3. Juni 2013
Eine Besonderheit des Lehrverhältnisses besteht darin, dass es nach Ablauf der Probezeit nicht durch eine ordentliche Kündigung aufgelöst werden kann. Es bleibt also nur die fristlose Auflösung. Eine solche ist aber nur gerechtfertigt, wenn wichtige Gründe im Sinn vom OR 337 vorliegen. Im Entscheid 4A_531/2012 vom 19. Dezember 2012 erachtete das Bundesgericht die fristlose Entlassung einer Lernenden als gerechtfertigt, weil das Vertrauensverhältnis zwischen den Parteien durch die Lernende nachhaltig zerstört wurde.
Wichtige Gründe
Im Lehrverhältnis ist nach Ablauf der Probezeit eine ordentliche Kündigung nicht mehr möglich. Eine Auflösung kann nur noch fristlos erfolgen, und zwar wenn wichtige Gründe im Sinn von OR 337 vorliegen. Das Gesetz erwähnt dabei drei für den Lehrvertrag typische Gründe in OR 346/2. Durch die lernende Person ist die fristlose Auflösung möglich, wenn der für die Bildung verantwortlichen Fachkraft die erforderlichen beruflichen Fähigkeiten oder persönlichen Eigenschaften zur Bildung der lernenden Person fehlen. Der Arbeitgeber kann das Lehrverhältnis fristlos auflösen, wenn die lernende Person nicht über die für die Bildung unentbehrlichen körperlichen oder geistigen Anlagen verfügt oder gesundheitlich oder sittlich gefährdet ist, nach vorgängiger Anhörung der lernenden Person und gegebenenfalls deren gesetzlicher Vertretung. Aus objektiven Gründen kann das Lehrverhältnis fristlos aufgelöst werden, wenn die Bildung nicht oder nur unter wesentlich veränderten Verhältnissen zu Ende geführt werden kann. Diese Aufzählung ist nicht abschliessend, sondern hat beispielhaften Charakter.
Fristlose Entlassung einer lernenden Person - Sachverhalt
Während der Dauer der dreijährigen Lehre als tiermedizinische Praxisassistentin blieb die Lernende mehrmals und teils längere Zeit krankheitsbedingt der Arbeitsstelle fern und teilte dem Arbeitgeber ihre Abwesenheit überwiegend per SMS mit. Ein allfälliges Arztzeugnis reichte sie, nach Angaben des Arbeitgebers, jeweils nur verspätet ein. Mit Schreiben vom 26. September 2008 machte der Arbeitgeber die Lernende darauf aufmerksam, dass sie seit über drei Wochen nicht zur Arbeit erschienen sei, ohne ihm für diese Zeit ein Arztzeugnis vorgelegt zu haben. Er teilte ihr ebenfalls mit, dass es mindestens zum zweiten Mal sei, dass sie bei einer Absenz von über einer Woche kein Arztzeugnis vorweise, und stellte klar, dass er inskünftig keine SMS-Mitteilungen über ihre Abwesenheit mehr akzeptiere. Gleichzeitig ersuchte er sie, einen Termin für eine Besprechung des Lehrverhältnisses vorzuschlagen. Daraufhin reichte die Lernende dem Arbeitgeber mit Schreiben vom 30. September 2008 ein undatiertes Arztzeugnis für die Zeitspanne vom 1.-30. September 2008 ein. Weiter hielt sie in ihrem Schreiben fest, dass sie ihre vereinbarten Ferien beziehen und ab dem 3. November wieder zurück sein werde. Die Parteien hatten allerdings einen Ferienbezug lediglich vom 1.-21. Oktober 2008 vereinbart. Mit Schreiben vom 1. Oktober 2008 kündigte der Arbeitgeber den Lehrvertrag fristlos.
Vertrauensverhältnis zerstört
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts zu OR 337 ist eine fristlose Entlassung nur bei besonders schweren Verfehlungen des Arbeitnehmers gerechtfertigt. Diese müssen einerseits objektiv geeignet sein, die für das Arbeitsverhältnis wesentliche Vertrauensgrundlage zu zerstören oder zumindest so tiefgreifend zu erschüttern, dass dem Arbeitgeber die Fortsetzung des Vertrags nicht mehr zuzumuten ist, und andererseits auch tatsächlich zu einer derartigen Zerstörung oder Erschütterung des gegenseitigen Vertrauens geführt haben. Sind die Verfehlungen weniger schwerwiegend, so müssen sie trotz Verwarnung wiederholt vorgekommen sein. Ob die dem Arbeitnehmer vorgeworfene Pflichtverletzung die erforderliche Schwere erreicht, lässt sich nicht allgemein sagen, sondern hängt von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab.
Die Vorinstanz hat festgestellt, dass sich die Lernende der Problematik ihrer (krankheitsbedingten) Abwesenheit vom Betrieb durchaus bewusst gewesen sei, weshalb es ihr ein Anliegen sein musste, bei Krankheit ihre Abwesenheit möglichst rasch zu belegen. Der Arbeitgeber hat in seinem Schreiben vom 26. September 2008 – wenn auch nicht explizit – der Lernenden zu verstehen gegeben, dass er bei Krankheit die umgehende Einreichung eines Arztzeugnisses erwarte. Damit wurde der Lernenden klar zu erkennen gegeben, welche Verhaltensweisen nicht mehr toleriert werden, insbesondere, dass der Arbeitgeber ein unentschuldigtes Fernbleiben von der Arbeit bzw. eine verspätete Einreichung eines Arztzeugnisses als schwerer Fehler gewichte, was er bei Wiederholung nicht sanktionslos hinnehmen werde. Das Bundesgericht ging wie die Vorinstanz demnach davon aus, dass die Lernende durch den Arbeitgeber mittels Schreiben vom 26. September 2008 genügend abgemahnt bzw. verwarnt wurde.
Die Lernende machte sodann geltend, sie habe vor ihrer Ferienabreise mehrmals versucht, den Arbeitgeber telefonisch zu erreichen, um ihm mitzuteilen, dass sie bei der geplanten Rückkehr aus ihren Ferien die Arbeit vorerst zu 50% aufnehmen werde. Die Vorinstanz hat jedoch festgehalten, dass offen bleiben könne, ob sich die Lernende vor ihrem Abflug in die Ferien noch (vergebens) darum bemüht habe, den Arbeitgeber telefonisch zu erreichen, da ihr Schreiben vom 30. September 2008 – worin sie dem Arbeitgeber mitgeteilt habe, dass sie ab dem 3. November 2008 wieder zur Arbeit erscheinen werde – klar und eindeutig sei. Es ist schlechthin nicht ersichtlich, inwiefern der Arbeitgeber „betreffend Feriendauer für klare Verhältnisse“ zu sorgen hatte. Die Parteien hatten in übereinstimmender Erklärung die Dauer der Ferien der Lernenden vom 1.-21. Oktober 2008 festgelegt, was übrigens auch nicht bestritten war. Das Bundesgericht kam wie die Vorinstanz zum Schluss, dass das Vertrauensverhältnis zwischen den Parteien nachhaltig zerstört wurde, indem die Lernende – im Bewusstsein der Problematik ihres krankheitsbedingten Fernbleibens von der Arbeit, nach einer erteilten Verwarnung, trotz drei Wochen bewilligter Ferien – dem Arbeitgeber in Aussicht stellte, sie beziehe nun eigenmächtig noch weitere unbewilligte Ferientage.
Nach dem Gesagten war dem Arbeitgeber die Fortsetzung des Lehrvertrages für die verbleibenden zehneinhalb Monate bis Mitte August 2009 nicht mehr zuzumuten gewesen und damit die fristlose Entlassung der Lernenden im Sinn von OR 337/1 auch gemäss Bundesgericht gerechtfertigt.
Kommentar
Wie der vorliegende Fall zeigt, kann eine fristlose Entlassung einer lernenden Person gerechtfertigt sein. Mit Ausnahme von wirklich sehr schwerwiegenden Verfehlungen ist eine solche jedoch mit Zurückhaltung und nur nach hinreichend klarer Verwarnung und allfälliger Androhung der fristlosen Entlassung vorzunehmen.
Eine Kategorie wählen: