Beweislast für Überstunden

2. Juli 2007

Beweislast für Überstunden

In der Praxis bestehen oft unterschiedliche Auffassungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer – insbesondere am Ende des Arbeitsverhältnisses – hinsichtlich der Anzahl der geleisteten Mehrstunden (Überstunden/ Überzeit). Dabei ist eine aussergerichtliche Einigung vielfach nicht möglich. Vor Gericht stellen sich dann in erster Linie beweisrechtliche Fragen, auf die in der Folge eingegangen wird.

Regelbeweismass

Gemäss ZGB 8 hat, wo es das Gesetz nicht anders bestimmt, jene Partei das Vorhandensein einer behaupteten Tatsache zu beweisen, die aus ihr Rechte ableitet. Das Bundesprivatrecht schreibt nach Lehre und Rechtsprechung für seinen Anwendungsbereich ein bestimmtes Regelbeweismass vor. Danach gilt ein Beweis als erbracht, wenn der Richter von der Richtigkeit einer Sachbehauptung überzeugt ist. Nicht ausreichend ist dagegen, wenn bloss eine überwiegende Wahrscheinlichkeit besteht, dass sich die behauptete Tatsache verwirklicht hat.

Überstunden

Überstunden sind die über die vertraglich vereinbarte Arbeitszeit hinaus geleisteten Stunden. Aus OR 321c ergibt sich, dass der Arbeitnehmer zu beweisen hat, dass er Überstunden geleistet hat und diese entweder vom Arbeitgeber angeordnet oder aber betrieblich notwendig waren. Ebenso hat der Arbeitnehmer die Anzahl der geleisteten Überstunden zu beweisen. Hat der Arbeitnehmer ohne Wissen des Arbeitgebers Überstunden geleistet, hat er sie diesem innert nützlicher Frist anzuzeigen, so dass der Arbeitgeber organisatorische Massnahmen zur Vermeidung zukünftiger Mehrarbeit vorkehren kann. Entsprechend hat der Arbeitnehmer geleistete Überstunden, welche nicht ausdrücklich angeordnet worden sind, grundsätzlich auf jedes Abrechnungsdatum hin mitzuteilen. Wenn der Arbeitgeber keinerlei Kenntnis über notwendige Mehrarbeit hat und nach den Umständen auch nicht haben muss, spricht gemäss Bundesgericht einiges dafür, die vorbehaltlose Entgegennahme des üblichen Lohns sinngemäss als Verzicht auf Entschädigung für allfällig geleistete Überstunden zu verstehen. Hat hingegen der Arbeitgeber Kenntnis über notwendige Mehrarbeit oder muss er nach den Umständen Kenntnis davon haben, darf der Arbeitnehmer mit der Angabe des Umfangs der Mehrarbeit zuwarten, bis eine Aussage darüber möglich ist, ob und in welchem Umfang längerfristig ein zusätzlicher Zeitbedarf für die Bewältigung der ihm übertragenen Aufgaben besteht. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Möglichkeit eines zeitlichen Ausgleichs für die geleisteten Überstunden besteht oder ein Ausgleich durch Freizeit vertraglich vereinbart ist.

Dem Arbeitgeber seinerseits obliegt der Beweis einer allfälligen Kompensation der Überstunden.

Ausnahmen vom Regelbeweismass

Ausnahmen vom Regelbeweismass, in denen eine überwiegende Wahrscheinlichkeit oder ein blosses Glaubhaftmachen als ausreichend betrachtet wird, ergeben sich einerseits aus dem Gesetz selbst und sind andererseits durch Rechtsprechung und Lehre herausgearbeitet worden. Nach der bundesgerichtlichen Praxis erlaubt insbesondere OR 42/2 dem Richter in analoger Anwendung, den Umfang der vom Arbeitnehmer geleisteten Überstunden zu schätzen, wenn ein strikter Beweis über ihre genaue Anzahl nicht möglich oder nicht zumutbar ist. Die Herabsetzung des Beweismasses zielt dabei lediglich auf eine Beweiserleichterung ab und darf im Ergebnis nicht zu einer Umkehr der Beweislast führen. Die beweis- pflichtige Partei hat alle Umstände, die für die Verwirklichung des behaupteten Sachverhalts sprechen, soweit als möglich und zumutbar zu behaupten und zu beweisen.

Verzeichnisse und andere Unterlagen

Für Arbeitsverhältnisse, die dem Arbeitsgesetz (ArG) unterstellt sind (ausgenommen sind beispielsweise Arbeitnehmer, die eine höhere leitende Tätigkeit ausüben, vgl. ArGV1 9), besteht die Pflicht des Arbeitgebers, die Arbeitszeiten zu dokumentieren und entsprechende Verzeichnisse und andere Unterlagen, aus denen die für den Vollzug des Gesetzes und seiner Verordnungen erforderlichen Angaben ersichtlich sind, während mindestens fünf Jahren aufzubewahren (ArG 46 und ArGV1 73). Daraus müssen namentlich ersichtlich sein: Die geleistete (tägliche und wöchentliche) Arbeitszeit inklusive Ausgleichs- und Überzeitarbeit (Überzeit = die über die wöchentliche Höchstarbeitszeit gemäss ArG geleisteten Stunden) sowie ihre Lage. Umstritten war dabei bisher die Frage, ob die Verletzung dieser Pflicht zu einer Umkehr der Beweislast führen kann. Eine solche Sanktion ist weder im Arbeitsgesetz noch in der Verordnung ausdrücklich vorgesehen. Das Bundesgericht hat nun im Entscheid 4C.307/2006 vom 26. März 2007 diesbezüglich Klarheit geschaffen. Es ist der Ansicht, dass nicht schon eine blosse Beweisnot des Beweisbelasteten eine Beweislastumkehr zu rechtfertigen vermag, denn ArGV1 73 sieht nur eine allgemein gehaltene Dokumentationspflicht vor. Zur Umkehr der Beweislast kann es nur kommen, wenn das Verhalten der Arbeitgeberin als rechtsmissbräuchlich zu bezeichnen ist, weil sie beispielsweise die Beweismittel zerstört, um dem Arbeitnehmer den Beweis zu verunmöglichen. Hingegen steht nichts entgegen, der Beweisnot und dem Verhalten der Arbeitgeberin bei der Beweiswürdigung Rechnung zu tragen. Strenger ist das Bundesgericht demgegenüber bei einer ausdrücklich und im Einzelnen geregelten Dokumentationspflicht in einem Gesamtarbeitsvertrag. Hier liess es bereits das Unterlassen einer ordnungsgemässen Dokumentation als Grund für eine Beweislastumkehr ausreichen.

Demgegenüber sieht das Obligationenrecht keine Pflicht zur Erfassung der Überstunden vor.

Kommentar

Zur Klarstellung und Absicherung empfiehlt sich eine Regelung der Arbeitszeit inklusive Mehrstunden (Überstunden/Überzeit) und deren Erfassung im Einzelarbeitsvertrag oder in einem diesem integrierten Personalreglement bzw. in einem separaten Arbeitszeitreglement. Dabei ist es zulässig, für einen Teil der Mitarbeiter – insbesondere Kader- und Aussendienstmitarbeiter – Sonderregelungen aufzustellen. Werden Mitarbeiter, die dem ArG unterstehen, von der Erfassungspflicht ausgenommen, empfiehlt sich zu vereinbaren, dass sie die Arbeitszeiten so zu dokumentieren haben, dass gegenüber den Behörden jederzeit die Einhaltung der arbeitsrechtlichen Bestimmungen nachgewiesen werden kann.

Vgl. dazu Handbuch des Arbeitgebers, Kapitel VI-A, Leitfaden für die Abfassung eines Einzelarbeitsvertrages, Artikel 3.



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