22. Mai 2024
Es ist nicht selten, dass Arbeitgeber aus Flexibilitätsgründen für bestimmte Tätigkeiten, statt einen Mitarbeiter anzustellen, die Dienste eines Selbstständigen vorziehen. Was jedoch oftmals unbekannt ist: Eine Vereinbarung, wonach der Vertragspartner als Selbstständiger eine Leistung erbringen soll, genügt nicht, damit dieser u.a. von den Gerichten in jedem Fall auch als selbstständig Erwerbender anerkannt wird. Eine nachträgliche Feststellung, wonach die Vertragsbeziehung eben doch als Arbeitsvertrag bzw. unselbstständige Tätigkeit zu qualifiziert ist, hat schwerwiegende Konsequenzen für den Arbeitgeber. Deshalb liefern wir im Folgenden einige aufschlussgebende Hinweise zum Thema.
Wenn Unternehmen die arbeitsrechtlichen Vorschriften als zu restriktiv oder zu kompliziert empfinden, umgehen sie das Problem oftmals, indem sie ihren Vertragspartner nicht als Arbeitnehmer anstellen, sondern diesem einen anderen Vertrag so wie bspw. einen Auftrag, Beratungsvertrag, externen Spezialistenvertrag, Freelancer-Vertrag o.Ä. anbieten. Jedoch ist die Rechtsprechung in dieser Hinsicht gefestigt und besagt klar, dass die rechtliche Würdigung eines Vertrags nicht davon abhängt, wie die Vertragsparteien diesen benannt haben. Vielmehr ist die objektive Ausgestaltung des Vertragsverhältnisses massgebend (siehe bspw. BGE 4A_200/2015). Somit gilt: Unabhängig davon, wie die Vertragsparteien den Vertrag bezeichnen; sofern die charakteristischen Elemente eines Arbeitsvertrags gegeben sind, wird der Vertrag rechtlich als solcher qualifiziert.
Gemäss Art. 319 Abs. 1 OR «verpflichtet sich der Arbeitnehmer auf bestimmte oder unbestimmte Zeit zur Leistung von Arbeit im Dienst des Arbeitgebers und dieser zur Entrichtung eines Lohnes, der nach Zeitabschnitten oder nach der geleisteten Arbeit bemessen wird (Zeitlohn oder Akkordlohn)». Lehre und Rechtsprechung heben vier typische Elemente hervor, welche für den Arbeitsvertrag charakteristisch sind: (1) die Leistung von Arbeit, (2) Arbeitsleistung auf Zeit, (3) Entrichtung von Lohn und (4) ein Subordinationsverhältnis zum Arbeitgeber («im Dienste des Arbeitgebers»). Die ersten drei Merkmale findet man auch in anderen Vertragsformen wieder. Das vierte Element ist oftmals das ausschlaggebende, wenn es um die Frage geht, ob ein Arbeitsvertrag vorliegt oder nicht.
Das Subordinationsverhältnis beinhaltet mehrere Aspekte. Es setzt einerseits voraus, dass der Arbeitnehmer seine Tätigkeit unter der Leitung und gemäss den Weisungen des Arbeitgebers ausübt. Andererseits wird vorausgesetzt, dass er in persönlicher, organisatorischer und zeitlicher Hinsicht vom Arbeitgeber abhängig ist oder räumlich, hierarchisch und bis zu einem gewissen Grad auch wirtschaftlich von diesem abhängt. Der Arbeitnehmer ist sodann in die Organisation des Unternehmens eingebettet (siehe dazu BGE 4C.177/2002; BGE 2A.658/2005; BGE 4A_200/2015; siehe auch Entscheid des Obergerichts des Kantons Zürich LA150027-O/U vom 15. Mai 2016). Diese Kriterien müssen nicht allesamt oder auch nicht alle mit der gleichen Intensität erfüllt sein, damit das Vorliegen eines Arbeitsvertrags bejaht wird. Dies bedeutet, dass ausschliesslich anhand einer Gesamtwürdigung aller konkreten Umstände des Einzelfalles über die Natur des vorliegenden Vertragsverhältnisses befunden werden kann. In der Praxis prüfen die Gerichte in einem ersten Schritt, welche Elemente in Überzahl vorliegen oder am meisten Gewicht haben und in einem zweiten Schritt, ob diese für einen Arbeitsvertrag oder für eine selbstständige Tätigkeit sprechen.
Folgende Elemente sprechen grundsätzlich für das Vorliegen eines Arbeitsvertrags: Eine fixe oder periodische Lohnentrichtung, die zur Verfügungstellung von Arbeitsplatz und -werkzeug, die Übernahme des Betriebsrisiko durch den Arbeitgeber, die Intensität sowie die Dauer des Vertragsverhältnisses, die Pflicht, über seine Tätigkeit Rechenschaft abzulegen, der überwiegende oder ausschliessliche Charakter der Tätigkeit, die Pflicht, Ziele zu erreichen, so bspw. hinsichtlich Geschäftsergebnis oder Anzahl besuchte Kunden oder die Bindung an Arbeitszeiten (siehe BGE 4A_533/2012; BGE 4C.64/2006).
Die Frage der Übernahme von Sozialversicherungsbeiträgen wird teilweise als Indiz für das Vorliegen eines Arbeitsvertrags verwendet, ist jedoch nicht als ausschlaggebende Element zu werten (siehe BGE 4C.331/2000). Im Gegenteil gilt es hier, vorsichtig zu sein und diesem Aspekt nicht zu viel Bedeutung zuzumessen. Denn die Kriterien des Zivil- und des Sozialversicherungsrechts sind nicht vollkommen deckungsgleich. Es ist daher denkbar, dass in zivilrechtlicher Hinsicht der Lohn für eine selbstständige Tätigkeit dennoch AHV-pflichtigen Lohn darstellt. Zudem kann es sein, dass die Wahl der Vertragsqualifikation durch die Parteien genau das Ziel verfolgt, das Unternehmen von seiner Beitragspflicht an die Sozialversicherungen zu befreien, womit die Verlässlichkeit dieses Indizes dahinfällt.
Auch wenn der Arbeitgeber eine Bestätigung der Selbstständigkeit des Vertragspartners einholt, ist er damit noch nicht abgesichert und darf nicht ohne weiteres davon ausgehen, dass das Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses ausgeschlossen ist. Es ist nämlich auch möglich, gleichzeitig eine selbstständige und eine unselbstständige Tätigkeit auszuüben.
In seinem Urteil vom 6. März 2000 (BGE 4C.331/1999) beurteilte das Bundesgericht das Vertragsverhältnis eines Frachtführers (Beschwerdeführer). Es kam zum Schluss, dass es sich dabei um einen Frachtvertrag, resp. eine selbstständige Tätigkeit und nicht um einen Arbeitsvertrag handelte.
Die Tätigkeit des Beschwerdeführers bestand darin, mit seinem eigenen Fahrzeug verderbliche Lebensmittel an verschiedene Läden zu liefern. Dies tat er u.a. auf Rechnung einer Firma, der er sich verpflichtet hatte, den Vorrang gegenüber anderen Kunden einzuräumen. Die Firma kontaktierte ihn in der Regel am Vorabend, um die Tour für den nächsten Tag zu vereinbaren. Die Vergütung durch diese Firma erfolgte pro Fahrt und nach zurückgelegten Strecken.
Nach der Kündigung des Vertrags machte der Beschwerdeführer Forderungen geltend und beruhte sich dazu auf das Vorliegen eines Arbeitsvertrags. Folgende Elemente brachte er vor, um das Arbeitsverhältnis zu begründen: Der Vertrag sah eine viertmonatige Kündigungsfrist vor, während der Auftrag jederzeit kündbar ist. Zudem sei er verpflichtet gewesen, der Beschwerdegegnerin zur Verfügung zu stehen. Diese konnte ihn jederzeit abrufen, was ihn in eine rechtliche sowie wirtschaftliche Abhängigkeit versetzt habe.
Das Bundesgericht wertete diese Elemente nicht als entscheidend. Betreffend die wirtschaftliche Abhängigkeit hat es zwar festgehalten, dass der Beschwerdeführer gewissermassen in die gleiche Situation versetzt werde, wie ein Arbeitnehmer, dies jedoch nicht genüge. Auch ein Auftragnehmer, Handwerker oder Kaufmann könne wirtschaftlich abhängig eines wichtigen Kunden sein, ohne dessen Angestellten zu sein. Zudem hat das Bundesgericht begründet, dass die Elemente, welche vorliegend für eine selbstständige Tätigkeit sprechen, zahlreicher seien. Dabei nannte es die folgenden Tatsachen: der Beschwerdeführer wurde für jede Fahrt und abhängig der zurückgelegten Strecke einzeln und aufgrund seiner Rechnungen bezahlt. Er trug alle Reparatur- und Wartungskosten für sein Fahrzeug selbst und konnte trotz dem Vorrang der Beschwerdegegnerin während der Nebensaison auch für andere Kunden arbeiten. Im Austausch mit der Beschwerdegegnerin bezeichnete er sich als Unternehmer. Er führte eine geschäftliche Buchhaltung und wurde von der Steuerbehörde als Selbstständiger betrachtet. Hinzu kam, dass er im Vergleich zu den anderen angestellten Chauffeuren der Beschwerdegegnerin eine deutlich höhere Vergütung erhielt, und zwar «um dem Unternehmerrisiko Rechnung zu tragen». Schliesslich hielt die Beschwerdegegnerin auch keine Sozialversicherungsbeiträge auf dem Lohn zurück.
In einem Urteil vom 31. Oktober 2002 (BGE 4C.177/2002) musste das Bundesgericht über einen Vertrag zwischen einem Uhrmacher und einem Unternehmen befinden. Das Unternehmen hatte die Dienste des Uhrmachers zunächst für das Kreieren eines Uhrenprototyps in Anspruch genommen, dann für die Suche nach Anbieter und Firma für die Markteinführung und letztlich für die Supervision des Fabrikationsprozesses bis hin zur Vermarktung. Die Parteien waren zwar durch keine schriftliche Vereinbarung gebunden, hatten jedoch vereinbart, dass der Uhrmacher drei Tage pro Woche den genannten Aufgaben widmen musste. Betreffend die Vergütung stellte der Uhrmacher dem Unternehmen jeweils eine monatliche Rechnung von CHF 5‘000.00 zuzüglich seiner Auslagen.
Nach der Vertragsauflösung machte der Uhrmacher das Vorliegen eines Arbeitsvertrags geltend und verlangte eine Entschädigung für die geleisteten Überstunden. Das Bundesgericht gab ihm Recht.
Das Unternehmen ging fälschlicherweise davon aus, dass sein Vertragspartner als Selbstständiger gehandelt hatte: Der Beschwerdeführer war nicht verpflichtet seine ganze Arbeitszeit der Firma zur Verfügung zu stellen und konnte seine Präsenzzeit frei wählen. Er führte seine Tätigkeiten so gut wie nie in den Unternehmenslokalitäten aus und die vereinbarte Vergütung – auf Rechnung – war für einen Auftrag oder Werkvertrag typisch.
Das Bundesgericht kam stattdessen zum Schluss, dass ein Subordinationsverhältnis vorlag. Der Beschwerdeführer war an eine feste Arbeitszeit von drei Tagen pro Woche gebunden und musste die Weisungen des Geschäftsführers strikt befolgen. Es fügte hinzu, dass eine organisatorische Abhängigkeit nicht eine ausschliessliche Tätigkeit in den Unternehmenslokalitäten verlangt, da der Arbeitgeber den Arbeitsort bestimmen darf. Schliesslich hielt das Bundesgericht fest, dass die monatliche Zahlung eines Pauschalbetrags einer Lohnzahlung entspricht und auch die Rückvergütung der Auslagen für die Arbeitserfüllung für ein Arbeitsverhältnis spricht. Folglich steht die Vergütungsmethode (Rechnungstellung) der Qualifikation als Arbeitsvertrag nicht entgegen.
Gehen die Parteien fälschlicherweise von einer selbstständigen Tätigkeit aus, können die Folgen für den Arbeitgeber schwerwiegend sein. Denn dieser kann, neben der Leistung der Sozialversicherungsbeiträge, rückwirkend auf fünf Jahre dazu verpflichtet werden, Forderungen aus dem Arbeitsvertrag zu begleichen, wie etwa:
So wurde beispielsweise das Unternehmen im oben erwähnten Bundesgerichtsurteil verpflichtet, dem Uhrmacher rund CHF 92‘000.00 für die geleisteten Überstunden zu bezahlen (BGE 4C.177/2002). In einem anderen Fall, musste ein Arbeitgeber für ein Vertragsverhältnis von 48 Monaten ca. CHF 29‘500.00 Berufsauslagen rückerstatten sowie CHF 15‘300.00 Ferienlohn bezahlen (BGE 4C.226/2003). Schliesslich bleibt ein Fall zu nennen, in welchem der Arbeitgeber CHF 120‘320.00 als Lohn für die Kündigungsfrist und für nicht bezogene Ferien sowie CHF 31‘074.55 als Entschädigung für die ungerechtfertigte fristlose Kündigung bezahlen musste.
Die Unterscheidung zwischen selbstständiger und unselbstständiger Erwerbstätigkeit bzw. Arbeitsvertrag ist in der Praxis alles andere als einfach. Eine klare abzuarbeitende Kriterienliste gibt es nicht. Jeder Sachverhalt ist einzeln zu beurteilen. Dabei können die oben genannten Qualifikationskriterien als Hilfe dienen. Eine mögliche Anlaufstelle im Rahmen der Beurteilung kann die Ausgleichskasse sein: Der Arbeitgeber kann sich bei ihr bereits vorab erkundigen, ob die vereinbarte Vergütung für den Arbeitgeber als massgebender, AHV-pflichtiger Lohn gilt oder nicht.
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