Anrechnung der Sperrfrist bei einem Rückfall

2. März 2009

Anrechnung der Sperrfrist bei einem Rückfall

Ist ein Arbeitnehmer ohne eigenes Verschulden durch Krankheit oder Unfall ganz oder teilweise an der Arbeitsleistung verhindert, kann ihm der Arbeitgeber im ersten Dienstjahr während maximal 30 Tagen, im zweiten bis und mit fünften Dienstjahr während maximal 90 Tagen und ab sechstem Dienstjahr während maximal 180 Tagen nicht ordentlich kündigen (OR 336c/1b). Eine während diesen Perioden ausgesprochene Kündigung ist nichtig. Möglich wäre einzig eine fristlose Kündigung, wenn wichtige Gründe vorliegen. Ist hingegen eine Kündigung durch den Arbeitgeber gültig erfolgt und wird der Arbeitnehmer durch eine Krankheit oder einen Unfall innerhalb der Kündigungsfrist arbeitsunfähig, so wird deren Ablauf in der Regel um ein oder mehrere Monate, je nach Dauer der Arbeitsunfähigkeit und Anzahl der Dienstjahre, unterbrochen (OR 336c/2). 

Die vorliegende Ausgabe befasst sich insbesondere mit der Frage, ob bei einem Rückfall auf Grund der gleichen Krankheit oder des gleichen Unfalls eine bereits vor der ausgesprochenen Kündigung gelaufene Sperrfrist angerechnet werden kann, oder ob ab Beginn des Rückfalls wieder eine neue maximale Sperrfrist zu laufen beginnt. Kann also beispielsweise einem Arbeitnehmer im 4. Dienstjahr (entsprechend geschützt durch eine Sperrfrist von 90 Tagen), der krankheitsbedingt vom 1. Juni bis am 30. Juli (60 Kalendertage) und auf Grund der gleichen Krankheit erneut vom 1. Oktober bis am 15. Dezember arbeitsunfähig ist, ab dem 31. Oktober (d.h. ab dem 91. Tag der Arbeitsunfähigkeit wegen der gleichen Krankheit) oder erst ab dem 30. Dezember (d.h. ab dem 91. Tag seit dem Rückfall) gekündigt werden?

Gleiche Ursache der Arbeitsunfähigkeit

Damit sich die Frage überhaupt erst stellt, muss im konkreten Einzelfall zuerst geklärt werden, ob es sich tatsächlich um einen Rückfall handelt, d.h. ob die gleiche Ursache zur erneuten Arbeitsunfähigkeit geführt hat. Das Gesetz nennt in OR 336c/1 mehrere Arbeitsverhinderungen bzw. Umstände, die Sperrfristen auslösen, während denen der Arbeitgeber nicht gültig kündigen kann. Unproblematisch ist die Kumulation der Sperrfristen unter den verschiedenen Buchstaben von OR 336c/1, beispielsweise Militärdienst und Krankheit oder Schwangerschaft und Unfall, d.h. jeder dieser Gründe löst eine eigene Sperrfrist aus, so dass Sperrfristen auch gleichzeitig parallel laufen können. Schwierigkeiten bereiten kann aber bereits die Abgrenzung von Krankheit und Unfall, beispielsweise wenn der Arbeitnehmer auf Grund eines Unfalls arbeitsunfähig wird, die Unfallversicherung anfänglich Taggelder bezahlt, dann aber entscheidet, dass die weitergehende Arbeitsunfähigkeit ab einem bestimmten Zeitpunkt nicht mehr mit diesem Unfall zusammenhängt, sondern krankheitsbedingt ist, und entsprechend die Taggeldzahlungen einstellt. Hat dies nun zur Folge, dass ab diesem Zeitpunkt eine neue eigene Sperrfrist wegen Krankheit ausgelöst wird? Diese Frage ist zu bejahen. Solange aber nicht geklärt ist, ob die Ursache der weiteren oder erneuten Arbeitsverhinderung noch im Unfall oder in einer Krankheit liegt, besteht betreffend Sperrfristen eine Rechtsunsicherheit. Noch schwieriger kann sich im konkreten Einzelfall die Abgrenzung zweier Krankheiten erweisen. Gemäss Bundesgericht lösen zwei Krankheiten, zwischen denen „aucun lien“ besteht, separate Sperrfristen aus. 

Rechtssicherheit

Es gibt Autoren, die annehmen, dass bei einem Rückfall als Folge einer Krankheit oder eines Unfalls die mehreren Absenzen auf Grund der gleichen Ursache zusammengezählt werden können, bis die maximale Schutzfrist abgelaufen ist, und der Rückfall keine neue eigene Sperrfrist auslöst. Diese Behauptungen werden jedoch selten mit einem Beispiel erläutert, oder aber dann nur in Fällen von Arbeitsverhinderungen und eingetretenen Rückfällen während der Kündigungsfrist, d.h. nachdem dem Arbeitnehmer gültig gekündigt worden ist. Unserer Meinung nach gilt es zu unterscheiden, ob es um die Anrechnung von bereits vor erfolgter Kündigung laufenden Sperrfristen geht oder um solche danach. Verschiedene Arbeitsverhinderungen auf Grund der gleichen Ursache nach erfolgter Kündigung durch den Arbeitgeber lösen unseres Erachtens keine neuen eigenen Sperrfristen aus, sondern werden bis zum gesetzlichen Maximum je nach Dienstjahr zusammengezählt. Unsicher ist hingegen die Rechtslage hinsichtlich der Anrechnung der Sperrfrist, wenn ein Arbeitnehmer bereits vor der Kündigung durch den Arbeitgeber eine gewisse Zeit lang ganz oder teilweise arbeitsunfähig war, und dann einen Rückfall erleidet. Nach unserem Wissensstand gibt es keinen Autor, der sich zu einem Fall wie dem eingangs erwähnten Beispiel geäussert hat. Der Arbeitgeber hätte dem Arbeitnehmer tatsächlich in der Zeit zwischen dem 31. Juli (Datum der Wiederaufnahme der Arbeit durch den Arbeitnehmer) und dem 30. September (Vortag des Rückfalls) ohne weiteres kündigen können, hat dies aber nicht getan. Doch es ist nicht unmöglich, dass ein Rückfall mehrere Wochen oder mehrere Monate nach der vollständigen Genesung eintritt.

Die 1. öffentlich-rechtliche Abteilung des Bundesgerichts hat im Entscheid 1C_174/2007 vom 16. Oktober 2007 bestätigt, dass es nicht willkürlich ist, verschiedene Arbeitsverhinderungen auf Grund der gleichen Ursache (Rückfall) – im konkreten Fall waren dazwischen mehrere Monate – zusammenzuzählen bis zum Maximum der Sperrfrist gemäss OR 336c/1b. Nicht sicher ist aber, ob das Bundesgericht auch so entschieden hätte, wenn seine Prüfungsbefugnis nicht auf Willkür beschränkt gewesen wäre.

Kommentar

Das Centre Patronal hat den Arbeitgebern, welche eine bereits teilweise abgelaufene Sperrfrist anrechnen wollten, seit vielen Jahren aus Gründen der Rechtssicherheit empfohlen, gleich bei vollständiger Arbeitsaufnahme – oder zumindest möglichst bald – zu kündigen. Trotz diesem aus Arbeitgebersicht erfreulichen Entscheid des Bundesgerichts halten wir an unserer Empfehlung fest. Denn es wäre unseres Erachtens nicht unhaltbar, eine Kündigung des Arbeitgebers als missbräuchlich zu betrachten, die während eines Rückfalls nach mehreren Monaten oder sogar mehreren Jahren nach einer Arbeitsverhinderung auf Grund der gleichen Ursache unter Anrechnung der bereits abgelaufenen Sperrtage ausgesprochen wird.

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