Der Arbeitnehmer kann jederzeit vom Arbeitgeber ein Zeugnis verlangen, das sich nicht nur über die Art und Dauer des Arbeitsverhältnisses, sondern auch über seine Leistungen und sein Verhalten ausspricht (OR 330a/1). Ein solches qualifiziertes Zeugnis bzw. Vollzeugnis soll einerseits das berufliche Fortkommen des Arbeitnehmers fördern und deshalb wohlwollend formuliert werden. Andererseits soll es künftigen Arbeitgebern ein möglichst getreues Abbild von Tätigkeit, Leistung und Verhalten des Arbeitnehmers geben, weshalb es grundsätzlich wahr und vollständig zu sein hat. Ein qualifiziertes Zeugnis darf und muss daher bezüglich der Leistungen und dem Verhalten auch negative Tatsachen erwähnen, soweit diese für seine Gesamtbeurteilung erheblich sind. In der Praxis sehen sich die Arbeitgeber oft mit der Frage konfrontiert, ob gesundheitliche Probleme des Arbeitnehmers, die zu einer mehr oder weniger langen Arbeitsverhinderung führten, im Arbeitszeugnis erwähnt werden dürfen bzw. müssen. Diese Frage hatte das Bundesgericht im Entscheid 4A_187/2010 vom 6. September 2010 zu beurteilen.
Krankheiten des Arbeitnehmers
Angaben über den Gesundheitszustand des Arbeitnehmers gehören grundsätzlich nicht in ein Arbeitszeugnis. Es gibt jedoch Situationen, in denen es ausnahmsweise nicht nur zulässig, sondern auf Grund der Wahrheitspflicht ein Muss ist, gesundheitliche Probleme im Arbeitszeugnis zu erwähnen. Gemäss Bundesgericht gibt es zwei Gründe, die den Arbeitgeber dazu verpflichten.
Krankheit als Kündigungsgrund
Dem eingangs erwähnten Entscheid des Bundesgerichts lag folgender Sachverhalt zu Grunde: Der Arbeitnehmer war ab Juni 2004 angestellt, ab Ende August 2007 war er nach einem Nervenzusammenbruch zu 100% arbeitsunfähig bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses Ende Januar 2009. Der Arbeitnehmer verlangte, dass die Erwähnung seiner Krankheit im Arbeitszeugnis gestrichen werde. Er machte geltend, dass die Kündigung nicht auf seine Krankheit zurückzuführen sei, deshalb dürfe diese gemäss dem Grundsatz des Wohlwollens nicht im Arbeitszeugnis erwähnt werden. Das Bundesgericht argumentierte wie folgt: Der Arbeitnehmer war während mehr als einem Jahr krankheitshalber unfähig, seine bisherige Tätigkeit auszuüben. Bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses war nicht absehbar, ob und wann er dazu wieder in der Lage sein wird, weshalb die Krankheit seine weitere Eignung zur Ausübung der bisherigen Tätigkeit erheblich in Frage stellte. Unter diesen Umständen bildete die Krankheit einen berechtigten Kündigungsgrund. Demnach war der Arbeitgeber unabhängig davon, ob er die Kündigung auf Grund der Krankheit ausgesprochen hat, gehalten, diese in einem qualifizierten Arbeitszeugnis zu erwähnen. Konkret musste er im Zeugnis aufführen, dass der Arbeitnehmer wegen gesundheitlichen Problemen seine Funktion als Regionalsekretär seit Ende August 2007 nicht mehr wahrnehmen konnte. Für den Entscheid nicht erheblich war, ob die Erwähnung der Krankheit sich allenfalls hätte rechtfertigen können, weil sonst bezüglich der Berufserfahrung ein falsches Bild entstanden wäre.
Mangelnde Berufserfahrung
Tatsächliche Unterbrechungen des Arbeitsverhältnisses durch Krankheit, Unfall, Militärdienst, Mutterschaftsurlaub, unbezahltem Urlaub und dergleichen werden im Arbeitszeugnis grundsätzlich nicht erwähnt. Längere Arbeitsunterbrüche sind jedoch – auch wenn sie z.B. krankheitsbedingt waren – in einem qualifizierten Zeugnis zu erwähnen, wenn sie im Verhältnis zur gesamten Vertragsdauer erheblich ins Gewicht fallen, und daher ohne Erwähnung bezüglich der erworbenen Berufserfahrung ein falscher Eindruck entstünde. Massgebend sind dabei die Umstände im Einzelfall. Abzulehnen ist eine Faustregel, wonach nur Unterbrechungen von mehr als der Hälfte der Dauer des Arbeitsverhältnisses zu erwähnen seien.
Kommentar
Dieser Entscheid des Bundesgerichts stellt eines klar und lässt vieles offen. Klar ist, dass, falls die Krankheit einen berechtigten Kündigungsgrund bildete, der Arbeitgeber nicht nur ermächtigt, sondern verpflichtet ist, im Arbeitszeugnis zu erwähnen, dass der Arbeitnehmer wegen gesundheitlichen Problemen seine bisherige Tätigkeit während einer bestimmten Zeit nicht mehr wahrnehmen konnte. Wann sind aber die vom Bundesgericht genannten Kriterien im konkreten Einzelfall tatsächlich erfüllt? Welche Rolle spielt die Dauer des Arbeitsverhältnisses, die Dauer der Krankheit bis zum Vertragsende und das Verhältnis zwischen diesen beiden? Nach unserer Einschätzung sind diese Tatsachen wohl nicht von entscheidender Bedeutung, sondern es ist vor allem darauf abzustellen, ob bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine Wiederaufnahme der bisherigen Tätigkeit absehbar ist oder nicht. Eine weitere Frage, die man sich stellen kann, ist folgende: Ist der Arbeitgeber immer dann, wenn die maximale Sperrfrist bei Krankheit abgelaufen ist und der Arbeitnehmer bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses arbeitsunfähig bleibt, verpflichtet, die gesundheitlichen Probleme des Arbeitnehmers im Arbeitszeugnis zu erwähnen, auch wenn tatsächlich nicht die Krankheit Ursache der Kündigung war, sondern z.B. seine vorgängigen Leistungen oder sein Verhalten? Dies wäre zumindest ein einfacher, praktikabler und der Rechtssicherheit dienender Ansatz. Die Erwähnung einer Krankheit ist immer möglichst schonend vorzunehmen. Sie kann das berufliche Fortkommen des Arbeitnehmers massiv erschweren. In der Regel genügt es, wenn der Arbeitgeber kurz darauf hinweist, dass der Arbeitnehmer aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage war, während einer bestimmten Zeit seine bisherige Tätigkeit auszuüben.
Für die Arbeitgeber bleibt es nach wie vor eine Gratwanderung. Erwähnt ein Arbeitgeber im konkreten Einzelfall gesundheitliche Probleme des Arbeitnehmers im Arbeitszeugnis nicht, obschon er sie nach den bundesgerichtlichen Kriterien hätte erwähnen müssen, riskiert er zwar keine Berichtigungsklage des Arbeitnehmers, aber es besteht eine Unsicherheit und ein gewisses theoretisches Risiko, dass er unter Umständen einem neuen Arbeitgeber gegenüber haftpflichtig werden kann. Erwähnt er hingegen die gesundheitlichen Probleme im Arbeitszeugnis, riskiert er eine Berichtigungsklage des Arbeitnehmers.
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