Gratifikation

3. Mai 2004

Gratifikation

Begriff

Bei einer Gratifikation im Sinne von OR 322d handelt es sich um eine ausserordentliche Zulage, die zum Lohn hinzutritt und bei bestimmten Anlässen ausgerichtet wird. Sie hängt immer in einem gewissen Mass vom Willen des Arbeitgebers ab. Ein im Voraus festgesetzter und fest vereinbarter Betrag kann jedoch keine Gratifikation sein, sondern stellt Lohn dar. Umgekehrt darf aber nicht geschlossen werden, dass jede variable Vergütung eine Gratifikation wäre. Je nach dem was die Parteien konkret vereinbart haben, handelt es sich entweder um einen Lohnbestandteil im Sinne von OR 322, der gemäss OR 322a variabel ausgestaltet werden kann, oder um eine Gratifikation.

Freiwillige Leistung oder Anspruch?

Die Vereinbarung ist als Ganzes zu würdigen. Es kommt nicht darauf an, wie die Parteien in ihrer Vereinbarung eine Entschädigung rechtlich bezeichnet haben – z.B. als Gratifikation oder als Bonus – , sondern was sie tatsächlich gewollt haben, bzw. wie die jeweilige Gegenpartei die Willensäusserung der anderen nach dem Vertrauensprinzip verstehen durfte und musste. Ob es sich bei einer Gratifikation um eine vollständig freiwillige Leistung des Arbeitgebers handelt oder auf deren Ausrichtung ein Anspruch besteht, hängt nicht nur von den Erklärungen der Parteien, sondern auch von den Umständen ab. Die Verpflichtung zur Ausrichtung kann schriftlich oder mündlich ausdrücklich vereinbart worden sein. Sie kann aber auch während des laufenden Arbeitsverhältnisses durch konkludentes Verhalten entstehen, wie beispielsweise durch die regelmässige und vorbehaltlose Ausrichtung eines entsprechenden Betrages. Lehre und Rechtsprechung nehmen an, dass eine Gratifikation nach dem Vertrauensprinzip als vereinbart gilt, wenn sie vorbehaltlos während mindestens drei aufeinander folgenden Jahren ausgerichtet worden ist.

Die Einigung kann allerdings auch nur den Grundsatz betreffen, dass eine Gratifikation auszurichten ist. Dann kann der Arbeitgeber unterschiedliche Beträge je nach der Qualität der Arbeitsleistung, dem Geschäftsgang und weiteren von ihm frei bestimmbaren Kriterien ausrichten.

Hat der Arbeitgeber während Jahren einen Freiwilligkeitsvorbehalt angebracht, kann eine einmalige, versehentliche Unterlassung des Vorbehalts noch nicht zu einer stillschweigenden Vereinbarung führen. Ein Vorbehalt der Freiwilligkeit hat dann keine Wirkung, wenn er als nicht ernst gemeinte, leere Floskel angebracht wird, und die Arbeitgeberin durch ihr ganzes Verhalten zeigt, dass sie sich zur Auszahlung einer Gratifikation verpflichtet fühlt. Deshalb kann die Gratifikation auch dann als vereinbart gelten, wenn jahrzehntelang eine Gratifikation mit dem Vermerk der Freiwilligkeit ausbezahlt wird, dieser Vorbehalt aber nie in Anspruch genommen wird. Das rechtfertigt sich aber nur, wenn die Arbeitgeberin in dieser Zeit auch Grund dafür gehabt hätte, die Gratifikation nicht auszurichten, wie beispielsweise bei einem schlechten Geschäftsgang oder einer schlechten Arbeitsleistung einzelner Mitarbeiter.

Höhe der Gratifikation

Es ist mit dem Charakter der ganzen oder teilweisen Freiwilligkeit der Gratifikation nicht vereinbar, dass bei einem Arbeitsvertrag die Entschädigung ausschliesslich in einer Gratifikation besteht. Der Arbeitsvertrag ist definitionsgemäss entgeltlich. Die Arbeitgeberin muss sich somit zu einem Entgelt verpflichtet haben. Eine bloss freiwillige Entschädigung genügt nicht. Die Gratifikation ist definitionsgemäss eine Sondervergütung, die zum Lohn hinzutritt. Gemäss Lehre und Rechtsprechung kann es auch nicht genügen, wenn ein kleiner Lohn vereinbart ist und dafür eine grosse Gratifikation ausgerichtet wird. Diesfalls erweist sich die Gratifikation trotz der vereinbarten Freiwilligkeit als das eigentliche Entgelt für die Arbeit und wird dadurch zumindest teilweise zum Lohn im Rechtssinn. Die Grenze kann jedoch nicht einfach in einer festen Verhältniszahl zwischen dem vereinbarten Lohn und der freiwilligen Gratifikation liegen. Es liegt auf der Hand, dass bei einem niedrigen Einkommen schon ein (auch relativ) kleiner Einkommensunterschied sehr viel mehr Bedeutung haben wird, als bei einem hohen Einkommen. Entsprechend kann bei einem hohen Einkommen der als Gratifikation ausgerichtete Teil der Leistung prozentual zum Lohn grösser sein, als bei einem niedrigen Einkommen. Ob die fragliche Leistung für die Parteien zur entscheidenden Entschädigung für die Arbeitsleistung geworden oder eine blosse Zusatzvergütung und damit Gratifikation geblieben ist, hängt überdies von ihrer Regelmässigkeit ab. Auch bei einer im Verhältnis zum Lohn sehr hohen Leistung kann der Charakter als Gratifikation gewahrt werden, wenn ihre Ausrichtung einmalig ist und sich in dieser Höhe nicht wiederholt. Gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung erscheint der akzessorische Charakter dann kaum mehr gewahrt, wenn die Gratifikation regelmässig einen höheren Betrag erreicht als der Lohn. Erreichen die ausbezahlten Beträge beispielsweise bis zu einem Viertel des Jahresgehalts, das über Fr. 100'000.- liegt, spricht die Höhe der ausgerichteten Beträge nicht gegen eine Gratifikation.

Als Indiz dafür, ob es sich bei der variablen Vergütung wirklich nur um ein Akzessorium handelt, oder ob diese ein Lohnbestandteil ist, kann durchaus die vertraglich vorgesehene Regelung der sozialversicherungsrechtlichen Aspekte angesehen werden. Wird nämlich im überobligatorischen Bereich bei der beruflichen Vorsorge und bei der Unfallversicherung sowie gegebenenfalls bei der Krankenversicherung der Bonus mitversichert, so zeigt dies, dass die Parteien offenbar das mit dem Bonus erzielte Einkommen für die Aufrechterhaltung der bisherigen Lebenshaltung als notwendig ansehen. Es soll offenbar nicht nur besonderen Auslagen oder der Vermögensbildung dienen. Damit ist der Bonus aber eher dem Lohn als der Gratifikation zuzurechnen. Umgekehrt kann aus einer fehlenden Versicherung nicht geschlossen werden, dass es sich um eine blosse Gratifikation handle, weil für das im überobligatorischen Bereich erzielte Einkommen gar keine Versicherungspflicht besteht.

Kommentar

Es empfiehlt sich bei Gratifikationen im Einzelarbeitsvertrag oder einem diesem integrierten Personalreglement schriftlich die Entschädigungsregelung und die Modalitäten klar zu vereinbaren und gegebenenfalls zusätzlich bei jeder einzelnen Auszahlung schriftlich einen Freiwilligkeitsvorbehalt anzubringen. Mögliche Entschädigungsregelung: „Der Arbeitnehmer hat keinen Anspruch auf eine Gratifikation. Sofern das Geschäftsergebnis es zulässt, kann die Geschäftsleitung jedoch ausnahmsweise und ohne einen Rechtsanspruch zu begründen, eine Sondervergütung zusprechen.“

Urteil Nr. 4C.6/2003 des Bundesgerichts vom 24. April 2003 sowie BGE 129 III 276.


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