden, dass die Arbeitgeberin um die Kausalität zwischen Fürsorgepflichtverletzung und Krankheit wisse. Diese Haltung verträgt sich aber gemäss Bundesgericht nicht mit OR 336/1/a, ZGB 8 und der bundesgerichtlichen Rechtsprechung. Entscheidend war somit, ob die Arbeitgeberin wusste, dass die Krankheit durch die Unterlassung der von ihr geschuldeten Fürsorge hervorgerufen wurde (immer vorausgesetzt, die Krankheit sei der tatsächliche Kündigungsgrund gewesen).
Der Arbeitnehmer hatte somit das Vorliegen eines verpönten Kündigungsmotivs aufzuzeigen und folglich zu beweisen, dass die Arbeitgeberin die Kündigung aussprach wegen seiner Krankheit, die durch eine Verletzung ihrer Fürsorgepflicht verursacht wurde. Nach den Feststellungen der Vorinstanz könnte im vorliegenden Fall nur dann von einer missbräuchlichen Kündigung ausgegangen werden, wenn die Arbeitgeberin zum Zeitpunkt, als sie dem Arbeitnehmer ihre Kündigungsabsicht mitteilte, gewusst hatte, dass die Krankheit des Arbeitnehmers durch eine von ihr erwirkte Überforderung verursacht worden ist. Dieser Nachweis (bei einem Beweisgrad der hohen Wahrscheinlichkeit) ist dem Arbeitnehmer aber nicht gelungen. Er hat einzig behauptet, die Arbeitgeberin habe ganz genau gewusst, dass sie ihn überfordert habe und verweist dabei u.a. auf den Umstand, dass er täglich durchschnittlich 51 Minuten (entgegen den vorinstanzlichen Feststellungen von 14 bis 25 Minuten) zu viel gearbeitet habe. Entsprechend war er der Ansicht, dass der Arbeitgeberin bewusst gewesen sein musste, dass seine Krankheit wohl die Reaktion auf diese Arbeitsbedingungen gewesen sei.
Da es im vorliegenden Fall um eine Frage der Beweiswürdigung ging, konnte das Bundesgericht nur prüfen, ob der Entscheid der Vorinstanz willkürlich war. Dies war jedoch nicht der Fall, weshalb das Bundesgericht die Beschwerde des Arbeitnehmers abwies.
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