Beträgt die jährliche Entschädigung (Lohn und Bonus) mehr als der fünffache Medianlohn in der Privatwirtschaft, gilt ein vertraglich nicht zwingender Bonus gemäss Bundesgericht als freiwillige Gratifikation und nicht als geschuldeter Lohnbestandteil. Diese Rechtsprechung hat das Bundesgericht nun wie folgt präzisiert: Zur Beurteilung, ob in einem bestimmten Zeitpunkt diese Grenze des sehr hohen Einkommens überschritten ist, ist nicht die Zuordnung einer Zahlung zu einem Geschäftsjahr massgebend, sondern der Zeitpunkt des effektiven Geldflusses (Urteil 4A_565/2015).
Sachverhalt
Der Arbeitsvertrag eines Senior Private Bankers sah einen Jahreslohn von rund Fr. 220 000.– sowie zusätzlich Bonuszahlungen auf freiwilliger Basis vor. Das Geschäftsjahr der Arbeitgeberin dauerte jeweils vom 1. April bis am 31. März des Folgejahres. Mit Klage forderte der Arbeitnehmer unter anderem einen Bonus für das Geschäftsjahr 2012/2013.
Das Obergericht des Kantons Zürich beurteilte den Fall wie folgt: Es ging davon aus, dass die ausgerichteten Boni in jedem Jahr grösser gewesen sind als der Fixlohn, und dass es daher auf die Regelmässigkeit der Auszahlung nicht ankommt. Es hielt fest, dass der Fixlohn des Arbeitnehmers für das Geschäftsjahr 2011/2012 Fr. 239 220.– betrug und ging davon aus, dass dies auch für das folgende Geschäftsjahr zutraf. Unter Verweis auf den Bundesgerichtsentscheid 4A_653/2014 (vgl. ARBEITSRECHT Nr. 201 – September 2015) setzte das Obergericht diesen Fixlohn ins Verhältnis zum Medianlohn von monatlich Fr. 6 118.– im Jahr 2012 und von gerundeten Fr. 6 161.– im Jahr 2013, entsprechend einem fünffachen Medianlohn von Fr. 367 725.–. Das Obergericht gelangte zum Schluss, dass der bisher durchschnittlich ausgerichtete jährliche Bonus im Umfang der Differenz zwischen dem Fixlohn und diesem fünffachen Medianlohn Lohnbestandteil für das Geschäftsjahr 2012/2013 ist und sprach dem Arbeitnehmer entsprechend den Betrag von Fr. 128 505.– zu.
Präzisierung der Rechtsprechung
Die Vorinstanz hat dem Arbeitnehmer einen Teil seiner Forderungen zugesprochen, die er als Bonus beanspruchte. Da der Begriff des Bonus im Obligationenrecht nicht definiert wird, ist im Einzelfall zu prüfen, ob ein vereinbarter Bonus als Gratifikation im Sinn von OR 322d oder als Teil des Lohnes im Sinn von OR 322 zu qualifizieren ist.
Im vorliegenden Fall stellten die Parteien nicht in Frage, dass die Ausrichtung des im Arbeitsvertrag vorgesehenen Bonus ins Ermessen der Arbeitgeberin gestellt war, ohne dass bestimmte Kriterien für die Auszahlung festgesetzt worden wären. Es ist daher gemäss Bundesgericht grundsätzlich davon auszugehen, dass der Bonus als freiwillige Zahlung vereinbart wurde.
Ob eine derart ins Ermessen der Arbeitgeberin gestellte freiwillige Vergütung eine Gratifikation im Sinn von OR 322d darstellt, hängt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts weiter von der Höhe des Gesamteinkommens aus Arbeitsvertrag und allenfalls vom Verhältnis der freiwilligen Vergütung zum vereinbarten Lohn ab. Im vorliegenden Fall hat die Vorinstanz festgestellt, dass das Geschäftsjahr der Arbeitgeberin jeweils von Ende März bis zum 1. April des Folgejahres dauerte. Beide Parteien gingen davon aus, dass jeweils die Bezüge einem Geschäftsjahr zuzuordnen seien, um zu ermitteln, ob die Gesamtvergütung des Arbeitnehmers aus Arbeitsvertrag das Fünffache des Medianlohns erreicht oder übersteigt. Dies entspricht jedoch gemäss Bundesgericht nicht der Praxis. Danach ist vielmehr auf den Zeitpunkt des effektiven Geldzuflusses abzustellen zur Beurteilung, ob in einem bestimmten Zeitpunkt die Grenze des sehr hohen Einkommens erreicht oder überschritten ist. Der Rechtstitel, unter dem die Zahlung erfolgt, ist nur für die Frage entscheidend, ob die dem Arbeitnehmer zugeflossenen Mittel aus Arbeitsvertrag stammen. Sonst spielt es keine Rolle, wofür der Arbeitnehmer die geldwerten Leistungen erhält. Für die Ermittlung des massgebenden Einkommens aus Arbeitsvertrag ist nicht die Zuordnung einer Zahlung zu einem Geschäftsjahr, sondern der Zeitpunkt der Zahlung erheblich.
Der massgebliche Zeitpunkt zur Beurteilung, ob ein Arbeitnehmer aus dem Arbeitsvertrag ein sehr hohes Einkommen erzielt, bestimmt sich in der Regel nach einem Jahreslohn. Im Urteil, das ARBEITSRECHT Nr. 201 – September 2015 zugrunde lag, wurde das Einkommen ermittelt, das dem Arbeitnehmer während des letzten halben Jahres vor der Beendigung des Arbeitsvertrags zugeflossen war. Diese Einkünfte überschritten die Grenze des sehr hohen Einkommens, während der Arbeitnehmer in diesem Fall früher noch höhere Einkünfte erzielt hatte. Es stand daher nicht in Frage, dass auch die Einkünfte der letzten sechs Monate vor Ende des Arbeitsvertrags aussagekräftig waren. Im nun vorliegenden Fall fällt das Ende des Arbeitsvertrags mit dem Ende eines Geschäftsjahres zusammen. Es ist daher ohne weiteres auf die gesamten Einkünfte des Arbeitnehmers im letzten Jahr vor Vertragsbeendigung abzustellen zur Beurteilung, ob er ein sehr hohes Einkommen aus Arbeitsvertrag erzielte. Denn an der Aussagekraft dieser Einkünfte zu zweifeln, bestand kein Grund.
Die Vorinstanz stellte fest, welche Boni jeweils für ein Geschäftsjahr ausbezahlt wurden und rechnete die entsprechenden Zahlungen dem Geschäftsjahr zu, für das sie nach der Vereinbarung bezahlt wurden. Es wurde nicht unterschieden zwischen Zahlungen „für“ ein Geschäftsjahr und „in“ einem Geschäftsjahr. Gemäss Bundesgericht ist eindeutig, dass die Auszahlung des Bonus im Umfang von Fr. 214 480.– „für“ das Geschäftsjahr 2011/2012 am 25. Juni 2012 erfolgte (sowie im Dezember 2012 Fr. 30 000.–). Zusammen mit dem Grundlohn von Fr. 239 220.– nahm der Arbeitnehmer daher in der hier massgebenden Zeit vom 1. April 2012 bis 31. März 2013 Fr. 483 700.– ein. Damit überstiegen die Einnahmen im letzten Jahr seiner Tätigkeit vor Beendigung des Arbeitsvertrags den fünffachen Medianlohn in der Höhe von Fr. 367 725.–. Unter diesen Umständen hatte der Arbeitnehmer keinen Anspruch auf die im Arbeitsvertrag in Aussicht gestellte freiwillige Leistung. Die Frage nach der Akzessorietät stellte sich somit nicht.
Kommentar
Das Bundesgericht hat mit diesem Urteil Klarheit geschaffen. Die vorgenommene Präzisierung ist aus Arbeitgebersicht nicht zu kritisieren, hat doch der Arbeitgeber unter Umständen einen gewissen Spielraum, wann genau der effektive Geldzufluss eines Bonus erfolgt, ob noch im alten oder erst im neuen Geschäftsjahr.
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