Flexibilisierung des Arbeitsgesetzes für bestimmte Betriebe

23. Juni 2023

Flexibilisierung des Arbeitsgesetzes für bestimmte Betriebe

Am 1. Juli 2023 werden zwei neue Bestimmungen in der Verordnung 2 zum Arbeitsgesetz (ArGV 2) in Kraft treten. Die neuen Art. 32b und 34a ArGV2 geben Betrieben der Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT) und Dienstleistungsbetrieben in den Bereichen Wirtschaftsprüfung, Treuhand und Steuerberatung mehr Flexibilität in der Umsetzung der Arbeitszeit- und Ruhezeitvorschriften.

Die Systematik von ArGV 2

Bevor wir auf die Neuerungen im Detail eingehen, lohnt es sich, die ArGV 2 in den arbeitsgesetzlichen Kontext einzuordnen. Das Arbeitsgesetz (ArG) hat zum Ziel, Arbeitnehmende vor gesundheitlichen Beeinträchtigungen, die mit dem Arbeitsplatz verbunden sind, zu schützen. Einerseits enthält es Vorschriften über den allgemeinen Gesundheitsschutz, andererseits Vorschriften über Arbeits- und Ruhezeiten wie z.B.:

  • Max. Tages- und Abendarbeit (Art. 10 ArG);
  • Wöchentliche Höchstarbeitszeit (Art. 9 ArG);
  • Tägliche Ruhezeit (Art. 15a ArG);
  • Wöchentlicher Ruhetage (Art. 18-20a ArG);
  • Wöchentlicher freier Halbtag (Art. 21 ArG);
  • Verbot von Nacht- und Sonntagsarbeit (Art. 16 ff. und 18 ff. ArG) usw.

In bestimmten Situationen ist mehr Flexibilität bei der Anwendung dieser Bestimmungen erforderlich. Daher gelten für bestimmte Kategorien von Unternehmen Ausnahmen zu diesen Regeln. Es ist nachvollziehbar, dass bspw. Spitäler, Heime und Internate, Apotheken, Arzt- und Zahnarztpraxen, Hotels und Restaurants, um nur einige zu nennen, ihre Tätigkeiten auch an Sonntagen oder in der Nacht ohne weitere Formalitäten ausüben können müssen.

ArGV 2 widmet sich solchen Betrieben mit besonderen Bedürfnissen und umschreibt die möglichen Ausnahmen von den gesetzlichen Arbeits- und Ruhezeitvorschriften (Art. 3-14 ArGV 2) und bezeichnet die Betriebsarten oder Gruppen von Arbeitnehmenden, auf die bestimmte Ausnahmen anwendbar sind (15-52 ArGV 2). Bei den Bestimmungen zu den Betriebsarten und Arbeitnehmer finden sich Verweise auf die Sonderbestimmungen (Art. 3-14 ArGV 2). So lässt sich herausfinden, welche Betriebsarten und Arbeitnehmende von welchen Ausnahmen profitieren. Schauen wir uns das Beispiel Krankenanstalten und Kliniken an. Art. 15 ArGV 2 sieht vor, dass auf Krankenanstalten und Kliniken und ihre Arbeitnehmenden u.a. Art. 4 ArGV 2 anwendbar ist. Diese Sonderbestimmung befreit betreffende Betriebe von der Bewilligungspflicht für Nacht- und Sonntagsarbeit sowie für den ununterbrochenen Betrieb.

Die neuen Bestimmungen Art. 32b und 34a ArGV 2 weichen von der oben beschriebenen Systematik ab. Die beiden Bestimmungen beinhalten direkt bereits die Ausnahmen für Betriebe der IKT (Art. 32b ArGV 2) und Dienstleistungsbetriebe in den Bereichen Wirtschaftsprüfung, Treuhand und Steuerberatung (Art. 34a ArGV 2). Das ist zwar ein Paradigmenwechsel, hat jedoch den Vorteil, dass alle anwendbaren Ausnahmen in derselben Bestimmung aufgeführt sind.

Artikel 32b ArGV 2

Diese Bestimmung gilt für Betriebe der IKT und für die in ihnen mit projektbezogenen oder termingebundenen IKT-Tätigkeiten beschäftigten erwachsenen Arbeitnehmenden. Als IKT-Betriebe gelten Unternehmen, die Dritten IKT-Produkte oder -Dienstleistungen anbieten, wie die Entwicklung, Anpassung, das Testen und die Pflege von Software, die Planung und den Entwurf von Computersystemen, welche Hardware-, Software- und Kommunikationstechnologie umfassen, und die Verwaltung und den Betrieb solcher Computersysteme oder anderer Datenverarbeitungsanlagen eines Kunden vor Ort (Art. 32b Abs. 3 ArGV 2).

Gemäss Art. 32b ArGV 2 darf in bestimmten Situationen der Zeitraum der Tages- und Abendarbeit für die einzelnen Arbeitnehmenden, mit Einschluss der Pausen und der Überzeitarbeit, auf höchstens 17 Stunden verlängert werden. Dies ist zulässig:

  • im Rahmen einer internationalen Zusammenarbeit mit insb. unterschiedlichen Arbeitszeiten der Beteiligten; oder
  • für dringliche und nicht voraussehbare Tätigkeiten.

Die Ausnahme besteht darin, dass in den obgenannten Situationen die Arbeitszeit innerhalb eines Zeitraums von 17 Stunden anstelle der im Normalfall zulässigen 14 Stunden geleistet werden darf (Art. 10 Abs. 3 ArG). Wenn ein Mitarbeitender seinen Arbeitstag um 6 Uhr morgens beginnt, kann er neu bis um 23:00 Uhr anstatt bis um 20 Uhr arbeiten. Zu beachten ist, dass der Mitarbeitende die zwingenden Pausen gemäss Art. 15 ArG einhalten muss und diese an die 17 Stunden angerechnet werden. Wenn ein Mitarbeitender an einem Tag bspw. 11 Stunden arbeiten muss, so kann er die Arbeitszeit zwischen 06:00 bis 23:00 beliebig verteilen (z.B. Beginn der Arbeit um 6 Uhr bis 10 Uhr, danach von 13 Uhr bis 18 Uhr und schliesslich von 21 Uhr bis 23 Uhr).

Zudem kann gemäss Art. 32b Abs. 2 ArGV 2 die tägliche Ruhezeit von 11 auf 9 Stunden verkürzt werden. Sie muss jedoch im Durchschnitt von 4 Wochen mindestens 11 Stunden betragen. Weiter kann die tägliche Ruhezeit unterbrochen werden, wenn es die Arbeitsumstände nicht anders erlauben. Die Ausnahme macht es möglich, dass Mitarbeitende in einer Woche mit hohem Arbeitsvolumen nur 9 Stunden tägliche Ruhezeit erhalten. Sofern betroffene Mitarbeitende in der darauffolgenden Woche eine tägliche Ruhezeit von 13 Stunden erhalten, werden sie über zwei Wochen den Durchschnitt von 11 Stunden einhalten. Diese Flexibilität ist insbesondere in Projektteams von grosser Bedeutung, in denen Personen aus verschiedenen Ländern zusammenarbeiten.

Artikel 34a ArGV 2

Diese Bestimmung gilt für Betriebe, die hauptsächlich Dienstleistungen in den Bereichen Wirtschaftsprüfung, Treuhand oder Steuerberatung anbieten. Sie dürfen erwachsene Arbeitnehmende, die die folgenden Voraussetzungen kumulativ erfüllen, nach den Sonderbestimmungen gemäss Art. 34a ArGV 2 (Jahresarbeitszeitmodell) beschäftigen:

  1. Sie verfügen bei ihrer Arbeit über eine grosse Autonomie und können ihre Arbeitszeiten mehrheitlich (mehr als 50%) selber festsetzen;
  2. Sie sind Vorgesetzte oder Spezialisten im Bereich Wirtschaftsprüfung, Treuhand oder Steuerberatung;
  3. Sie verfügen über ein Bruttojahreseinkommen, einschliesslich Boni, von mehr als CHF 120'000.- (bei Teilzeit anteilsmässig reduziert) oder verfügen über einen Abschluss auf Bachelorstufe oder auf Berufsbildungsstufe 6 des Nationalen Qualifikationsrahmens; und
  4. die Beschäftigung nach dem Jahresarbeitszeitmodell nach Art. 34a ArGV 2 wurde zwischen Arbeitgeber und Mitarbeitenden schriftlich vereinbart.

Sind diese Voraussetzungen erfüllt, darf die wöchentliche Arbeitszeit im Jahresdurchschnitt höchstens 45 Stunden betragen, wobei sich die daraus ergebende maximale Jahresarbeitszeit bei Teilzeitanstellung anteilsmässig reduziert. Die Bestimmungen zur wöchentlichen Höchstarbeitszeit (Art. 9 ArG) und zur Überzeit (Art. 12 f. ArG) sind nicht anwendbar. Es dürfen in jedem Fall höchstens 63 Stunden pro Woche gearbeitet werden. Am Ende des Kalender- oder Geschäftsjahres darf der Saldo der über die maximale Jahresarbeitszeit hinaus geleisteten Stunden nicht mehr als 170 Stunden betragen. Bei Teilzeitangestellten wird diese Obergrenze anteilsmässig reduziert. Die über die maximale Jahresarbeitszeit hinaus geleisteten Stunden müssen im folgenden Kalender- oder Geschäftsjahr durch Freizeit von gleicher Dauer ausgeglichen werden oder sie müssen mit einem Lohnzuschlag von 25% ausbezahlt werden.

Nehmen wir an, ein Mitarbeitender hat in einem Kalenderjahr 60 Stunden mehr als die durchschnittlich maximal zulässigen 45 Stunden pro Woche gearbeitet. Die 60 Stunden müssen im nächsten Kalenderjahr durch Freizeit gleicher Dauer ausgeglichen oder mit einem Lohnzuschlag von 25% ausbezahlt werden. 

Berechnungsbeispiel: Der Mitarbeitende verdient CHF 40.- pro Stunde. D.h. er hat Anspruch auf einen Lohnzuschlag von CHF 10.- auf den 60 Stunden, die er über dem gesetzlichen Maximum geleistet hat. Folglich sind die 60 Stunden mit 50.- pro Stunde (anstatt mit CHF 40.- pro Stunde) bezahlt.

Im Übrigen gelten für Mitarbeitende in den Bereichen Wirtschaftsprüfung, Treuhand und Steuerberatung dieselben Regeln zur täglichen Ruhezeit wie in Art. 32b ArGV 2.

Schliesslich gilt für die Beschäftigung von Mitarbeitenden nach dem erwähnten Jahresarbeitszeitmodell auch eine Ausnahme zum Verbot der Sonntagsarbeit (Art. 18 Abs. 1 ArG). An höchstens 9 Sonntagen pro Jahr ist für jeweils höchstens 5 Stunden Sonntagsarbeit ohne behördliche Bewilligung erlaubt. 

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